Cultura | Gastbeitrag

Ohne Heimat

Der ORF schickt die professionelle Minderheitensendung in den Ruhestand.
Heimat Fremde Heimat
Foto: Heimat Fremde Heimat
  • Am 22. Dezember ist Schluss, zum letzten Mal strahlt der ORF die Sendung „Heimat Fremde Heimat“ aus. Sie wird „abgedreht“. Eine Sendung, die seit 35 Jahren unterschiedliche Minoritäten verbindet, die nationalen Minderheiten, die migrantischen „Communities“ und diverse andere Minderheiten. 
    Ein reizvolles Labor über das bunte Österreich der ethnischen, kulturellen, religiösen und sexuellen Vielfalt. Die Republik Österreich, Enkel der multinationalen Doppel-Monarchie. „Heimat Fremde Heimat“ war auch ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Minderheitenredaktionen in Kärnten und im Burgenland. Kein Zufall, ging die Sendung doch 1989 gleichzeitig mit den Schwesterredaktionen im Burgenland (Dober Dan Hrvati) und in Kärnten/ Koroška (Dober Dan Koroška) auf den Schirm.
    Der ORF hatte damals nicht entdeckt, dass Österreich mehr ist als die Mehrheitsbevölkerung. Abseits im Land leben – eine überschaubare Zahl - Österreicherinnen und Österreicher, für die slowenisch, kroatisch, ungarisch und Romanes die Muttersprachen sind. In den Metropolen stellen die Nachfahren von Arbeitsmigranten einen nicht unbeträchtlichen Teil der Wohnbevölkerung. Wie die nationalen Minderheiten wurden auch die Migrant:innen im ORF nicht gehört und nicht gesehen.

  • Smolle, Kletzander, Meixner

    Es war der Grünen-Abgeordnete Karel Smolle, Kärntner Slowene, der die erwähnten ORF-Sendungen »erhandelt« hatte. Erstmals waren die »anderen Österreicher:innen«, die Autochthonen wie die Migrantischen, zu hören und zu sehen. Gesicht und Stimme für dieses diverse Österreich im Fernsehen wurde die Journalistin Silvana Meixner. Für sie war der Begriff »Diversität« die Programm-Vorgabe. Sie und ihre Mit-Redakteur:innen zeigten auf, wie sich die Probleme marginalisierter Gruppen – autochthone, migrantische, sexuelle Minderheiten, Menschen mit Behinderungen – ähnelten, wie diskriminierend sich Mehrheitsstrukturen auf Marginalisierte auswirkten. Aber auch Alternativen wurden gesucht und aufgezeigt, wie die langsam entstandenen minoritäre Allianzen. 
    Meixner und ihr Team brachen Nischen auf, Enklaven, vernetzten sie, wie die mirgantischen Communities, Volksgruppen, Frauenfragen, Menschen mit Behinderung und LGBTIQ+. Sie wurden zu Agierenden, die ihre Anliegen formulierten.

  • Menschenrechts-Journalismus

    Fernseh-Journalismus mit einem Hauch aktivistischer Menschenrechtsarbeit. Verantwortlich dafür Silvana Meixner. Sie kam ins »Visier« des bombenden Neo-Nazis Franz Fuchs, der Meixner 1993 eine Briefbombe »schickte«. Sie kam mit den Worten zurück, sie sei wieder da und sie lasse sich von den Nazis nicht vom Schirm bomben. Ihre Reaktion darauf, noch mehr Diversität
    2019 feierte die Redaktion »30 Jahre Heimat Fremde Heimat« und zwar im Burgtheater mit viel Prominenz. Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek würdigte Silvana Meixner und „ihre“ Sendung, „es ist  bewundernswert, dass Silvana Meixner diesen Anschlag auf ihr Leben überwinden und etwas Großartiges aus dieser Sendung machen konnte! Das ist aller Ehren und Ehrungen wert.“ Der Künstler Andre Heller meldete sich mit einer Video-Botschaft und forderte den ORF auf, die Sendung „nicht anzurühren“. So als ob er es erahnt hätte.

