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"Wir haben einen Schatz geöffnet"

Antonino Benincasa unterrichtet an der Fakultät Design und Künste an der Universität Bozen. Er will mit seinen StudentInnen die Schätze von Südtirol wiederbeleben.
Antonino Benincasa
Foto: Samira Mosca

Salto.bz: Herr Antonino Benincasa – toll, dass Sie hier sind. Wo sind Sie gerade, wo kommen Sie her? Wo ist Ihre Heimat?

Antonino Benincasa: Meine Herkunft ist etwas schwierig zu erklären, weil die im Grunde genommen nicht ganz eindeutig ist. Ich bin ein Deutscher mit einem italienischen Namen und ein Italiener mit einer deutschen Herkunft. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, dort zur Schule – und später zur Universität gegangen. Während meines Studiums habe ich dann in Italien ein Praktikum gemacht. Und dann, naja – nach dem Abschluss meines Studiums in Deutschland, bin ich nach Mailand zurückgekehrt und habe dort ein Designstudio gegründet. In Mailand habe ich dann auch das erste Mal an einer Universität unterrichtet, nämlich an der Fakultät für Design am Politecnico di Milano.  
 

Ich habe eine Herkunft, die etwas zwischen den Stühlen ist. (…) Und das habe ich mit vielen SüdtirolerInnen gemeinsam.


Und als ich in Mailand war, habe ich im Jahr 2000 ein ganz besonderes Projekt gewonnen, für das ich auch am meisten bekannt bin. Ich entwarf das Logo und das Corporate Identity der Olympischen Winterspiele in Turin für das Jahr 2006.  Und ja – seit 2005 hab ich die Stammrolle an der Universität Bozen an der Fakultät für Design und Künste.
Ich habe eine Herkunft, die etwas zwischen den Stühlen ist. Sie ist nicht eindeutig verortet. Und das habe ich mit vielen SüdtirolerInnen gemeinsam, die sind auch nicht alle eindeutig verortet. Man kann das als Defekt sehen, oder als Makel. Heute weiß ich, dass es eine große Qualität ist.

Was hat Sie schlussendlich nach Bozen geführt?

Als 2003 die Fakultät für Design und Künste in Bozen gestartet wurde, bin ich über Umwege gefragt worden, ob ich mich für eine Vertragsprofessur, für ein Semester, hier bewerbe. Ursprünglich wollte ich das nicht. Ich hatte einfach so viel zu tun. Und es war eben genau der Zeitpunkt, an dem ich für die olympischen Spiele arbeitete. Dann hat mich ein Kollege gefragt, ob ich mich nicht bewerben würde. Er saß nämlich im Bewerbungskomitee der UniBz. Also habe mich doch beworben. Das Bewerbungsgespräch war so interessant, dass ich beschlossen habe: „Ja, ich mach einen kleinen Lehrauftrag – hier in Bozen“. Die Fakultät überzeugte mich mit ihrem Konzept, das interdisziplinär, offen und zeitgenössisch war.
Die endgültigen Entscheidungen, nach Bozen zu kommen, hatte familiäre Gründe. Ich hatte damals einen Sohn, der 2000 geboren wurde. Und Ende 2005 wurde mein zweiter Sohn geboren und weil in Mailand Kinder großzuziehen vielleicht nicht unbedingt das Idealste ist, war das damals eine Lebensentscheidung. Ich stand zwischen den beiden Schienen: Willst du mit deinem Studio expandieren oder willst du dich in ein interessantes Projekt stürzen? Die Universität Bozen schien mir international, frech, offen und so innovativ zu sein, wie ich bisher nie eine andere kennengelernt hatte. Und dann traf ich eine Entscheidung – die ich bis heute nicht bereue.

Gibt es Unterschiede zwischen Mailänder StudentInnen und Bozner StudentInnen?

Ganz als erstes muss man verstehen, wer Design studiert: Ich glaube im kollektiven Gedächtnis gehen die meisten davon aus, dass hauptsächlich Schüler aus Kunstschulen später Design studieren. Die Statistiken, die untersuchen, wer Design studiert, zeigen aber etwas anderes. Und das wir Sie jetzt überraschen, weil die meisten StudentInnen aus Licei Scentifici und Licei Classici kommen. Also sind es meistens junge Menschen, die von ihren Eltern vielleicht unterschwellig beeinflusst wurden, ein anständiges Gymnasium zu machen. Und am Ende merken die jungen Menschen selbst, dass sie ein großes, kreatives Potential haben. Sie wissen eigentlich nicht, ob sie künstlerisch begabt sind, weil die Gesellschaft davon ausgeht, dass man für Design sehr gut zeichnen können muss oder so.

