Politica | Grüner Pass

"Der Pass nimmt niemandem etwas"

SVP-Senatorin Julia Unterberger antwortet auf die Kritik am europäischen Grünen Pass: "Es geht nicht um Privilegien, sondern darum, garantierte Rechte zurückzuerlangen."
viaggi covid
Foto: Isacco Gavazzi

Am 17. März hat die Europäische Kommission den "Grünen Pass" vorgestellt, der das Reisen für Covid-19 Geimpfte, Genesene und Getestete innerhalb der EU ab Sommer 2021 ermöglichen soll. Die Initiative, die von allen EU-Staaten mitgetragen wird, wird nun dem Europäischen Parlament zur Abstimmung vorgelegt. 

Der “Grüne Pass” ist nicht unumstritten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) lehnt den Pass ab und auch einige Experten und Politiker warnen vor verfrühter Euphorie: Wir wissen noch nicht, wie lange die Impfung wirksam ist und ob sie auch die Ansteckung anderer verhindert. Lyn Gartner, Initiatorin der Petition “Kein Impfpass für Südtirol”, äußert vor allem ethische Bedenken: Ein Impfpass könnte die Spaltung der Gesellschaft zwischen Geimpften und nicht Geimpften bewirken.

Julia Unterberger stellt sich gegen die kritischen Stimmen: Im Interview argumentiert die Juristin und SVP-Senatorin, warum der “Grüne Pass” für alle gesellschaftlichen Gruppen die beste Lösung sei.

 

 

Salto.bz: Sie haben sich im Senat dafür ausgesprochen, einen Impfpass auch in Italien in Betracht zu ziehen. Jetzt hat die Europäische Kommission den “Grünen Pass” vorgestellt, der das Reisen für Geimpfte, Genesene und Getestete innerhalb der EU ermöglichen soll. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Julia Unterberger: Natürlich ist das ein Schritt in die richtige Richtung! Wir wollen alle unsere Freiheiten zurück. Menschen, die weder sich selbst noch andere gefährden, können nicht weiter eingesperrt werden. Dafür gibt es keine Begründung. Der Zustand, in dem wir uns befinden, ist kein Normalzustand. Die Verfassung garantiert unser Recht, uns frei bewegen zu dürfen. Aufgrund der Pandemie musste dieses Recht, – um uns selbst und andere zu schützen –, eingeschränkt werden. Wenn ich weder mich selbst noch andere gefährde, ist die rechtliche Grundlage, um von der Verfassung garantierte Rechte zu beschränken, nicht mehr gegeben. Der Impfpass hat nichts mit Privilegien zu tun: Er erlaubt es, Rechte, die jedem Bürger, jeder Bürgerin, zustehen, zurückzuerlangen.

Wir wissen noch immer nicht, inwieweit die Impfung auch vor einer Weiterverbreitung des Virus schützt. Macht ein Impfpass auch ohne diesbezügliche Erkenntnisse Sinn?

Die Gewissheit, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend sind, ist natürlich die Voraussetzung. Sonst hat ein Impfpass keinen Sinn. Laut Experten sind geimpfte Personen aber mit großer Wahrscheinlichkeit kaum oder überhaupt nicht mehr ansteckend. (Anmerkung d. R.: Erste Erkenntnisse der Impfproduzenten sind vorsichtig optimistisch; in Israel, wo die Durchimpfung der Bevölkerung schon weiter fortgeschritten ist, wurde eine reduzierte Viruslast bei Geimpften beobachtet. Das Robert Koch Institut gibt hingegen an, dass diesbezügliche Erkenntnisse noch ausständig sind.)

Die Petition “Kein Impfpass für Südtirol”, die mittlerweile rund 4000 Unterschriften gesammelt hat, spricht sich klar gegen einen Impfpass aus. Ihre Begründung: Der Impfpass zwingt Menschen zwischen ihrem “Recht auf körperliche Unversehrtheit”, das durch eine Impfung beschnitten sei, und der “Teilnahme am öffentlichen Leben” wählen zu müssen. Können sie dieser Argumentation etwas abgewinnen?

Nein. Ich vertraue der Wissenschaft. Laut dieser ist gerade die Impfung das beste Instrument, das für körperliche Unversehrtheit sorgt. Sie ist kein Instrument, das diese bedroht. Außerdem wird niemand zur Wahl zwischen einer Impfung und der Teilnahme am öffentlichen Leben gezwungen: Wenn Impfgegner ihrer – nicht nachvollziehbaren Überzeugung – nachgehen möchten, können sie statt der Impfung jedes Mal eine Testung vornehmen. Den Impfgegnern wird nichts genommen. Sie haben die gleichen Möglichkeiten wie jetzt. Solang die Impfung nicht verpflichtend ist, können sie bei ihrer Haltung bleiben. Dass aber andere sich impfen lassen dürfen, um ihre Freiheit zurückzugewinnen, werden sie hoffentlich nicht infrage stellen.

Trotzdem nehmen wir mit dem Impfpass eine gewisse Spaltung in Kauf, die Nicht-Geimpften die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zumindest erschwert. Warum ist dieser Weg einer allgemeinen Impfpflicht vorzuziehen?

