Cultura | Neue Texte

Der Lit-Blog stellt vor: Carla Thuile

Während der Schulzeit begann Carla Thuile Kurzgeschichten zu schreiben. Sie gründete mit Freunden das Literaturportal LIPO und studiert nun in Salzburg.

 

Martina singt.

Ihr kennt das doch, wenn auf einer Party plötzlich eine Gitarre auftaucht? Mitgenommen oder sie steht im Wohnzimmer herum. Der Besitzer der Gitarre spielt dann eine Zeit lang, souverän, ein paar Lieder, gemütlich, zum Mitsingen oder im Hintergrund.

Dann legt er die Gitarre weg. Und irgendein Vollidiot schnappt sich die Gitarre. Der versucht dann kläglich, irgendein Lied zu spielen, das er vor ein paar Jahren drauf hatte. Meistens Smoke on the water. Er klimpert herum, sucht die Akkorde und sagt dann „Na, wer kennt's?“ und „Jetzt hab' ich's!“ und bleibt jedes Mal an der gleichen Stelle hängen. Martina fragt dann ganz ruhig. „Darf ich kurz?“ Meistens gibt der Idiot die Gitarre breitwillig weiter, um sich die weitere Peinlichkeit zu ersparen. Jeder denkt, jetzt klimpert die Nächste. Dachte ich auch, bevor ich Martina das erste Mal hörte.

Martina nimmt das Instrument sorgfältig in die Hand, spielt ein paar leise Akkorde, summt ein bisschen. Dann schlägt sie ein paar Mal kräftig in die Saiten, hört man unwillkürlich hin, sie fängt zu singen an. „I heard there was a secret chord, that David played and it pleased the Lord.“ Wow. Sie singt nicht so überkünstelt mit zu viel Vibrato, wie man es in den Castingshows so oft hört, sie hat einen wunderschönen Alt, zart, weich und treffsicher. Mit dieser Stimme schafft sie es, dass in den ersten zehn Sekunden alle Gespräche im Raum verstummen und dass niemand beim Refrain mitsingt, obwohl der Text idiotensicher ist. Höchstens dass ein Musiker eine zweite Stimme summt oder auf der Tischplatte mittrommelt. Die anderen haben zum Glück zu viel Respekt, wenn sich jemand traut, alleine zu singen.

Martina spielt den letzten Akkord, legt die Rechte auf die Saiten, Applaus, sie gibt die Gitarre ohne ein Wort dem Besitzer zurück. Er hat dann zwei Möglichkeiten. Wenn er ungefähr gleich gut wie Martina singt, kann er eins drauf setzen, sonst wäre es unhöflich oder peinlich. Oder er räumt die Gitarre weg und Ruhe ist. Belanglos dahinklimpern oder Akkorde suchen geht nicht mehr, jetzt wo alle Ohren aufs Instrument gerichtet sind. Alle fragen Martina, warum sie kein zweites Lied singt, sie lehnt ab, ohne sich groß zu erklären. Ein zweites ginge aber leicht, ohne dass die Spannung verloren gehen würde.

Aber ich glaube, sie kann nur das eine Lied. Ich habe sie noch nie etwas anderes als Hallelujah spielen gehört. Sie ist eine tolle Musikerin, ohne Zweifel, aber sie ist weder Gitarristin noch besitzt sie eine Gitarre. Aber wie könnte sie uns alle dann so verzaubern. Einmal habe ich sie gefragt, sie hat gelacht. „Es ist das einzige Lied, wo ich den Text und die Akkorde auswendig kann.“ Mehr wollte sie nicht zugeben.

 

 

Das Literaturportal LIPO gibt es seit 2011 und wurde von Carla Thuile, Johanna Ortner, Sophie Jochberger, Markus Windegger und Michael Denzer gegründet. Eine Online-Plattform für Jugendliche die schreiben und veröffentlichen wollen.  LIPO organisiert den Literaturabend "jugendFREIkultur" und den Morgenstern-Slam, den Südtiroler Preis für Poetry-Slam; die Vorrunden dazu starten im Februar.