„Neugierde schaffen“
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SALTO: Herr Kainrath, vor kurzem feierte Mediaart Production das 25-jährige Bestehen, Sie sind seit Anfangstagen dabei. Wie kam es damals dazu?
Peter Paul Kainrath: Wenn man sich 30 Jahre zurückbeamt, hat es in der Südtiroler Medienlandschaft wenige große Filmstudios oder Fernsehproduktionsfirmen gegeben, welche in erster Linie für Rai Südtirol – damals noch Rai Sender Bozen - produzierten. Es war so, dass die Eigentümerpositionierung über den Besitz der Produktionsmittel definiert war. Jene, die Kameras hatten, die damals noch sehr teuer waren, die Schnittplätze hatten, waren auch die Produzenten gegenüber der Rai und die geistige Arbeit wurde von diesen Firmen zugekauft. Damals gab es noch keine Form irgendeiner Ausbildung, Menschen, die im Bereich der Medien aus Südtirol weggegangen sind und studierten, kamen sehr oft nicht zurück. Gegen Ende der 90er-Jahre - ich habe als Mitarbeiter einer Produktionsfirma begonnen und hatte vorher schon sehr viele Radiosendungen im Bereich der klassischen Musik für Rai Südtirol gestalten dürfen - hat sich eine Interessengemeinschaft zwischen Traudi Messini, die schon sehr lange freie Publizistin war, Markus Frings und meiner Wenigkeit gebildet. Wir waren der Überzeugung, dass der Zeitpunkt reif ist, das mal umzudrehen: Die geistige Arbeit ist das Dominierende und Technik kann man sich zukaufen.
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Das war der Grundgeist, die Mediaart zu starten. Der Kern war von Anfang an Traudi Messini, Markus Frings und meine Wenigkeit und als solche stehen wir heute noch da und haben uns gut entwickelt, wenn man das von den Zahlen her sieht, aber noch interessanter von den Erfahrungswerten her, von den Produktionen, die wir aufstellen.
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Mediaart Production Coop
Die Genossenschaft Mediaart Production Coop wurde 1999 von Traudi Taubert Messini, Markus Frings und Peter Paul Kainrath gegründet und ist im audiovisuellen Medienbereich tätig. Von 2003 - 2017 war auch der Schnittmeister Egon Mulser aktives Mitglied der Genossenschaft Mediaart. Ein festes Kernteam arbeitet gemeinsam mit freiberuflichen Mitarbeiter*innen an unterschiedlichen Projekten.
Zu den Auftraggebern gehören unter anderem Rai Südtirol/Rai Alto Adige/Rai Ladinia ORF, SRG, SERVUS TV sowie verschiedene weitere Unternehmen aus Südtirol.
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Wo liegen die Schwerpunkte, die Leitfäden von Mediaart Production?
Wir waren immer darauf bedacht mit allen drei Abteilungen der Rai einen Dialog zu führen, also ladinisch, deutsch und italienisch. Wir sind der Meinung, dass der einzige Herausgeber in der Südtiroler Medienlandschaft, der alle drei Sprachgruppen anspricht, für uns als Produzenten einen Mehrwert bietet. Es ist interessant nachzudenken, wie man dasselbe Thema anders akzentuiert, sodass es maßgeschneidert die betreffende Sprachgruppe angeht. Wir haben drei Schwerpunkte: Traudi Messini produziert etwa die Sendereihe df – das Frauenmagazin, außerdem produziert sie Kunstdokumentationen, das hat sie schon gemacht, noch lange bevor Markus Frings und ich überhaupt begonnen haben. In den letzten Jahren hat sie auch immer wieder die Entwicklung von Spielfilmprojekten mitverfolgt und den Kurzfilm CORTE produziert, der in diesem Jahr beim Filmfestival Bozen im Wettbewerb läuft. Markus Frings ist im Lande eine bekannte Persönlichkeit, die im Bereich von Wirtschaft, Unternehmen und Innovation seine Schwerpunkte gefunden hat. Nachdem er vor ein paar Jahren sehr erfolgreich den Kinospielfilm „Joe der Film“ produziert hat, arbeitet er zur Zeit an mehreren großen internationalen Filmproduktionen. Ich habe aufgrund meiner Herkunft als ausgebildeter Konzertpianist zunächst einmal die Kultur als solche betreut, mit Sendereihen wie die Kulturzeit und heutzutage ist es der Kompass, gemeinsam mit der Audiovision. Dazu kommen Minderheiten, das Minderheitenmagazin Minet in all seinen Facettierungen, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Minderheitenrecht der Eurac. Ich war der Überzeugung, dass dies, zumindest vor 20 Jahren, wie wir damit gestartet sind, eine Farbe war, die in der Südtiroler Medienlandschaft großteils fehlte, obwohl es eine Medienlandschaft ist, die aus einer eigenen Minderheit heraus formuliert ist.