Weil man jene Menschen, die glauben, dass ihre körperliche Unversehrtheit durch die Impfung beeinträchtigt wird, nicht zu diesem Schritt zwingen möchte. Für mich ist die Kritik, dass eine Gruppe dadurch mehr darf, als andere, nicht nachvollziehbar. Wollen wir unser Zusammenleben auf Neid aufbauen? Weil ich das nicht darf, darfst du das auch nicht? Dass andere zu Hause bleiben müssen, weil ich noch nicht geimpft bin und deshalb auch zu Hause bleiben muss, ist keine Argumentation, der ich folgen kann. Für Neiddiskussionen habe ich wenig Verständnis. Ich gönne es der älteren Generation, die am stärksten von der Pandemie betroffen ist und zuerst geimpft wird, in den Urlaub fahren zu dürfen; selbst wenn ich das noch nicht darf. Mir würde nicht im Traum einfallen zu verlangen, dass alle zu Hause bleiben müssen, weil ich noch nicht geimpft bin.

 

Für mich gibt es nur Fragen der technischen Umsetzung.

 

Das heißt, sie befürworten einen Weg, wie Österreich ihn gerade einschlägt: Auch wenn noch nicht alle Bürger Zugang zur Impfung hatten, sollen jene, die bereits geimpft wurden, ab Mitte April gewisse Freiheiten erhalten.

Ja, ich bin dafür, dass der Impfpass ausgestellt wird, auch wenn noch nicht alle die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen. Der Alleingang Österreichs in Europa ist eine andere Frage. Der Impfpass hat zwei Funktionen: Einerseits soll er es ermöglichen, dass die Grenzen ohne Probleme passiert werden können. Das kann nicht im Alleingang funktionieren. Andererseits kann jeder Staat für sich entscheiden, was innerstaatlich mit dem europäischen “Grünen Pass” erlaubt wird. Das heißt, jeder Staat entscheidet, welche Freiheiten den Inhabern des Passes, also den Geimpften, Getesteten und Genesenen, gegeben werden; Theater, Kino, Fußballspiele, Tanzkurse und Ähnliches.

Ob der Impfpass in Italien letzten Endes anerkannt wird, ist dem italienischen Parlament überlassen. Braucht es hier eine weitere Debatte im Parlament?

Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi hat – wie alle anderen europäischen Tourismusländer – größtes Interesse daran, den Pass auch in Italien umzusetzen. Es gibt zwar vereinzelt Stimmen, die zur Vorsicht mahnen: aufgrund der sensiblen Daten, die verarbeitet werden oder aufgrund Bedenken in Bezug auf eine in zwei Kategorien geteilte Gesellschaft. Ich bin aber überzeugt, dass die Mehrheit der Parlamentarier sich für den Impfpass aussprechen wird. 

Welche zentralen Fragen müssen diskutiert werden?

Für mich gibt es nur Fragen der technischen Umsetzung. Ich würde einen Impfpass auch dann einführen, wenn nur 20 Prozent der Bevölkerung geimpft wurden. Dann sollen zumindest jene, die geimpft sind, in der Zwischenzeit in den Urlaub fahren dürfen. Das schadet mir in keinster Weise. Im Gegenteil: Es kurbelt den Tourismus an. Jede wirtschaftliche Aktivität, die möglich ist, muss durchgeführt werden. Schließlich werden die Ausgleichsgelder von unseren Steuern bezahlt.

Praktisch entstehen aber trotzdem Nachteile für nicht-Geimpfte: beispielsweise Testpflicht, längere Quarantäne bei der Einreise oder ein nicht-gewährter Zugang. Warum sind diese Nachteile nicht als Diskriminierung zu bezeichnen?

Man könnte von Diskriminierung sprechen, wenn die Impfung käuflich wäre. Während reiche Menschen sich durch eine Impfung ihre Freiheiten zurückkaufen könnten, hätten weniger betuchte Menschen diese Möglichkeit nicht. Das wäre tatsächliche eine Diskriminierung. Da in allen europäischen Ländern die Impfungen aber von der öffentlichen Hand und nach nachvollziehbaren Kriterien vorgenommen werden – in erster Linie nach dem Alter –, sehe ich keine Diskriminierung: Den Menschen, die geimpft sind, werden ihre Freiheiten zurückgegeben. Alle werden drankommen. Einige, vor allem jüngere Menschen, werden eine Zeit lang warten müssen. Sie haben aber keinen Schaden davon, dass andere sich inzwischen frei bewegen können; es entstehen ja keine zusätzlichen Hürden. Im Gegenteil: Sie profitieren unter anderem von kürzeren Wartezeiten bei Tests oder an den Grenzen. Und wenn genügend Personen geimpft sind, wird die Quarantäne bei Grenzüberschreitungen auch für Nicht-Geimpfte wegfallen.

Die Petition gegen einen Impfpass in Südtirol beruft sich vor allem auf Artikel 13 der italienischen Verfassung, der die persönliche Freiheit und somit – laut Unterstützer – die Entscheidung, ob sich jemand impfen lassen möchte oder nicht, als unantastbar erklärt. Wird diese Freiheit durch den Impfpass eingeschränkt?

Nein. Wer sich nicht impfen lassen möchte, kann auf die Impfung verzichten und durch kontinuierliches Testen weiterhin am öffentlichen Leben teilnehmen.

Ihre Stellungnahme in drei Sätzen?

Der Impfpass nimmt niemandem etwas weg. Rechtlich kann die Freiheit des Einzelnen nicht eingeschränkt werden, wenn weder eine Gefährdung für sich selbst noch für andere gegeben ist. Unter der Voraussetzung, dass eine Impfung die Ansteckungsgefahr minimiert, muss es allen Geimpften daher erlaubt sein, sich frei bewegen zu dürfen.