  • (c) Privat

  • Als Meixner 2023 in den Ruhestand ging, wurde sie von der ORF-Generaldirektion gefeiert. Magazine-Hauptabteilungsleiterin Lisa Totzauer würdigte die Zielstrebigkeit Meixners und ihr Eintreten für Werte, die in der Hektik des Arbeitsalltages oft ins Hintertreffen geraten würden. Zwei Jahre nach ihrem Ausscheiden stellt der ORF Meixners Sendung, ihre Erbschaft, ein.
    Harmonisch war das Verhältnis zwischen ORF-Spitze und der Minderheiten-Redaktion selten. 2003 ersetzte der ORF die Moderatoren von Heimat Fremde Heimat, Silvana Meixner und Lakis Jordanopoulos durch einen ehemaligen “Zeit im Bild”-Moderator. Dagegen hagelte es Proteste, der ORF windete sich mit fragwürdigen Argumenten aus dem selbst verursachten Schlamassel.

  • Pionier Kletzander

    Vorarbeit für Meixner leistete Helmuth Kletzander, er schuf die Grundlagen für Heimat Fremde Heimat, mit seinem Gespür für Geschichten holte Kletzander 1998 auch einen Preis für seine Redaktion. Schon Kletzander war “minoritärer” Netzwerker, organisierte 1998 mit der Österreichischen Liga für Menschenrechte, mit der Initiative Minderheiten und dem Boltzmann-Institut im ORF-Zentrum in Wien die Internationale Tagung Minderheiten und Menschenrechte
    Kletzander sorgte dafür, dass mit Meixner und Meryem Citak Nichtdeutschsprachige in ihren Muttersprachen moderierten, “Gastarbeiter” in ihren Sprachen interviewt (mit Untertiteln) wurden. Plötzlich waren die “Anderen” im ORF zu sehen und zu hören. Eine große innovative Leistung von Kletzander, der sich Angehörige der verschiedenen Communities in »seine« Redaktion holte.
    Kletzander stieß die ORF-Tür weit auf, wegen seines minimalen Budgets installierte er den/die Video-Journalist:in, die große BBC als Vorbild, die überall hin ausschwärmten. Vor Ort waren.
    Kletzander entwickelte mit einer Mitarbeiterin eine eigene homepage für die Sendung, Volksgruppen/Diversität, daraus wurde später auch HeimatFremdeHeimat. Die Diversität ging also frühzeitig online, die neben der 30 minütigen Sendung (um 13.30 auf ORF 2) Veranstaltungen, Initiativen, Kuriositäten, Projekte, nationale und internationale Neuigkeiten aus interkultureller Sicht spiegelte. 

  • Meixner-Stempel

    Silvana Meixner drückte dem Kletzander-Piloprojekt einige Jahr später ihren Stempel auf. Meixner und ihr Team entwickelten interkulturelle Projekte, sprachen damit Junge an und  interkulturell Bewegte. Das HFH-Teleobjektiv ging an Schulen,  »ORF goes to school« und präsentierte die divers gewordene Schüler*innenschaft.
    In Projekten wie »Schule fürs Leben – das Projekt« wurde mit hunderten Schüler*innen Methoden des Widerstandes gegen rassistische Praxis aufgegriffen. Immer öfter rückten weibliche Vorbilder in den Vordergrund. Aus diesen Projekten entwickelte sich eine Art Kaderschmiede für ethnische Jouranlist*innen. 
    HFH-Redakteure Meryem Citak und Mehmed Akbal besuchten Moscheen, kritisierten deren Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft und wurden dafür von türkischen Medien übel attackiert. Citak besuchte die »neuen Österreicher:innen«, die Nachfahren der Arbeitsmigranten, für ihren Film die Erben Kolarićs erhielt sie den Journalistenpreis Prälat Ungar.
    Neu war auch, dass in Sendereihen das Verhältnis zwischen Österreich und den Nachbarländern über die Volksgruppen erklärt wurde. In einer Großstadt-Serie stellte HFH die europäischen Hauptstädte aus der Sicht von Communities und Volksgruppen vor. 
    Eine nicht unbedeutende Rolle spielte auch Südtirol im Format HeimatFremdeHeimat. Es ergab sich eine Zusammenschau zwischen jungen Südtiroler:innen und Angehörigen der österreichischen Minderheiten. Was verbindet, was trennt, was kann voneinander gelernt werden. Daraus entstanden – den Südtiroler ORF-Journalisten Claus Gatterer als Vorbild - die »Interkulturellen – Claus-Tandems«, die junge Journalismusaspirantinnen aus Südtirol und den österreichischen Communities und Volksgruppen zusammenführten. 

