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Die vergessene IVA

Das Land wird am Ende für den Begleitdienst von Schülern mit Behinderung rund 400.000 Euro mehr ausgeben als bisher. Eine unglaubliche Verwaltungsposse.

Die Geschichte ist so absurd, dass man sie fast nicht glauben kann. „Es stimmt alles,  was Sie sagen“, meint ein hoher Landesbeamter händeringend zu salto.bz, aber was sollen wir tun?“. Die einzige Hoffnung, die man bisher hatte: Vielleicht fällt es niemandem auf. Doch damit ist es jetzt vorbei.
Das Ganze klingt wie ein schlechter Witz, es ist aber leider nicht zum Lachen, sondern schon eher zum Verzweifeln“, sagt der Geschäftsführer der Lebenshilfe, Wolfgang Obwexer.
Es geht um eine Geschichte, in der das Land das Beste wollte und am Ende das Schlechteste erreicht hat. Und es geht um eine unglaubliche Posse, die auch ein bezeichnendes Licht auf das Urteilsvermögen der Südtiroler Landesverwaltung wirft.

Die Ausschreibung

In diesem Jahr kam es zur Neuvergabe des Fahr- und Begleitdienstes für SchülerInnen mit Behinderung. Seit fast drei Jahrzehnten führt eine Bietergemeinschaft aus der Arbeitsgemeinschaft für Behinderte und Lebenshilfe diesen Dienst südtirolweit durch. Es geht dabei um rund 300 Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen, die täglich zur Schule und wieder nach Hause gebracht werden. Über 50 eigene Kleinbusse und über 75 Begleitpersonen werden dazu täglich eingesetzt.
Die Lebenshilfe und die Arbeitsgemeinschaft haben den Dienst nicht nur aufgebaut, sondern sie führen ihn auch seit Jahrzehnten zur Zufriedenheit der Betroffen und der Verwaltung durch. Bereits vor vier Jahren aber entschied das Land, den Dienst EU-weit auszuschreiben. Es ist eine selbst unter Juristen umstrittene Entscheidung, ob eine solche soziale Dienstleistung überhaupt ausgeschrieben werden muss.
Die erste Ausschreibung entschieden die Arbeitsgemeinschaft und die Lebenshilfe noch für sich. Doch diesmal ging es anders aus.

Sieger aus Lecce

Im Frühjahr schrieb das Land den Begleitdienst von Schulanfang 2014 bis 2018 aus. Es geht um eine Ausschreibungssumme von 8,4 Millionen Euro. Die Ausschreibung gewann das Unternehmen „Tundo Srl“ aus Lecce mit einem Abschlag von 5 Prozent.
Seitdem diese Wertung bekannt wurde, geht ein Aufschrei durch das Land. Der Grund: Ein auswärtiges Unternehmen bringt zwei verdiente Südtiroler Vereine und Verbände in ernsthafte finanzielle Bedrängnis.
Zudem entstanden durch den abrupten Wechsel konkrete organisatorische Probleme. Denn der landesfremde Unternehmer aus Lecce konnte zu Schulbeginn mit dem Dienst nicht starten. Deshalb führen Lebenshilfe und Arbeitsgemeinschaft den Dienst bis Ende Oktober so weiter wie bisher. Die beiden Vereine haben damit alle wichtigen Vorbereitungsarbeiten wie die Anstellung der 75 Begleitpersonen und die Einteilung der Buslinien durchgeführt. Inzwischen haben die Landesverwaltung und die Tundo Srl den endgültigen Vertrag unterzeichnet, und der Unternehmer aus Apulien kann sich ins gemachte Nest setzen. Vergangene Woche musste die Lebenshilfe dem Privatunternehmer die Liste der Begleitpersonen übergeben.

Der SuperGau

Das einzige Argument, das im Land für den Wechsel sprach, war das günstigere Angebot. Doch genau das ist in Wirklichkeit eine Chimäre. Schaut man sich die Bedingungen genau an, so wird klar, dass das Land am Ende keineswegs spart, sondern ganz im Gegenteil noch viel Geld draufzahlen muss. In Zahlen: Der Begleitdienst kostet nach dieser Ausschreibung am Ende in vier Jahren gut 400.000 Euro mehr als bisher.
Was so absurd klingt, ist schnell erklärt. Die Ausschreibungssumme beträgt 8,4 Millionen Euro ohne Mehrwertsteuer. Die Lebenshilfe und die Arbeitsgemeinschaft sind Onlus-Vereine und damit von der Pflicht befreit, für ihre Leistungen die Mehrwertsteuer in Rechnung zu stellen. Weil sie dem Land keine Rechnung mit Mehrwertsteuer stellen, ist ihr Ausschreibungs-Angebot mit einem ganz geringen Abschlag sozusagen ein Nettoangebot. Das Land zahlt so viel und keinen Cent dazu.
Bei der „Tundo srl“ ist es aber anders. Das kommerzielle Unternehmen unterliegt der normalen Mehrwertsteuerpflicht. Das heißt: Das Land zahlt jenes Gebot, mit dem der Unternehmer aus Apulien die Ausschreibung gewonnen hat, zuzüglich 10 Prozent an Mehrwertsteuer.
Unterm Strich heißt das: Die „Tundo srl“ hat zwar 5 Prozent Abschlag auf die Ausschreibungssumme gemacht, weil das Land aber 10 Prozent an Mehrwertsteuer zahlen muss, kostet das Ganze dem Steuerzahler am Ende um 5 Prozent mehr. Anders als ein Unternehmer kann das Land die Mehrwertsteuer nicht verrechnen. Weil der Steuersitz der „Tundo srl“ in Lecce liegt, fließt das Geld so auch nicht in die Landeskasse zurück.
Im Klartext: Hätte die bisherige Bietergemeinschaft aus Lebenshilfe und Arbeitsgemeinschaft den Dienst mit einem kleinen Abschlag auf die Ausschreibungssumme weitergeführt, hätte sich das Land rund eine halbe Million Euro erspart.

Gefahr in Verzug

Aus Fehlern wird man klug, heißt es. Ob das Sprichwort stimmt, wird sich schnell zeigen. Denn die öffentliche Verwaltung ist in Südtirol gerade dabei, denselben absurden Fehler zu wiederholen.
Derzeit laufen zwei weitere Ausschreibungen für den Transport- und Begleitdienst für Menschen mit Behinderungen. Die Bezirksgemeinschaft Salten-Schlern hat den Dienst ab 1. Jänner 2015 für drei Jahre ausgeschrieben, ebenso die Bezirksgemeinschaft Vinschgau.
Bei der ersten Ausschreibung geht es um 1.274.826,15 Euro, bei der zweiten um 535.849,26 Euro.
In beiden Ausschreibungen sind die Angebote ohne Mehrwertsteuer vorzulegen, und es könnte sich somit genau das wiederholen, was jetzt auf Landesebene passiert ist. Gewinnt auch dort ein kommerzielles Unternehmen, könnte es am Ende ordentlich teurer werden.