Economia | Sparkasse
Der gepfändete Depero
Foto: Suedtirol Foto/Othmar Seehauser
Der 30. Juli 2020 wird der Führung der Südtiroler Sparkasse noch lange in Erinnerung bleiben. Dass Gerichtsvollzieher in Banken aus und ein gehen, ist normal. Denn Pfändungen bei säumigen oder insolventen Kreditnehmern stehen in allen Geldinstituten auf der Tagesordnung.
Was sich an jenem Sommertag in der Führungsetage der Südtiroler Sparkasse abspielt, hat aber absoluten Seltenheitswert. Denn an diesem Vormittag geht eine gerichtliche Pfändung über die Bühne, die eine Schmach für eine seriöse Bank ist. Diesmal ist es nicht die Bank die pfändet, sondern es ist die Bank, die gepfändet wird.
Der Gerichtsvollzieher steuert an diesem Tag am Hauptsitz der Sparkasse die Bildergalerie an und klebt dort das amtliche Siegel auf eines der Bilder. Es ist ein Ölgemälde des Futuristen Fortunato Depero. Das 1936 entstandene Bild „Paesaggio Alpestre a Serrada di Folgaria“ hat einen Wert von rund 600.000 Euro. Es wurde zur Verwahrung einem Sparkassenfunktionär übertragen.
Dabei dürfte der gepfändete Depero noch das kleine Übel sein. Denn vergangene Woche wurde ein Urteil vollstreckt mit dem die Sparkasse weitere 4,5 Millionen Euro an jene zwei Südtiroler Unternehmer zahlen musste, die auch das Bild beschlagnahmen ließen. Insgesamt haben die beiden Brüder 5 Millionen Euro vom Oberlandesgericht zugesprochen bekommen.
Es ist die größte Summe, die die Sparkasse in ihrer langen Geschichte, in einen Verfahren gegen zwei Investoren bisher verloren hat. Verständlicherweise soll die Geschichte nicht an die große Glocke gehängt werden. „Der Rechtsstreit ist noch nicht beendet“, ersucht der Generaldirektor der Sparkasse, Nicola Calabró um Verständnis, „und wir wollen uns dazu öffentlich nicht äußern“. Salto.bz hat auch einen, der vor Gericht siegreichen Kläger kontaktiert. „Kein Kommentar“, sagt der Unternehmer freundlich aber bestimmt.
Anhand der Gerichtsakten lässt sich der gesamte Prozessverlauf aber lückenlos rekonstruieren.
Die Altlast
Dabei muss gesagt werden, dass es sich bei dieser Geschichte um eine der zahllosen Altlasten handelt, die die aktuelle Bankenführung von ihren Vorgängern „geerbt“ hat. Die Geschichte beginnt 2007. Damals war kaum jemand aus der heute amtierenden Bankenführung in der Sparkasse tätig.
Nach dem Verkauf eines Unternehmens verfügen die beiden Geschwister über einiges Geld. Die Familie fühlt sich seit Generation der Südtiroler Sparkasse verbunden und beide sind damals auch Aktionäre der Südtiroler Traditionsbank. Sie wollen einen Großteil des Geldes über die Sparkasse investieren. Am 27. Dezember 2007 bereitet ihnen ein Bankberater ein Gesamtpaket für ihre Investitionen vor, das sie an diesem Tag und am 4. Jänner 2008 auch zeichnen. Es geht bei dieser Investition um einen zweistelligen Millionenbetrag.
Im Gesamtpaket findet sich aber auch ein konsistenter Anteil an Obligationen der isländischen „Landesbanki“ und der US-Bank „Lehman Brothers“. Beide Unternehmen rutschen im Sommer und Herbst 2008 in die Insolvenz, was für die Investoren fast einem Totalverlust gleichkommt. Dazu kommt noch ein Fonds, der abstürzt und mit dem die beiden Brüder ebenfalls viel Geld verlieren.
Weil sich die beiden Sparer von der Sparkasse nicht richtig beraten fühlen, ziehen sie im Sommer 2009 vor Gericht.
11 Jahre Prozess
Der Prozess dauert elf Jahre und geht fast zweimal durch alle Instanzen. Im März 2011 kommt es am Bozner Zivilgericht zum ersten Urteil. Die beiden Sparer machen von Beginn an geltend, dass sie von der Sparkasse nicht richtig beraten wurden, dass man sie nicht über das Risiko der Anlagen aufgeklärt hätte und dass die an sie verkauften Papiere, laut Bestimmungen ihrem Anlegerprofil nicht angemessen seien.
