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„Mehrheit steht hinter dem Klimaland“

Die Aktivistin Ruth Heidingsfelder ist Mitglied des Stakeholderforums zum Klimaplan. Über Greenwashing, Zeitdruck und das Fehlen der Bauern am Tisch.
Ruth Heidingsfelder
Foto: privat
  • SALTO: Frau Heidingsfelder, Sie nehmen als Vertreterin der Umweltverbände am Stakeholder Forum zum Klimaplan teil. Wie ist der Austausch mit den anderen Interessensgruppen?

    Ruth Heidingsfelder: Der Austausch ist sehr gut. Ich denke, das Wertvollste am Stakeholder Forum ist, dass wir mit Menschen aus anderen Verbänden in Kontakt treten. Gerade mit den Vertretern der Wirtschaftsverbände hat man normalerweise selten Kontakt. Nun ist man gezwungen, miteinander zu sprechen und sich gegenseitig zuzuhören, und das auf Augenhöhe. Aus gesellschaftlicher Sicht halte ich das für einen großen Gewinn.

    „In dieser Arbeitsgruppe sitzen kein aktiver Landwirt und keine aktive Bäuerin.“

    Welche Ziele verfolgen die Umweltverbände beim Stakeholder Forum?

    Wir wollen, dass der Klimaplan verbindlich wird und zu einem echten Klimaplan wird, der alle wichtigen Bereiche abdeckt. Es geht nicht nur darum, das politisch Mögliche zu machen, sondern auch das Notwendige. 

  • Das Stakeholder Forum zum Klimaplan

    Das Stakeholder Forum Klima wurde von der Landesregierung eingerichtet. In fünf Arbeitsgruppen diskutieren die Vertreterinnen und Vertreter aus Kultur, Gewerkschaften, Wirtschaft und Umwelt zu Ernährung und Landnutzung, Konsum und Produktion, Wohnen, Mobilität und Energie. Ihre Vorschläge werden der Landesregierung vorgelegt werden. Das vierte Treffen findet am 4. Mai im NOI Techpark gemeinsam mit dem Klimabürgerrat statt. 

  • Wie beurteilen Sie die Maßnahmen zum Klimaplan?

    Sie sind nicht ausreichend. Der erste Entwurf des Klimaplans war ambitioniert, die endgültige Version dagegen verwässert. Zentrale Maßnahmen, die von Expertinnen und Experten mit viel Hirnschmalz erarbeitet wurden, sind einfach daraus verschwunden. Auch fehlen feste Vorgaben, Zahlen und Fristen. Es ist fraglich, ob dieses Dokument überhaupt Klimaplan genannt werden kann. 

    Wie hätten Sie es gemacht?

    Man hätte zuerst einen partizipativen Prozess mit der Bevölkerung machen, ihnen unabhängige Expertinnen zur Seite stellen und dann den Klimaplan ausarbeiten müssen. Nicht andersherum. Ich kann nicht einfach die besten Köpfe des Landes bitten, Maßnahmen auszuarbeiten, die ich dann in der Schublade verschwinden lasse, weil sie mir nicht genehm sind, und danach die Bürger bitten, das Gleiche nochmal zu tun, damit ich mein Land mit einem Klimabürgerinnenrat schmücken kann. Das ist absurd und riecht nach Greenwashing. 

    „Wenn ich aber mit Populisten eine Regierungskoalition eingehe, dann riskiere ich mein Ziel, Klimaland zu werden.“

    Sie arbeiten im Stakeholder Forum ehrenamtlich in der Arbeitsgruppe Ernährung und Landnutzung. 

    In dieser Arbeitsgruppe sitzen kein aktiver Landwirt und keine aktive Bäuerin. Mit uns diskutiert ein einziger Bauernvertreter (Siegfried Rinner, Direktor des Südtiroler Bauernbunds, Anmerkung d. R.). Die restlichen Personen gehören zum Raiffeisenverband, zum Dachverband für Gesundheit und Soziales und zu den Kultur- und Umweltverbänden. Für diesen Themenkomplex braucht es aber zwingend die betroffenen Landwirtinnen und Bauern selbst oder Agrarexperten aus der Praxis. 