„Jenes Fernsehen, das lokal, territorial, verankert und unverwechselbar ist, das hat ein überdurchschnittlich treues Publikum.“
Worin sehen Sie die großen Veränderungen und Entwicklungen der letzten 25 Jahre, die Mediaart miterlebte?
Mediaart ist letztendlich nur ein Spiegel, eine Realität, die sich verändert, die sich öffnet, die sich internationalisiert. Auf der technischen Seite, der Besitz der Produktionsmittel, das war damals schon ein gewichtiger Unterschied. Nicht viele Menschen konnten die finanziellen Mittel in die Hand nehmen. Ein junger Gestalter, eine junge Publizistin hatten nicht die Möglichkeit, sich diese teuren Kameras anzuschaffen. Das ist heute anders. Die Mittel, die man aufbringen muss, um technisch einwandfreies Fernsehen zu produzieren, sind gesunken. Die Professionalisierung der Gestalter hingegen ist gestiegen. Heute gibt es eine jüngere Generation, die sehr gut ausgebildet ist. Auch die Auftraggeber selbst bewegen sich in einem Kontext anderer Sender.
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Inwiefern?
Heute ist es für uns alles eine Selbstverständlichkeit, was die RAS ins Land bringt. Das war vor drei Jahrzehnten noch lange nicht so. Wenn ich heute von Bozen nach Eppan fahre und BBC Radio höre, war das vor zehn Jahren noch nicht möglich. Das hat eine Wirkung, bei jenen, die über Produktionen entscheiden, bei jenen, die sie ansehen. Wir sind mit unseren Produktionen im Wettbewerb mit anderen Programmen, die etwa im bundesdeutschen Fernsehen oder österreichischen Fernsehen produziert werden, die mit einem Vielfachen des Budgets arbeiten.
Das generalisierte Fernsehen gerät immer mehr unter Druck durch verschiedentliche andere Medien. Jenes Fernsehen, das lokal, territorial, verankert und unverwechselbar ist, das hat ein überdurchschnittlich treues Publikum. Deswegen können wir auch mit relativ überschaubaren Mitteln Fernsehen machen, das alle angeht, die hierzulande Fernsehen schauen.
Wie Sie schon ansprachen, ist das Minderheitenmagazin Minet bereits über 20 Jahre alt. Was waren da die Ursprünge?
Wir haben damals ebenjene Feststellung gemacht, dass in der Südtiroler Medienlandschaft die eigene Minderheit tendenziell zu absolut gesetzt wird und kaum Vergleiche angestellt werden mit anderen Minderheiten, die sich historisch an einem anderen Punkt der Entwicklung finden. Ich habe es faszinierend gefunden, dass immer da, wo Minderheiten um ihren Erhalt oder um ihre Weiterentwicklung kämpfen, die Ideologie in die zweite Reihe rückt. Sie werden Minderheiten finden, die sich sehr virtuos und beispielhaft weiterentwickeln, die politisch gesehen eher Mitte-Rechts angesiedelt sind, andere Mitte-Links, andere wieder im Zentrum und andere, die sich weit jenseits des Parteienspektrums befinden, das üblicherweise den Nationalstaat dominiert. Wir stehen heute vor einem Desaster des Nationalstaates, weil er Größen angenommen hat, die einerseits zu klein sind, um auf dem Planeten irgendwie noch gewichtig etwas verändern zu können und andererseits zu groß sind, um auf dem eigenen Territorium Dinge wirklich nachhaltig weiterzubringen.
