Der Stadt-Erfinder
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Meran im Dezember 2025. Wer heute vom Bahnhof kommend Richtung Stadtzentrum geht oder die weiten Flächen des Bahnhofsviertels quert, nimmt die städtebauliche Ordnung meist als völlig selbstverständlich hin. Doch das Skelett dieser Urbanität, die logistischen „Nervenbahnen“, die das Leben hier überhaupt erst zum Pulsieren brachten, tragen einen Namen, der heute oft nur noch auf Straßenschildern hallt: Carl Lun. Vor genau einhundert Jahren verstarb der Mann, der Meran die technische Identität und die Kraft der Moderne gab. Es war eine jener schicksalhaften Begegnungen, die eine ganze Region transformieren sollten. Als Carl Lun 1881 nach seinen Studienjahren in München und Wien nach Meran übersiedelte, brachte er nicht nur ein Diplom als Ingenieur mit, sondern ein radikal neues Verständnis von Technik als Gestaltungsfaktor.
Ihr gemeinsamer Stadt-Erweiterungsplan von 1881 war nichts Geringeres als der Masterplan für das moderne Meran.
Ursprünglich für eine Beamtenlaufbahn vorgesehen, entschied er sich gegen die Staatskarriere und für das Wagnis Meran. Gemeinsam mit seinem Schwager Josef Musch gründete er das „Bureau Musch & Lun“.Während Musch oft als der Mann fürs Repräsentative wahrgenommen wurde, war Lun der visionäre Ingenieur-Part. Ihr gemeinsamer Stadt-Erweiterungsplan von 1881 war nichts Geringeres als der Masterplan für das moderne Meran – das Wachstum zwischen Rennweg und Bahnhof folgt bis heute diesen präzisen Linien. Von der Andreas-Hofer-Kaserne bis zum Hotel Habsburgerhof (heute Bellevue) nahm die Stadt in Luns Skizzen erstmals ihren heutigen Umriss an.
Luns eigentliches Meisterstück war jedoch oft unsichtbar. Er begriff früher als andere, dass eine moderne Kurstadt Hygiene, Wasser und Energie braucht. Er war der „Vater“ der Etschwerke. Als 1897 der Grundstein für die Kraftwerke auf der Töll gelegt wurde, katapultierte Lun die Region in eine weltweite Spitzenposition. Binnen weniger Jahre war die gesamte Talsohle zwischen Meran und Bozen lückenlos elektrifiziert – ein technologischer Quantensprung, der zu diesem Zeitpunkt weltweit ohne Beispiel war. Diese Pionierleistung befeuerte Handwerk und Hotellerie gleichermaßen und rückte Südtirol technisch ins globale Rampenlicht.
Luns Horizont endete nicht an den Stadtmauern. Er sah die Alpen nicht als Barriere, sondern als technische Aufgabe. Mit der Gründung des „Vereins für Alpenhotels in Tirol“ im Jahr 1895 bewies er, dass die Erschließung der Bergwelt kein Widerspruch zum Fortschritt war. Monumente wie das Grand Hotel Karersee oder die Häuser in Sulden und Trafoi sind steingewordene Zeugen dieser Ambition. Hier verbanden sich Energie, Materialtransport und moderne Bauweisen zu einer neuen touristischen Identität.
Trotz seiner Macht und seines Einflusses – 1905 wurde er zum Baurat ernannt, 1923 zum Ehrenbürger – blieb Lun ein Mann des Dialogs. Zeitgenossen wie Emil Knägl rühmten seinen „goldenen Humor“ und seine Gabe, sich mit jedem auf Augenhöhe zu unterhalten, auch wenn der „innere Mensch“ hinter der professionellen Fassade oft verborgen blieb.
Meilensteine von Musch & LunZu ihren frühen Schlüsselbauten zählen die Andreas-Hofer-Kaserne (1881) und der Habsburgerhof (1883). Technisch wegweisend war die Elektrozentrale auf der Töll (1897), die die Basis für die moderne Industrie und den Tourismus legte. Neben öffentlichen Bauten wie der Meraner Synagoge (1900) und dem Krankenhaus (1905) schufen sie alpine Ikonen wie das Grand Hotel Karersee (1895) und das Parkhotel Holzner (1905). Ob Etsch-Regulierung oder Hotelbau: Sie gestalteten die funktionale und ästhetische DNA des Landes.
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