  • Bei der Vorstellung der Partizipationsformate Klimabürgerinnenrat und Stakeholder Forum Klima: v.l. Ulrich Santa (KlimaHaus Agentur), Marc Zebisch (Eurac), Klaudia Resch (Prozessteam), Peter Lang (Mitglied Klimabürgerinnenrat), Emanuela Passerini (Mitglied Klimabürgerinnenrat), Federico Giudiceandrea (Südtiroler Wirtschaftsring), Ruth Heidingsfelder (Climate Action) und Arno Kompatscher (SVP-Landeshauptmann); Foto: LPA/Fabio Brucculeri
  • Wieso ist genau diese Berufsgruppe so wichtig?

    Ohne die gesellschaftliche Gruppe der Bäuerinnen kann ich keine Maßnahmen für eine nachhaltigere Landwirtschaft erarbeiten. Als Umweltaktivistin habe ich natürlich dezidierte Vorstellungen davon, wie eine emissionsreduzierte Landwirtschaft aussehen muss. Die muss ich aber mit den Bedürfnissen der Landwirtschaft abgleichen, ansonsten gehen die Maßnahmen an der Lebens- und Arbeitsrealität der Landwirtinnen und Landwirte vorbei. Dazu braucht es Menschen, die Ahnung von landwirtschaftlicher Produktion in Südtirol haben.

    Wie realistisch ist es, dass Ihre vorgeschlagenen Maßnahmen von der Landesregierung umgesetzt werden? 

    Es herrscht überall Konsens, dass die Zeit extrem drängt, um Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Wenn ich aber mit Populisten eine Regierungskoalition eingehe, dann riskiere ich mein Ziel, Klimaland zu werden und den Klimaplan umzusetzen. Leider ist der Klimaplan nicht rechtlich bindend, wir haben kein Klimagesetz. Dennoch ist es in meinen Augen die dringlichste Aufgabe der Landesregierung, den Klimaplan mit all seinen Maßnahmen möglichst schnell umzusetzen.

    Konkret: Welche Maßnahmen bräuchte es jetzt, zum Beispiel in der Landwirtschaft?

    Wir müssen bei den größten Emissionsquellen ansetzen. In der Landnutzung ist das die Viehwirtschaft, hier gab es im ersten Entwurf des Klimaplans bereits gute dezidierte Vorschläge. Ehrlich gesagt habe ich da auch keine Lust argumentieren zu müssen. Es herrscht weltweit Konsens darüber, dass wir so schnell wie möglich handeln müssen, und es gibt bereits viele ausgearbeitete Vorschläge, die umgesetzt werden können. 

    „Alles, was jetzt kommt, wird ziemlich sicher ziemlich weh tun.“

    Der neue Umweltlandesrat Peter Brunner betont immer wieder, wie wichtig es sei, beim Klimaschutz die Bevölkerung mitzunehmen. 

    Das ist zweifelsohne wichtig. Ich frage mich aber langsam, wie lange man die Bevölkerung noch „mitnehmen“ muss, wenn wir seit 20 Jahren über die desaströsen Folgen einer hinausgeschobenen Klimapolitik reden, aber die großen Einschnitte weiterhin vermeiden. Zudem sollte uns die ASTAT-Umfrage von 2022 zu denken geben, in welcher sich bereits vor zwei Jahren mehr als 70 Prozent der Bevölkerung dafür ausgesprochen haben, dass die Politik in Südtirol den Klimaschutz vor wirtschaftliche Interessen stellen sollte. Die Mehrheit der Bevölkerung steht längst hinter dem gemeinsamen Ziel Klimaland zu werden.

    Wieso tut sich die Politik bei echtem Klimaschutz trotzdem so schwer?

    Alles, was jetzt kommt, wird ziemlich sicher ziemlich weh tun, weil wir mit effektiven Maßnahmen viel zu lange gewartet haben. Für die Politik wird es immer schwieriger, das zu kommunizieren. Wir wiegen uns alle noch in dem Glauben, wir könnten es vielleicht noch irgendwie schaffen, ohne etwas Grundlegendes an unserem Lebensstil zu ändern. In der Zeit, in der wir das glauben und echten Klimaschutz hinauszögern, verschärfen wir das Problem noch weiter. 

    Wenn der Stakeholder-Prozess dazu beiträgt, dass uns die Notwendigkeit des Handelns aufgeht, ist gesellschaftlich gesehen sicher etwas gewonnen. Was die Politik betrifft, gibt es aber keinen Zweifel daran, dass das, was wir da erarbeiten, gesetzlich bindend werden muss. 