Die Minderheiten haben eine Größe, vorausgesetzt es gibt eine Autonomie, wie es zum Beispiel in Südtirol der Fall ist, wo die Wege kürzer sind und viele Dinge de facto umgesetzt werden können. Solche Erzählungen aufzuzeigen, also Entwicklung, Dynamik, Erhalt und Kulturgut, das treibt uns an.
Erhalt von etwa?
Jeden 40. Tag stirbt eine Sprache. Wenn eine Sprache stirbt, steht dahinter eine Minderheit. Eine Sprache ist die Fähigkeit, für diesen Lebensraum Begrifflichkeiten und Erzählungen gefunden zu haben, die genau das beschreiben. Wenn diese Sprache stirbt, stirbt dieses Wissen. Das ist etwas, was uns antreibt. Wir wollen die Beschäftigung mit Minderheiten nicht als folkloristisches Unterhaltungstum verstanden wissen, sondern als ein Engagement jener, die die Möglichkeiten haben, Sichtbarkeit zu erzeugen in den Medien, dieses Wissen zu schützen und dieses Wissen weiterzutragen. Da liegt das große Entwicklungspotential von Minet.
Unsere Mittel sind noch zu bescheiden, aber wenn wir imstande wären, ein Netzwerk gleichgesinnter ProduzentInnen und Fernsehkanäle zusammen zu spannen, dann hätten wir eine kritische Größe, die auch für das nicht minderheitenrelevante Publikum von Interesse sein kann, weil Wissen transportiert wird.
Minet gehört demnach zu den Ankern von Mediaart?
Wir sind froh, dass Rai Südtirol zu Minet ein ganz klares Bekenntnis abgegeben hat und es, vom Inhalt her, als core business beschreibt. Dieser Inhalt darf auf Rai Südtirol, auf Rai Alto Adige und Rai Ladinia nicht fehlen.
Auch online?
Auch online gibt es das. In der Rai-Mediathek kann man inzwischen alles nachsehen. Wir betreiben aus eigener Initiative, auch dank einer Förderung, die wir von der Autonomen Region Trentino-Südtirol erhalten, eine eigene Minet-Webseite in vier Sprachen, wo wir diese Inhalte platzieren, ordnen, und archivieren. Wir bieten auch eine englische Fassung an, damit jene, die wir aufsuchen, diese Berichte über sich selbst sehen können und das weitere Kreise ziehen kann.
Was sind Projekte, die die Mediaart anpeilt beziehungsweise in Zukunft anpeilen will?
Wir haben ein neues Format lanciert, die Minet-Dokumentation, sie hat einen niedrigeren Halbzeitwert als die Sendung. Hierbei ist eine erste Doku entstanden, die den Glauben, das Pilgern zum Thema hat, also drei Minderheiten, bei denen das Pilgern jeweils eine andere Akzentuierung erfährt. Das wollen wir weiter ausbauen, weil die Doku uns Möglichkeiten gibt, im Rahmen eines Dokumentarfilmfestivals, im Rahmen anderer Sendeplätze, neue Wirkungen zu entfalten, mehr Zeit zu haben, ein Thema gründlicher zu vertiefen, als es eine mit schnellerem Rhythmus geschnittene Reportage erlaubt.
Haben Sie schon konkrete Pläne für die nächsten Ausstrahlungen, für die nächsten Themen?
Die Themen, die uns interessieren, in denen wir uns momentan vertiefen, für die wir Finanzierungen suchen, das sind die Pfeifsprachen. Es gibt eine Pfeifsprache auf La Gomera, das ist etwas Grandioses, dass sich ein Volk dieses Wissen behält über Pfeifen, Dinge mitzuteilen. Das andere sind verlassene Dörfer der Griechen in Kalabrien und es ist grandios zu sehen, wie sich die Antike dort in einer griechischen Konnotierung entfaltet hat und jetzt Gefahr läuft, ruinenhaft zurückzubleiben, weil immer mehr Dörfer verlassen werden, weil es dort Armut gibt. Das wollen wir festhalten.
Was würden Sie sich erhoffen oder erwünschen, was die Zukunft der Mediaart bringen kann?
Ich wünsche mir, dass Mediaart wächst, dass Mediaart nach wie vor den Raum hat, über diese Themen zu berichten, die in einem quotengepeitschten Mainstream-Fernsehen keinen Platz mehr haben. Wenn die Mediaart es schafft, in den nächsten zehn Jahren noch mal internationaler zu werden, sich zu vernetzen, dann sehe ich noch einen großen Schritt für diese Mediaart.