  • HFH – nicht nur eine Sendung

    Und immer wieder ging es auch um den österreichischen Nationalsozialismus, um die Opfer der Nazis. Sie wurden gemeinsam gesehen, das Leid jüdischer Menschen, von Roma, Kärntner Sloweninnen, Zeugen Jehovas und LGBTIQ+. Das transgenerationale Trauma fand Platz in der Berichterstattung. 
    HFH praktizierte die Gegenrede, in der Reihe die »Weitblicke«. Prominente saßen an einen virtuellen Stammtisch und redeten und argumentierten gegen Fremdenfeindlichkeit, Hass, Neid und Angst. Mehr als 200 Prominente aus der Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft beteiligten sich daran.
    Neu war, dass der Frauenanteilbei den Interviewpartnerinnen so hoch war, dass die Redakteurinnen scherzhaft angehalten wurden, auch Männer zu interviewen. 
    HFH stand tatsächlich für einen diversen Journalismus, der vieles einschloß. Auch Musik. Im Projekt »Hausgemacht« warde die Musik der österreichischen Volksgruppen zu hören und zu sehen. 
    Und, nicht weniger wichtig und bedeutsam, seit April 2015 steht die Sendung auch im Teletext-Gehörlosenservice mit Untertiteln zur Verfügung. Eine Sendung, die abwechselnd von Ajda Sticker und Marin Berlakovich moderiert wurde. Eine Sendung, gestaltet von einer Redaktion, die sich zu einem Kompetenzzentrum in Sachen Diversität entwickelt hatte.  

  • Hausgemachte Konkurrenz

    All das gibt der ORF jetzt auf. Die letzte Ausgabe von Heimat Fremde Heimat läuft an diesem Sonntag (22. Dezember um 13 Uhr). Laut Teletest schauen sich 50.000 Personen die Sendung an, davor und danach sollen es deutlich mehr sein. Seitenblicke, Weekend, Rosamunde Pilcher. No na.
    Aber nicht nur. Der ORF platzierte auch die anderen Minderheitensendungen in Burgenland, Kärnten und der Steiermark um 13 Uhr, also Dobar dan, HrvatiDober dan, Koroška beziehungsweise Dober dan, Štajerska als Konkurrenz zu HeimatFremdeHeimat. Unbewußt oder gewollt? Und überhaupt, Minderheitensendungen am Sonntag, zur Mittagszeit. Da kann man kaum von Primetime reden. Das sagt viel aus.

  • Foto: Heimat Fremde Heimat

    Dieses Format wird im neuen Jahr ersetzt, »durch ein neues, zeitgemäßeres Volksgruppenmagazin wie auch ein Reportageformat«, berichtet »Die Presse«, die darauf hinweist, dass einen entsprechenden „Standard“-Bericht der ORF der  österreichischen Nachrichtenagentur APA bestätigt hatte. 
    War HeimatFremdeHeimat nicht zeitgemäß? Meinen die ORF-Gewaltigen damit vielleicht unbequem?
    Alexander Pollak von SOS-Mitmensch nennt die Absetzung von HeimatFremdeHeimat einen großen Schaden, weil damit Themen wie Minderheiten und Vielfalt aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. »Das aufzugeben ist nicht ohne Risiko«, bedauert Pollak. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

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Hartmuth Staffler Lun, 12/23/2024 - 12:47

Als Südtiroler muss man dazu sagen, dass wird zwar die (von den Südtiroler Fernsehteilnehmern und der Südtiroler Landesregierung überfinanzierte) RAI-Südtirol haben, die sich aber nicht als Sprachrohr der Südtiroler Minderheit, sondern als Propaggandainstrument der Staatsmehrheit sieht. Das lässt sich durch Sprachanalysen wissenschaftlich belegen, aber das stört die Landesregierung nicht an der Überalimentierung von RAI-Südtirol. Dass die privaten Rundfunkanstalten in Südtirol noch schlimmer sind, ist ein schwacher Trost.

Lun, 12/23/2024 - 12:47 Collegamento permanente