Società | Missstand

Briefkasten-Geschichte

Ich erzähle das Schicksal eines Menschen, der einen Brief verschicken muss und diesen der Post anvertrauen will. Der Mensch bin nur zufällig ich.
Postkasten
Foto: upi
Gibt es noch so altertümliche Leute, die Weihnachtspost schreiben? Postalisch, meine ich. Dann muss ich denen nichts erzählen; sie machen selber die Erfahrung. Sag ich es halt all jenen, die längst aufgehört haben, Briefe oder Grußkarten zu schreiben. Denn sie wissen nicht, was ihnen alles erspart bleibt.
 
Ich erzähle das Schicksal eines Menschen, der aus unerfindlichen Gründen einen Brief verschicken muss und diesen der Post anvertrauen will. Der Mensch bin nur zufällig ich. Auf meinem Spießrutenlauf erfahre ich nämlich, dass es die Regel ist. Wie es begann: Eine honorige Kulturinstitution im Unterland will mir für eine kleine Kulturleistung ein Honorar überweisen. Ist kein kleiner Aufwand, so eine Mini-Transaktion. Es müssen Formulare ausgefüllt werden, Daten geliefert werden, die sämtliche Institutionen schon mehrfach haben, und – ganz wichtig! – eine Zwei-Euro-Stempelmarke muss der Honorarempfänger beiheften (als ob die Institution diese nicht gleich vom Honorarbetrag abziehen könnte).
 
 
Ich begebe mich in die nächste Tabaktrafik (in Bozen, wohlgemerkt) um mir die Stempelmarke und eine Briefmarke zu besorgen. Fehlanzeige. Die Trafikantin sagt: „Haben wir nicht“. Ich: „Ausverkauft?“ Antwort: „Nein, die Post schickt uns kaum mehr welche.“ Nächste Trafik: Gleiche Auskunft. Dritte Trafik: Druckt mir die 2-Euro-Stempelmarke aus. Briefmarke? Die passende leider nicht in der Mappe. Verdrossen verlasse ich den Laden, da ruft mir der Herr nach: Warten, er habe grad eine gefunden Eine letzte bei sich in der Geldtasche. Es gibt so gute Menschen!
Ich gehe die Museumstraße, die Lauben, den Obstmarkt, die Rauschertorgasse durch und irgendwann, mehr aus Trotz denn aus Neugier, noch einige weitere Gassen. Kein Briefkasten nirgends mehr.
Ausgestattet nun mit Brief- und Stempelmarke (das adressierte Kuvert hatte ich selber mitgebracht), frage ich den freundlichen Herrn nach dem nächsten Briefkasten. Wir befinden uns an der Talferbrücke, nicht zuunterst in Kaiserau. Der Herr ist überfragt. „Früher war hier gegenüber einer, ich weiß nicht, ob der noch da ist“. Ist er nicht mehr. Ich gehe die Museumstraße, die Lauben, den Obstmarkt, die Rauschertorgasse durch und irgendwann, mehr aus Trotz denn aus Neugier, noch einige weitere Gassen. Kein Briefkasten nirgends mehr. Ich muss zum Hauptpostamt. Dort gibt’s – keine Selbstverständlichkeit! – Briefkästen.
 
 
 
Meinen Brief ins Unterland bin ich also los. Dafür aber hat mich ein sozialer Verantwortungszorn erfasst, ich gehe ins Postamt und will mich über die Zustände beklagen. Dass die Post öfter nicht ankommt als schon, dass der Briefträger, äh, eher die Briefträgerin längst nicht mehr jeden Tag läutet, an diesen Missstand haben wir uns ja gewöhnt, aber dass man die Post auch nicht mehr wegbekommt, in diese Einsicht mich zu fügen bin ich nicht bereit.
Die Post kümmert sich mehr ums Geld ihrer Kunden, weniger um deren Post im ursprünglichen Sinn.
Ich stelle mich in eine der Reihen vor den Schaltern und studiere an den Schildern darüber, welcher für mein Anliegen wohl in Frage käme. Ich entscheide mich für „Consulenza – Beratung“. Gleich fünf Nebenräume der Schalterhalle tragen diese Aufschrift. Es muss sehr viel beraten werden hier. Ich betrete eines der Zimmerchen, das einzige von den fünfen, das ich mit einer Person besetzt finde. Wie viel Briefkästen es in der Stadt Bozen gebe, frage ich die Beamtin. Sie weiß es nicht. „Viel weniger als früher jedenfalls“, schätzt sie, sie könne aber nachfragen lassen. „Würde mich selber interessieren“, sagt sie und beginnt, sich über meine Frage zu wundern. Ich berichte von meiner Erfahrung, und gleich winkt die Frau freundlich ab: Nein, ich sei hier falsch, „Consulenza“, also Beratung, beziehe sich auf geldliche Dinge, will sagen Bankgeschäfte.
 
 
 
Ich hatte verstanden. Die Post kümmert sich mehr ums Geld ihrer Kunden, weniger um deren Post im ursprünglichen Sinn. Natürlich beklage ich solche Art „Dienstverweigerung“, und schnell bin ich darin mit meiner „Beraterin“ einer Meinung: Zustände sind uns das! Und genau so klassisch auch: Die Frau, die ich vor mir habe, ist „leider nicht zuständig. Il problema sta a monte“. Weiß ich schon. Ich bin auf solche Antworten gefasst, aber Übung hat mich auch gelehrt: Man muss es immer aufnehmen mit dem, den man vor sich hat. Nicht abwimmeln lassen. Ich will „mit dem Zuständigen sprechen“. Die Unzuständige verweist mich auf eine Grüne Nummer. Oh, damit lass ich mich nicht abfinden. Ich will mit dem Direktor sprechen. Sie verstehe, es gehe aber nicht. Ich will ihm telefonieren. Gehe auch nicht. Sie könne mir nicht die Nummer geben. Ich will doch nicht die persönliche, ich will nur die Amtsnummer.
 
Ich schreibe dem Postdirektor. Antwort erwarte ich mir keine. Nicht per Post.
Mir wird, wie üblich, erklärt, warum etwas nicht geht. Wir einigen uns, dass ich Namen und Email-Adresse bekomme. Ich schreibe dem Postdirektor [email protected] . Antwort erwarte ich mir keine. Nicht per Post.