Die Richter Elisabeth Roilo (Präsidentin), Michele Paparella (Berichterstatter) und Claudia Montagnoli schmettern aber fast alle Einwände der Kläger ab und geben der Bank Recht. Nur in einem Punkt wird die Bank verurteilt. Für die Investition in einen Fonds bekommt ein Bruder rund 250.000 Euro zugesprochen.
Die beiden Südtiroler Unternehmer reichen Berufung ein. Vor dem Oberlandesgericht Außenstelle Bozen landet die Sparkasse im Jänner 2014 mehr oder weniger einen Ko-Sieg. Johann Pichler (Präsident), Tullio Joppi (Berichterstatter) und Isabella Martin geben in allen Punkten der Bank Recht und drehen das Urteil aus erster Instanz. Der eine Bruder muss die 250.000 Euro an die Sparkasse wieder zurückzahlen. Dem anderen Bruder spricht man – immer in der Fonds-Geschichte – rund 35.000 Euro zu. Den großen Brocken zu den Obligationen behandelt das Oberlandesgericht erst gar nicht. Denn nach Ansicht der Richter haben die Anwälte der Kläger einen falschen Antrag gestellt.
Doch die beiden Brüder geben sich nicht geschlagen, sie ziehen vor die Kassation. Inzwischen werden sie vom renommierten römischen Professor Francesco Carbonetti und dessen Studio vertreten. Später nehmen sie dann auch noch den Bankenfachmann und Anwalt der Südtiroler Verbraucherzentrale Massimo Cerniglia dazu.
Auch die Sparkasse reicht in der Kassation eine Anschlussberufung ein. Das Höchstgericht schmettert am 2. Februar 2018 die Berufung der Sparkasse ab und nimmt dem Rekurs der Kläger in allen wesentlichen Punkten an. Das Kassationsgericht kommt zum Schluss, dass die Bozner Richter am Oberlandesgericht einen klaren prozeduralen Fehler begangen haben, in dem sie im Verfahren den gesamten Bereich der Obligationen ausgeklammert haben. Per Verfügung wird das Verfahren an das Oberlandesgericht Außenstelle Bozen zurückverwiesen. Dort muss das Verfahren vor einem anderen Richtersenat neu aufgerollt werden.
Das Eigentor
Als am 13. November 2019 vor dem Richtersenat Silvia Monaco (Präsidentin), Manfred Klammer und Thomas Weissteiner (Berichterstatter) die Hauptverhandlung stattfindet, ist das Prozessklima ein völlig anderes. Das Kassationsgericht hat in seinem Urteil klare inhaltliche Vorgaben gemacht: Die Richter am Oberlandesgericht müssen sich mit den Verlusten um die Lehman- und Landesbanki-Obligationen befassen, sie müssen das Verhalten der Bank und ihrer Berater analysieren und sie müssen die Angemessenheit der Investitionen und das Profil der Anleger bewerten. Damit wird eine Schublade aufgemacht, die in den ersten beiden Prozessen im Bozen erst gar nicht berührt wurde. Selbst dem neutralen Prozessbeobachter wird schnell klar, dass sich damit die Chancen der Kläger grundlegend verbessern.
Gleichzeitig beginnen aber auch vertrauliche Vergleichsverhandlungen zwischen den beiden Unternehmern und der Sparkasse. Es ist vor aller einer der Brüder, der eine außergerichtliche Einigung sucht. Denn auch die Kläger sind nach dem 10 Jahre dauernden Gerichtsstreit müde. Nach Informationen von Salto.bz kommt es zu mehreren Treffen und auch Gesprächen mit Gerhard Brandstätter. Der Sparkassen-Präsident zeigt sich dabei durchaus kompromissbereit. Im April steht schließlich die Einigung, die zwischen dem Leiter der Rechtsabteilung und einem der Kläger ausgehandelt wird. Sie sieht eine Zahlung von 800.000 Euro für einen Bruder und etwas weniger für den zweiten Kläger vor. Mit einer Zahlung von 1,4 Millionen Euro wäre der Streit beendet worden.
Als der zuständige Funktionär den Beschluss aber in dem Verwaltungsrat bringt, ist plötzlich alles anders. Die Sparkassen-Führung beharrt darauf, dass mit einer Zahlung von 800.000 Euro beide Kläger gemeinsam abgefunden werden. Damit platzt die Einigung in allerletzter Minute.
Weniger Wochen später bekommt die Sparkasse dann aber eine unerwartete Rechnung präsentiert. Das Oberlandesgericht Trient Außenstelle Bozen entscheidet am 9. Mai 2020 im anhängigen Verfahren. In dem von Richter Thomas Weissteiner verfassten Urteil 64/2020 werden den beiden Unternehmern insgesamt 5 Millionen Euro zugesprochen.
