Ambiente | Tiere
Der Weg der Vögel
Foto: Suedtirolfoto.com / Othmar Seehauser
Oskar Niederfriniger und Bruno Siviero sind ein gut eingespieltes Team. Die beiden Vogelexperten kontrollieren regelmäßig den Vogelbestand im Naturschutzgebiet am südlichen Rand des Kalterer Sees. In Regenstiefeln stapfen die Beiden in den frühen Morgenstunden durch den Auwald von Netz zu Netz. Das Zwitschern der Vögel erfüllt die Luft.
Die Netze sind an drei verschiedenen Stellen angebracht worden, im Schilf, zwischen den Bäumen und auf einer freien Fläche. So sollen verschiedene Vogelarten für eine kurze Zeit gefangen werden, denn jede Art bevorzugt einen anderen Lebensraum. Fliegt ein Vogel hinein, verfängt er sich in den Maschen und fällt in das weite Netz nach unten. Dann muss der Vogel aus den Maschen befreit und in einen Stoffbeutel gesteckt werden.
Flugrouten der Zugvögel
„Die wissenschaftliche Vogelberingung wurde vor über 100 Jahren in den Niederlanden und Norddeutschland erfunden, um die Vögel individuell zu markieren. Auf diese Weise kann man, wenn man sie wiederfindet, herausfinden, wohin sie fliegen, wie alt sie werden und ob sie wiederholt dieselben Brutplätze nutzen“, erklärt Niederfriniger. Damals waren die Flugrouten der Zugvögel noch unbekannt.
„Die Kurzstreckenzieher überwintern im Mittelmeerraum, die Langstreckenzieher in Zentral- und Südafrika“, sagt Niederfriniger. „Aufgrund der globalen Erwärmung sind die Temperaturen hier milder und es kommt vor, dass die Vögel auch hier überwintern“, erklärt der Vogelexperte.
Neben der Erforschung der Zugrouten von Vögeln kann die Beringung auch zur Beobachtung des Artenbestands und der Entwicklung der Artenvielfalt genutzt werden. Jede Tierart hat eine bestimmte Funktion im Kreislauf eines Ökosystems. Das zeigt sich auch am Beispiel der Insekten, die für viele Vögel eine wichtige Nahrungsquelle darstellen.
Aufgrund des Nahrungsmangels gibt es immer weniger und kleinere Bruten.
Artenvielfalt
Durch den Rückgang an Insekten fehlt es auch den Vögeln in Südtirol an Nahrung. „Aufgrund des Nahrungsmangels gibt es immer weniger und kleinere Bruten“, so Niederfriniger. „Wissenschaftler der Universität Innsbruck bemerkten in den letzten Jahren im Vinschgau einen rasanten Rückgang der Nachtfalter namens Blutströpfchen, die tagsüber in Gruppen auf Distelköpfen sitzen. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Rückgang mit der Besprühung von Apfelanlagen im Talboden zusammenhängt.“ Die starken Aufwinde im Vinschgau würden das Spritzmittel auf die Berghänge wehen, was zu einem Rückgang der Insektenpopulationen insgesamt führen würde.
Geschichte der Vogelkunde
„Im Jahr 1912 wurde auf der Insel Helgoland in Norddeutschland eine Einrichtung zur Beringung von Vögeln gegründet, die noch heute besteht. Inseln sind für Vögel wichtige Raststätten, auch die Inseln im Mittelmeer“, sagt Niederfriniger. In Südtirol begann die wissenschaftliche Vogelberingung vor etwa 50 Jahren in Zusammenarbeit mit dem italienischen Istituto Superiore per la Protezione e la Ricerca Ambientale (ISPRA). 1974 wurde der Südtiroler Verein Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz gegründet.
Mit dem Europäischen Jahr des Naturschutzes 1970 entstand auch in Südtirol das Bewusstsein dafür, besondere Lebensräume als Naturschutzgebiete zu erklären. Die Datensammlung zu Vögeln war eine wichtige Grundlage, um zum Beispiel das Flussdelta der Falschauer bei Lana als Biotop auszuweisen. Auch für den Kalterer See stellte die Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz Gutachten aus.
Monitoring
Seit einigen Jahren legt die ISPRA den Rahmen für das Vogelmonitoring und die Beringung fest, um die Entwicklungen genauer erfassen zu können. In Südtirol werden die Vögel von Dezember bis Mai (Frühjahrszugzeit) alle 10 Tage am Kalterer See beobachtet. Außerdem beringen Iacun Prugger und sein Team Vögel am Grödnerjoch und bei St. Ulrich in Gröden.
„Mit seinem reichen Nahrungsangebot an Insekten und Spinnen ist das Feuchtgebiet am Kalterer See nicht nur für Wasservögel ideal, sondern auch für andere Vogelarten, die das Gebiet unter anderem als Brutplatz nutzen“, so Niederfriniger.
Ob ein Vogelweibchen brütet, können die Vogelexperten daran erkennen, dass es keine Federn am Bauch hat, wenn es beringt wird. Das liegt daran, dass weibliche Vögel ihre Eier durch Hautkontakt wärmen. Bruno Siviero bläst den Vögeln ins Gefieder, um zu erkennen, ob am Bauch Federn fehlen. Der Vogel erhält auch einen Metallring mit der Aufschrift der italienischen Beringungszentrale und einer fortlaufenden Nummer. Der Ring ist so leicht, dass der Vogel dadurch nicht behindert wird. Außerdem wird das Tier gewogen und vermessen, bevor es wieder in die freie Wildbahn fliegen kann.
Die wissenschaftliche Arbeit mit Vögeln ist eine Herausforderung, da der Vogel nicht verletzt oder unnötig gequält werden darf. Gleichzeitig darf das Tier nicht entkommen und ein sicherer Griff ist notwendig. Um die Beringung von Vögeln durchführen zu können, ist daher eine Ausbildung erforderlich.
Das Team der Arbeitsgemeinschaft für Vogelkunde und Vogelschutz untersuchte von Dezember 2021 bis Mai 2022 rund 440 Vögel, von denen etwa 80 als Wiederfang ins Netz flogen. In diesem Zeitraum wurden über 30 verschiedene Vogelarten beobachtet, vom Buchfink und der Schwanzmeise bis zum Eichelhäher und Buntspecht. Die vier am häufigsten beobachteten Arten sind die Blaumeise, die Mönchsgrasmücke, das Rotkehlchen und die Amsel. Während die Mönchsgrasmücke zum Beispiel ein Kurzstreckenzieher ist, hat der Gartenrotschwanz als Langstreckenzieher Tausende von Kilometern hinter sich. Nach Angaben von Niederfriniger leben in Südtirol insgesamt etwa 150 Brutvögel und 150 durchziehende Vogelarten.
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