Economia | Tourismus

„Das ist einfach eine Lüge“

Brauchen wir einen Wintertourismus, der nicht mehr von Schneekanonen abhängig ist? Antworten von Erich Gummerer, Chef des Beschneiungs-Weltmarktführers Technoalpin.
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Foto: Technoalpin

salto.bz: Herr Gummerer, Deutschlands Umweltministerin findet, dass man auf Dauer keinen Skitourismus aufrechterhalten kann, der auf Schneekanonen beruht. Was antwortet der Weltmarktführer in der Produktion von Beschneiungsanlagen?
Erich Gummerer:
Ich glaube, dass man leicht reden kann, wenn man in Berlin oben sitzt und nicht die Gegebenheiten der Menschen in den Bergen berücksichtigt. Wissen Sie: 1990 hat der damalige Präsident der Liftgesellschaft in Kitzbühel ähnlich gesprochen. „Bei uns werden keine Schneekanonen installiert“, hat er damals versprochen. „Weil wenn es keinen Schnee gibt, gehen die Leute einfach spazieren.“ Heute ist Kitzbühel fast zu 100 % beschneit. Warum? Weil die Skifahrer sonst wegbleiben würden. Spazieren gegangen ist man  vielleicht in den Siebziger Jahren, als die Leute noch zwei oder drei Wochen in Winterurlaub fuhren. Doch heute kommen die Skifahrer zum Skifahren, und wenn das nicht geht, bleiben sie weg.

Deshalb müssen wir dem Klimawandel trotzen und unsere Berge künstlich beschneien?
Nicht nur deshalb. Natürlich gibt es einen Klimawandel. Es ist eine Tatsache, dass die Gletscher schmelzen, es ist eine Tatsache, dass der erste Schnee im vergangenen Jahr in den Dolomiten erst am 12. Jänner gefallen ist. Logischerweise wäre der Wintertourismus ohne Beschneiung tot, das müssen wir schon sagen. Dennoch ist es ein großes Missverständnis, dass die technische Beschneiung nur wegen des Klimawandels groß geworden ist.

Warum?
Die technische Beschneiung ermöglicht es, dass sich Skigebiete überhaupt noch rechnen. Auch in den 70er- und 80er-Jahren gab es im Winter Zeiten, in denen es keinen Schnee gab. Dann ist man eben einfach nicht Ski gefahren. Damals kam man aber auch mit Schleppliften auf den Berg, für die eine Investition von vielleicht 200.000 Euro nötig war. Heute haben wir kuppelbare Seilbahnen, die 5 Millionen Euro kosten. Allein um diese enormen Investitionen hereinzuholen, brauchen Skigebietsbetreiber eine hohe Zahl an Skitagen, in denen Schnee garantiert ist. Dazu kommt, dass die Menschen heute nicht nur schneller auf den Berg hinauf, sondern auch hinunter wollen. Das heißt, wir fahren mit hochmodernen Carving-Ski, für die wiederum top-präparierte Pisten notwendig sein, damit die hohe Anzahl an Skifahrern überhaupt herunterkommt.

Auf den Punkt gebracht: Die technische Beschneiung ist Teil bzw. Voraussetzung für eine Industrie, zu der sich der Wintertourismus entwickelt hat....
Ja, und diese Industrie ist deshalb so stark gewachsen, weil sich die Ansprüche der Skifahrer so stark gewandelt haben.  Doch wie in der produzierenden Industrie, kann man nun nicht einfach hergehen, und sagen, wir machen das zu. Das sagt man nicht einmal beim Siliziumwerk in Meran, das 100 Mal mehr Strom als alle Skigebiete und Schneekanonen in Südtirol braucht und nur einen Bruchteil an Arbeitsplätzen schafft.

Das ist jetzt aber das extremste Beispiel, das Sie finden können...
Nein, wir müssen uns einfach klar werden: Im Gebirge gibt es entweder Tourismus oder sonst gibt es dort keinen Wohlstand. Ich kann sagen, ich will das oder ich will das nicht. Und wenn ich es nicht will, dann müssen die Leute im Gebirge eben alle nach Bozen arbeiten gehen. Doch zu behaupten, dass in unseren Bergen eine andere Art von Tourismus möglich wäre, die das bringt, was uns das Skifahren bringt,  ist schlicht und einfach eine Lüge.