Die Verurteilung zur Millionenzahlung kommt für die Sparkassenspitze völlig überraschend. Die Bank hat umgehend wiederum beim Kassationsgericht gegen das Urteil berufen. Man geht in der Sparkasse davon aus, dass das Höchstgericht das Bozner Urteil korrigieren wird. Es dürfte eine schwache Hoffnung sein. Denn die Kassation hat sich bereits einmal mit dem Fall befasst und am Höchstgericht wird man wohl kaum die Richtung der Rechtsprechung jetzt völlig ändern.
Schlechte Verlierer
Das Urteil des Oberlandesgerichts ist unmittelbar vollstreckbar. Aber die Sparkasse versucht in den darauffolgenden Monaten alles, um nicht zahlen zu müssen. Die Anwälte der Bank beantragen zuerst vor Gericht die Aussetzung der Vollstreckbarkeit des Urteils. Doch das wird vom Richter abgelehnt. Weil die Sparkasse aber keine Anstalten macht zu zahlen, leiten die Verteidiger der beiden Unternehmer nach einer Zahlungsaufforderung im Juni schließlich ein Pfändungsverfahren ein. Auch dagegen legt der Anwalt der Bank Rekurs ein.
Richter Alex Tarneller erklärt in der Dringlichkeitsverhandlung einen Teil der Pfändung im Juli für rechtens. Es sind jene 600.000 Euro für die dann das Bild von Fortunato Depero gepfändet wird.
Für den Hauptteil der Summe setzt der Richter eine Verhandlung fest, die im September über die Bühne ging. Er will die Parteien anhören. Die Anwälte der Sparkasse versuchen dabei die Kreditwürdigkeit der beiden Unternehmer zu unterminieren und mit dem Argument zu punkten, dass die beiden Kläger, das Geld nicht zurückzahlen können, sollte die Kassation das Urteil aufheben.
Richter Alex Tarneller folgt am Ende diesen Einwänden aber nicht und bestätigt auch diesen Teil der Pfändung. Vergangene Woche zahlt die Sparkasse schließlich die restlichen 4,4 Millionen.
Für eine renommierte Bank dürfte dieses Verhalten ziemlich stillos sein.
Wie schlecht man in der Südtiroler Traditionsbank aber verlieren kann, zeigt sich an einem Detail. Die 600.000 Euro für das Depero-Bild sind noch offen. Inzwischen hat die Sparkasse 100.000 Euro an Kaution hinterlegt um die Pfändung aufzuheben und das Bild auszulösen. Die entsprechende Verhandlung sollte am 4. November vor dem Bozner Landesgericht stattfinden. Wegen des Lockdowns wurde sie aber auf Februar 2021 vertagt. Gleichzeitig suchte die Sparkasse beim Exekutionsrichter um eine Ratenzahlung an.
Für eine renommierte Bank, die die größte Krise ihrer Geschichte inzwischen überwunden hat, dürfte dieses Verhalten ziemlich stillos sein.
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Die Sparkasse müsste doch
Die Sparkasse müsste doch wissen, dass man gegen Große nicht so leicht die eigenen Interessen durchsetzen kann, wie gegen die Kleinen und Schwachen. Diese können schweigend zusehen, wie eine Bank aus der ehemaligen Glanzzeit in eine Jahrzehnte lange Misere abrutscht, aus der sie sich nie mehr erholen wird. Die Verantwortlichen dafür laufen frei herum und führen ein Leben auf der Sonnenseite. Kleinsparer und Kleinaktionäre hingegen können zuschauen, wie ihre Ersparnisse verantwortungslos veruntreut wurden und für immer verloren sind. Dies könnte mal zu einem bösen Erwachen führen, wenn die unendliche Geduld irgendwann in Volkszorn umschlägt. Die Sparkasse täte gut daran, sich einen starken Partner zu suchen und eine Sanierung durch Fusion vorzunehmen.
Ich habe mein Leben in der
Ich habe mein Leben in der Sparkasse verbracht und es schmerzt ein Gedanke besonders heftig: Die mit Stolz gekauften Aktien sind zum größten finanziellen Verlust meines Lebens geworden. Auch stört mich der Gedanke an ehemalige Kollegen, die in führender Position für die Misere mitverantwortlich sind und heute als Pensionisten ein sorgenloses Leben führen. Ich hingegen muss einen Kredit aufnehmen, um eine Investition zu tätigen. Es wird auf dieser Welt leider keine Gerechtigkeit geben. Aber die Stunde der Wahrheit hat oft ganz überraschend geschlagen. Das sollten die Verantwortlichen nicht vergessen.