Im Rahmen der Sauna
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Am 20. Oktober 1889 feierte das Werk Vor Sonnenaufgang, der vielversprechenden 27-jährigen Entdeckung Gerhart Hauptmann, Premiere in Berlin. Es folgten Schimpftiraden in den konservativen Berliner Blättern, die allerdings zu einem Zulauf des für die Aufführung verantwortlichen Theatervereins führten. Vor Sonnenaufgang handelt von einer zu Reichtum gekommen aber moralisch armselig (und der Droge Alkohol) verfallenen Familie. Hauptmanns verwendete Sprache war ungewöhnlich, die Dialoge energisch. Das war irgendwie neu.
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Mit dem alten Hauptmann-Stoff von einst hat das zeitgenössische Theaterstück Vor Sonnenaufgang, das gestern im Studio des Stadttheaters in Bozen Premiere feierte, nur am Rande zu tun. Es hält sich im Rahmen, sprengt ihn nicht. Will ihn auch nicht sprengen. „Eindringlich und klar“, verkünden die Vereinigten Bühnen Bozen, habe der österreichische Dramatiker Ewald Palmetshofer, Jahrgang 1978, Gerhart Hauptmanns „soziales Drama“ neu geschrieben und es in die Gegenwart übersetzt. In einer turbolenten(!) Neuauflage wird der Niedergang der bürgerlichen Familie nachgezeichnet, ihr Schicksal wird zum Code einer entgleisenden Gesellschaft.
Weißt du Thomas, ich bin zu einem Freund gekommen, der ein Feind geworden ist.
(Alfred Loth)
Die Familienmitglieder haben sich längst gegenseitig verloren, stehen vereinsamt in ihrem Leben, verzetteln sich in finsteren Dialogen und ziehen sich und die anderen ins düstere Ungewisse. Palmetshofer provokantes Theaterstück erzähle „berührend über die Abgründe, Tabus und den Zerfall einer Generation“, schwärmt der Intendant der Vereinigte Bühnen Bozen Rudolf Frey und versprach bereits im Vorfeld „ein packendes Theatererlebnis.“ Er sollte Recht behalten, denn de frische Inszenierung ist anspruchsvoll gelungen.In Vor Sonnenaufgang geht es im wahrsten Sinn des Wortes "heiß" her, denn das verzwackte Familiendrama spielt sich innerhalb einer riesigen (Bühnen-)Sauna ab. Die Künstlerin und Gestalterin Ece Anisoglu zeichnet dafür verantwortlich und bietet mit ihrem Einfall den perfekten Rahmen für die Schauspielenden, die im Licht und zur Musik dampfumnebelt zwischen Sektflaschen umherkurven, saunend und saufend gefangen sind: räumlich, sprachlich, gefühlsmäßig.
Zur Handlung: Schwiegersohn Thomas Hoffmann (Robert Finster) soll Teile der Firma der Familie Krause übernehmen. Seine Frau Martha (Marlies Untersteiner) erwartet ein Kind. Der alte Patriarch Egon Krause (Alexander Ebeert) trinkt viel und versteht die Welt nicht mehr. Zu sehen ist er stets im Skioverall. Zu ihm gesellen sich weitere "erhitzte Gemüter", die Tochter Helene (Swintha Gersthofer) und die Stiefmutter (Katja Uffelmann). Plötzlich taucht auch noch der alte Studienfreund, der Journalist Alfred Loth (Hannes Perkmann) auf. Nachdem er bemerkt, wie sein einstiger Kumpel (durch Heirat zu Reichtum gekommen), ein dem egoistischen Materialismus verfallenes Leben führt, gerät alles komplett aus den Fugen. „Die Märchen deiner linken Oberschicht, die ihr andauernd eure Nasen rümpft, wie Trüffelsteine grabt ihr rum und sucht, was euch nicht passt“, prustet Thomas ihm, in einer der vielen hitzigen Sauna-Debatten, entgegen. „Weißt du Thomas, ich bin zu einem Freund gekommen, der ein Feind geworden ist“, kontert Alfred. Feindselig aber immer mit Stil geht das Stück dahin. Der alte Rahmen und das neue Kleid lassen den Schauspielerinnen und Schauspielern viel Platz zur künstlerischen Entfaltung im Holzkasten. Sie lot(h)en diesen mit viel Leidenschaft aus.
Richtig gemütlich wird es in der nachempfundenen Sauna im Bozner Stadttheater – die Bühnengestaltung zieht sich kongenial von der Saaldecke ins Geschehen – eigentlich nie.
Dann verliebt sich der gebeutelte Journalist ausgerechnet in Helene Krause, die Schwägerin seines ehemaligen Studienkollegen und aus dem wohl durchdachten Inszenierungspaket werden weiter reihenweise skurrile Situationen ausgepackt. Mal sind sie kurz entspannend, dann wieder temporeich fordernd.
Die sich nicht an gewöhnliches Saunagedudel orientierende Musik (Agathangelos Paschalidis) kommt im eher bedrohlichen Countdown-Style, bricht – in feiner Absprache mit dem Lichtdesign (Nikolaos Vlasopoulos) aufkommende (Empörungs-)Wellen, begleitet düster oder gibt für die Teile des Stücks den (schweiß-)treibenden Rhythmus vor.Manchmal ist es stockdunkel in Vor Sonnenaufgang, dann wird um- und neu aufgestellt, bis es abrupt wieder hell wird, um alle Beteiligten vor verändertere Tatsachen zu stellen – oder auf gleiche, aus anderem Blickwinkel. Das rauscht, ist fast nie langatmig und bringt viel Bewegung in den Stillstand.
Richtig gemütlich wird es in der nachempfundenen Sauna des Bozner Stadttheaters – die Bühnengestaltung zieht sich kongenial von der Saaldecke ins Geschehen – eigentlich nie. Das Publikum beobachtet die sich entblößenden Figuren bis zum bitteren Ende, bis diese im Schlussbild wie versiegelt zurückbleiben, nachdem das Ganze auch noch durch das depressive Schicksal des Hausarztes (Markus Weitschacher) angeheizt wurde.
Regisseur Sarantos Zervoulakos steckt das hitzköpfige Familienschicksal in eine scheinbare Wohlfühllandschaft, doch es ist vor allem ein schummriges Unwohlsein (in allen Facetten und auf vielen Ebenen), das in Vor Sonnenaufgang aufkommt. Menschliche Tragik wird hier grandios inszeniert.Vor Sonnenaufgang von Ewald Palmetshofer nach Gerhart Hauptmann, wird auch am heutigen Sonntag (135. Geburtstag!) gespielt. Bis zum 27. Oktober wird es mehrmals gezeigt. Info und Tickets und Trailer
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