Brennnesselsamen – klein, aber oho

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Heute war mal wieder so ein Tag, an dem ich mich fühlte wie ein schlaffer Salat am dritten Kühlschranktag. Perfekter also, um in der Arbeit schwere Kisten tragen zu müssen. Meine Arbeitskolleginnen machten sich schon ein wenig über mich lustig, als ich ächzend und krächzend unter dem Gewicht fast zusammen gebrochen wäre. Die beliebte Ausrede, die ich sonst nur von Macho-Männern kenne, hat bei den beiden auch nicht gezogen: „Es ist nicht schwer, nur ungeschickt zum Tragen.“
Das Lachen der Arbeitskolleginnen höre ich immer noch. Na warte! Für mich gibt es jetzt erst mal ein riesige Portion Brennnesselsamen. Dann wollen wir doch mal sehen.
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Die Autorin
Tamara Seyr ist FNL Kräuterexpertin und Heilpraktikerin. Sie beschäftigt sich oft und auch lange (und oft auch ganz, ganz lange) mit den Kräutern und allem was dazu gehört. Das sind nicht nur die botanischen Namen, die Familienzugehörigkeit und die Inhaltsstoffe, sondern auch die Signaturenlehre.
Ihr aktuelles Buch "Klugscheißerwissen Kräuter"
Foto: Tamara Seyr -
Erkennen – nur die Damen tragen Körnchen
Die Brennnessel ist nicht nur die Königin des „Aua!“-Erlebnisses beim Gartenunkrautjäten, sie ist auch botanisch gesehen ein bisschen besonders: Es gibt männliche und weibliche Pflanzen. Die weiblichen Pflanzen sind es, die im Spätsommer bis Herbst die begehrten Samen tragen – in Form von hängenden, grünlich bis bräunlichen Trauben, die von den Blattachseln nach unten baumeln.
Die männlichen Pflanzen dagegen tragen aufrecht stehende Blütenstände, die eher unscheinbar wirken und keinen Samen entwickeln. Wer also auf Erntejagd geht, sollte gezielt nach den hängenden Samenständen Ausschau halten. Ein kleiner Trick: Wenn man mit dem Finger vorsichtig über die Samen streicht, fühlen sie sich fest und kompakt an – und nicht locker oder blütenstaubig wie bei den männlichen Pflanzen.
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Warum zweigeschlechtlich?
Brennnesseln gehören zu den zweihäusigen Pflanzen (dioecious, für die Botaniker unter uns). Das bedeutet, dass männliche und weibliche Blüten auf getrennten Pflanzen vorkommen – sozusagen Pflanzen mit getrennten Schlafzimmern. Evolutionär macht das Sinn: Die geschlechtliche Trennung verhindert, dass sich eine Pflanze mit sich selbst bestäubt, was die genetische Vielfalt erhöht.
Die männlichen Pflanzen sind für die Pollenproduktion zuständig und setzen diese in kleinen Wolken frei, wenn der Wind sie schüttelt. Die weiblichen Pflanzen warten mit ihren Blütenständen darauf, dass ein paar dieser Pollen vorbeigeflogen kommen, und bilden daraus die kleinen, nahrhaften Samen. Botanisch betrachtet ist das eine ziemlich clevere Arbeitsteilung – und für uns Menschen bedeutet es: Wer Samen will, muss die Damen finden.
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Die Kraft im Korn
Brennnesselsamen sind winzig, aber sie haben es in sich – sie sind so etwas wie der Espresso-Shot aus der Natur. In alten Kräuterbüchern wurden sie als „Stärkungsmittel für geschwächte und müde Menschen“ gepriesen, und tatsächlich passt das:
• Vitamin E – schützt die Zellen, sorgt für gute Regeneration nach Belastung.
• Mineralstoffe wie Eisen, Magnesium und Kalium – helfen, Müdigkeit zu vertreiben, Muskeln und Nerven fit zu halten.
• Hochwertige Fette – liefern konzentrierte Energie, ohne dass man sich den Bauch mit schweren Speisen füllen muss.
• Protein – unterstützt den Muskelaufbau und hält lange satt.
• Phytohormone – sanfte Helfer für den Hormonhaushalt, die Vitalität und Ausdauer fördern können.
Früher gaben Bauern die Samen gezielt an ihre Tiere, um Leistung und Fruchtbarkeit zu steigern. Hühner legten mehr Eier, Pferde bekamen glänzendes Fell und mehr Ausdauer – und beim Menschen wurde ihnen nachgesagt, sie könnten Kraft, Konzentration und sogar Liebeslust steigern. Daher auch der Name „Natürliches Viagra“.
Kurz gesagt: Wer sich nach einer Portion Brennnesselsamen nicht stärker fühlt, hat vermutlich vergessen, sie zu essen.
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Ernte und Verwendung
Die beste Erntezeit ist von August bis Oktober, wenn die Samenstände voll ausgereift sind. Am einfachsten schneidet man die oberen 20–30 cm der weiblichen Pflanzen ab, hängt sie kopfüber an einem schattigen, luftigen Ort zum Trocknen auf und streift die Samen dann vorsichtig ab.
In der Küche sind sie vielseitig:
• Direkt ins Müsli oder über den Joghurt streuen.
• In Smoothies oder Salate geben.
• Leicht in der Pfanne rösten und mit etwas Salz als Snack genießen.
• Unter Brot- oder Kuchenteig mischen.
Der Geschmack ist mild-nussig – und das Beste: Sie brennen nicht.
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Fazit
Die kleinen Brennnesselsamen werden mich zur Kistenstaplerin des Jahres machen und mich nicht mehr wie welkgewordener Kühlschranksalat wirken lassen. Und wer weiß: Vielleicht lachen meine Kolleginnen dann nicht mehr ganz so laut … oder sie fragen heimlich nach meinem Rezept.
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