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Für das Wachstum als Unternehmen?
Was heißt Wachstum im Bereich der Medien? Natürlich kann man das in Bilanzen abbilden, kann man das in Sendeminuten abbilden, aber das eigentliche Wachstum, was für uns interessant ist, ist die Sichtbarkeit für diese Inhalte, die Relevanz dieser Inhalte, die Nachhaltigkeit dieser Berichterstattung, sprich, dass da Dinge in einen Kreislauf gebracht werden, die etwas auslösen, was wir heute gar nicht beabsichtigen können, aber weil Entscheidungsträger im richtigen Moment auf das aufmerksam werden, weil ein Wissen, das Gefahr läuft, verloren zu gehen, aufgehoben bleibt, zumindest in dieser Dokumentation.
Das heißt in einem einfachen Satz heruntergebrochen, als Mediaart sehen wir uns nicht als Genossenschaft, die irgendwelche Inhalte für das territoriale Publikum schafft, sondern wir wollen aus der Sicht eines territorialen Publikums über vergleichbare Wirklichkeiten und Realitäten berichten, die dafür begeistern, und gleichzeitig aber auch einen Dialog mit genau denen führen. Dort geschieht Wachstum.
„Die Mittel, die man aufbringen muss, um technisch einwandfreies Fernsehen zu produzieren, sind gesunken. Die Professionalisierung der Gestalter hingegen ist gestiegen.“
Also in dem Sinne die Erfüllung eines Bildungsauftrags?
Einen Bildungsauftrag, das wäre mir zu hoch gegriffen, weil ich mir nicht erlauben würde, irgendjemanden zu belehren. Aber zu initiieren und zu begeistern oder Neugierde zu schaffen, das passt sehr wohl.
Wie wird die Mediaart unterstützt?
Sie wird finanziell unterstützt von der Autonomen Region Trentino-Südtirol, von der Rai durch den Erwerb der Senderechte und inhaltlich sehr vom Minderheiteninstitut der Eurac. Bei größeren Dokumentarfilmprojekten, Spielfilm- oder Kurzfilmprojekten spielt die Unterstützung der IDM Filmförderung eine fundamentale Rolle.
Wenn Sie auf Ihre bisherige Zeit bei der Mediaart zurückblicken, was sind Meilensteine oder Projekte, auf die Sie besonders gerne zurückblicken, die Sie mit einem gewissen Stolz erfüllen?
Minet bereitet uns eine große Freude. Als Präsident der Mediaart freue ich mich über alle Erfolge meiner Genossinnen und Genossen, also Traudi Messini und Markus Frings, die immer wieder grandiose Dinge hervorbringen und seit einigen Jahren mit internationalen Co-Produktionen, auch Dank der Unterstützung der IDM verschiedene Filmprojekte realisieren konnten und können Über die Jahre ist ein sehr erfahrenes Kernteam zwischen Martina Kreuzer, Ulrike Plattner und Eleonora Delladio sowie den letzthin hinzugekommenen Editorinnen Lydia Gasparini und Demetra Rizzi - beide Zelig-Abgängerinnen - herangewachsen, um das sich noch zahlreiche freie, uns treu verbundene MitarbeiterInnen scharen. Ein feministisches Fernsehmagazin wie dF, welches von Traudi Messini produziert und von Martina Kreuzer koordiniert wird, ist keine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die unzähligen Projekte, die Markus Frings beisteuert. Ich bin froh, dass der Kultur einen großen Stellenwert beigemessen wird - das ist der Verdienst von Rai Südtirol,dass wir über viele Jahre die Kulturzeit produzieren durften und jetzt den Kompass in einer Co-Produktion mit Audiovision von Helmut Lechthaler gemeinsam mit Astrid Kofler. Wir sind nur einmal im Monat auf Programm, aber das ist eine ganze Stunde, die uns einen breiten Raum gibt.
Dass wir über Deklinationen dieser Sendungen, über diese Sendeformate mit allen Sprachgruppen einen Dialog auf Augenhöhe pflegen und den auch öffentlich pflegen, auch das betrachte ich als Quell der Freude.