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Gasteiger josef Sab, 04/20/2024 - 18:48

In risposta a di Johannes Engl

So wie ich die landschaft der jetzigen regierungsparteien sehe, glaube ich nie, dass sie den mut aufbringen, die notwensigen, kostspieligen und schmerzhaften entscheidungen zu treffen, sie haben zu große angst vor wählerverlust. Und die umbrüche im sinne von schrumpfung, z.b. im tourismus in landwirtschaft konsumverhalten flächenverbrauch energieeinsparung, verkehrsbeschränkungen ecc müssem in dieser legislatur beschlossen werden oder zumindest in die wege geleitet werden. Ich vertraue da mehr auf die natur, die wird uns ohne politik zur vernunft und umkehr zwingen, so leid mir das für unsere jugend tut.

Sab, 04/20/2024 - 18:48 Collegamento permanente
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Josef Fulterer Sab, 04/20/2024 - 21:45

Die zunehmenden Ausreißer beim Klima beweisen, "die Natur hat ernsthaftes Fieber!"
Die Politiker glauben noch immer, das wird sich mit ihrem Inhalts- + Substands-losen Geplapper + den paar Euros schon beseitigen lassen.

Sab, 04/20/2024 - 21:45 Collegamento permanente
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Peter Gasser Mar, 04/23/2024 - 07:54

Zitat: “Man hätte zuerst einen partizipativen Prozess mit der Bevölkerung machen, ihnen unabhängige Expertinnen zur Seite stellen und dann den Klimaplan ausarbeiten müssen. Nicht andersherum. Ich kann nicht einfach die besten Köpfe des Landes bitten, Maßnahmen auszuarbeiten, die ich dann in der Schublade verschwinden lasse, weil sie mir nicht genehm sind, und danach die Bürger bitten, das Gleiche nochmal zu tun, damit ich mein Land mit einem Klimabürgerinnenrat schmücken kann. Das ist absurd und riecht nach Greenwashing”:

Das IST “Greenwashing”, so meine persönliche Sicht dazu. Die Experten und die Politik wissen schon lange, was wirksam zu tun ist.

Weil aber, anders als im Titel geschrieben, die “Mehrheit” NICHT “hinter dem Klimaland steht”, wagt bzw. will die für lediglich wenige Jahre gewählte Politik nicht.

Die Politik weiß aufgrund der Experten, dass es neben der hier immer angeführten Landwirtschaft VOR ALLEM um Energie (Heizung, Warmwasser - also Kohle, Gas) und Verkehr (Verbrennermotoren) geht, und um die möglichst kostengünstige globale Warenproduktion und den globalen Warenverkehr: das trifft dann aber nicht nur den Landwirt als sehr kleine Bevölkerungsgruppe, sondern ALLE, jeden Bürger: Heizen, Fahren, Urlaub, Konsum.
99% der Waren im Supermarkt, in Kaufhäusern und im Onlinehandel werden in “Monokultur” unter Verwendung “chemisch synthetischer Produktions- und Schutzmittel” hergestellt - und nicht nur die Lebensmittel.
Als Beispiel hat jeder an seinem Auto 4 Räder aus chemisch-synthetischem Gummi - und kein Mensch fordert, trotz Abrieb und Mikroplastik, Naturkautschuk.

Die Mehrheit steht NICHT hinter dem Klimaland - darum traut sich die KURZFRISTIG auf Wahlen hin denkende Politik nicht, LANGFRISTIG wirksame Maßnahmen zu setzen.
Wüsste Sie, dass die Mehrheit diese mittragen würde, bräuchte die Politik ja, unter dem Jubel der Wähler, nur die von Experten vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen.

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2 Mal ist eine Volksbefragung in der Schweiz gescheitert, mit der der Bürger ein Verbot von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln mit dem damit verbundenen Verbot, damit erzeugte Produkte in den Handel zu bringen, beschließen konnte.
Der Bürger wollte dies mehrheitlich nicht - wohlinformiert und wohlwissend, welchen großen Einschnitt er für jeden Einzelnen damit beschließen würde (also nicht nur für “den anderen”, sondern auch für sich als Konsumenten selbst).

Mar, 04/23/2024 - 07:54 Collegamento permanente