Dennoch betreiben wir mit dieser Art von Tourismus Raubbau an der Natur – und gefährden damit eine seiner wichtigsten Voraussetzungen. Auch die technische Beschneiung verändert das Vegetationsbild den in Höhenlagen, erhöht die Gefahr von Erosion und Murenabgängen, konsumiert enorme Ressourcen....
Wie auch in der Autoindustrie bringt es der Fortschritt mit sich, dass jedes Produkt, das auf den Markt kommt, energieeffizienter wird. Der VW Käfer war ein tolles Auto, aber aus heutiger Sicht ist er eine Dreckschleuder, der zehn Mal so viel Treibstoff gebraucht hat wie ein modernes Auto. Und genauso haben auch wir in den vergangenen 15 Jahren enorme Fortschritte hinsichtlich der Energieeffizienz unserer Anlagen gemacht. Wir sind heute bereits imstande, energieautarke Anlagen zu bauen, wenn wir das nötige Wasser am Berg haben. Da ist allerdings nicht überall der Fall.

Wenn wir beim Vergleich mit der der Autoindustrie bleiben: Autos mögen heute energieeffizienter geworden sein, doch es gibt auch viel mehr davon, und wir fahren große schwere SUV statt VW Käfer. Auch in der Beschneiungsindustrie mögen Sie effizientere Anlagen produzieren. Doch es werden immer mehr, und sie können mittlerweile auch bei 30 Grad Außentemperatur Schnee produzieren, was den Energieverbrauch wieder exponentiell in die Höhe schießen lässt.
Diesbezüglich kann ich Sie beruhigen: Das wird sich nicht durchsetzen, auch wenn es technologisch natürlich längst möglich ist. Doch die Kosten dafür werden sich nie rechen, auch in zehn Jahren nicht, das kann ich schon heute schriftlich geben. Schneeerzeugung bei 30 Grad ist auch nicht im Interesse der Skiindustrie. Das kann man für Marketingaktionen nutzen und in Mailand einmal für eine Sportveranstaltung einen Platz beschneien, aber mehr steckt da nicht dahinter.

Was also ist die Vision von TechnoAlpin für die weitere Entwicklung des Wintertourismus? Wie wird es im nächsten Jahrzehnt weitergehen?
Wir gehen schon davon aus, dass der klassische Markt weiterbestehen wird. Vor allem weil neue Skigebiete in  neuen Regionen der Welt dazukommen. Auch die Chinesen wollen heute Skifahren. Dort gibt es heute den  Nachholbedarf, den Osteuropa in den vergangenen 15 Jahren hatte. In Zentraleuropa, wo das Skifahren entstanden ist, werden die Umsätze dagegen sicher zurückgehen. Denn dort wird es keine neue Skigebiete mehr geben, vielmehr wird man die wenigen Gebiete, in denen Skifahren noch möglich ist, so ausrüsten müssen, dass sie überleben können. Andere werden sicherlich verschwinden. Diese Entwicklung können wir schon heute in Südtirol beobachten.  Auch wenn man mit aller Gewalt versucht, diese Dorfskilifte aufrechtzuerhalten, kommt es zu einer immer größeren Konzentration. Im Prinzip wird man sich also auf die wenigen gut funktionierenden Skigebiete konzentrieren, die auch einen entsprechenden Tourismus dahinter haben. Denn ein Skigebiet ohne Hotellerie ist nicht mehr überlebensfähig.

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Marcus A. Gio, 10/20/2016 - 14:00

Ein interessantes Interview. Herr Gummerer hat mit seinen Aussagen in großen Teilen sicher recht.
Nicht jedes Skigebiet wird in Zukunft überleben können, aber bei jenen mit Potential ist es notwendig und richtig, auf künstliche Beschneiung zu setzen.

Gio, 10/20/2016 - 14:00 Collegamento permanente