Was ich damit sagen will: Der Ziegel, der Zement ist bei allen Studenten, die Design und Künste studieren derselbe. Was aber vielleicht Bozen-Studenten unterscheidet, ist von vorn herein die offene Einstellung gegenüber dem Sprachmodell. Also, aktiv zu verstehen, dass Sprachen ein integrierter Teil einer Ausbildung sind – in einem Europa, in einer Welt, in der man sich mit einer einzigen Sprache nicht immer ausdrücken kann. Sowohl verbal als auch kreativ-gestalterisch. Und diese Einstellung ist in Bozen von vorn herein vorhanden. Man hat hier eine größere linguistische Flexibilität. Das schöne an Mailand ist, dass es einfach ein riesiger Schmelztiegel ist. Die Bewerber kommen aus allen Teilen Italiens, von Süd-, bis Mittel-, bis Oberitalien. Das haben wir in Bozen nicht.
 

Was aber vielleicht Bozen-Studenten unterscheidet, ist von vorn herein die offene Einstellung gegenüber dem Sprachmodell.


Hat die Pandemie Ihre Fakultät verändert? Werden Projekte anders konzipiert, als in der Zeit vor Corona?

Corona hat die Welt beeinflusst. Corona hat uns alle beeinflusst. Es wäre erstaunlich, wenn dieses Weltphänomen nicht die Studenten verändert hätte. Es ist wichtig zu wissen, dass an der Fakultät für Design und Künste eine größere Flexibilität herrscht, wenn es um die Themenwahl geht, als vielleicht in anderen Fakultäten. Studenten können ein Thema vorschlagen und dieses dann künstlerisch-kreativ und gestalterisch ausarbeiten. Der innere als auch der äußere Konflikt, den Studierende mit dem Thema Corona hatten, hat sich natürlich auch in den Themen widergespiegelt. Ich glaube auch, dass die Kunst für viele Studierende eine Art Ventil war, um mit dem Thema Corona umgehen zu können. Aber das ist auch ganz natürlich. Was passiert, wenn irgendwo eine Katastrophe passiert? Hollywood macht daraus ein Jahr später einen Film. Eine Katastrophe wird ja sozusagen immer über ein Medium verarbeitet. Und das ist bei einigen Studenten passiert. Sie hatten einen persönlichen Konflikt, manche waren sogar in psychologischer Behandlung, und haben diesen mit einem künstlerischen Projekt bewältigt.
 

Ich glaube auch, dass die Kunst für viele Studierende eine Art Ventil war, um mit dem Thema Corona umgehen zu können.


Sie haben vor Kurzem ein Projekt vorgestellt, das in Zusammenarbeit mit der Landesbibliothek Teßmann entstanden ist: einige digitale Quellen, die in der Teßmann vorhanden sind, wurden von Studierenden in analoge Bücher umgewandelt. Steht das nicht im Widerspruch zur heutigen Zeit, zu den heutigen Entwicklungen?

Das Thema hieß „COMEBACK“. Es ging uns um eine Neugestaltung, ein Re-Design von alten Texten. Alte Texte sind jene, die älter als 70 Jahre sind und deren Corporation abgelaufen ist – nur die darf man nämlich verändern. Die Teßmann bietet einen unglaublich großen, kulturellen Schatz für das Territorium. Und zusammen mit meinen Studierenden haben wir versucht, den Deckel dieses Schatzes zu öffnen und hineinzusehen. Die Bibliothek hat bereits ein digitales Archiv, das frei zugänglich ist. Und das fand ich sehr spannend. Wir haben versucht, diesen „alten“ Schätzen, ein neues Aussehen zu verpassen, ein Comeback zu bereiten. Das machen große Stars ähnlich: Heino war berühmt, gönnte sich dann eine Pause und kam dann noch einmal gestärkt zurück – und das mit einem anderen Aussehen. Wir haben dasselbe mit Büchern versucht.


Was wurde konkret gemacht? Was war die Aufgabe der Studierenden?

Sie haben alte Bücher genommen, die teilweise mit Layouts oder Schriften gestaltet wurden, die heute kaum noch lesbar sind. Und sie haben versucht, den Texten eine neue, zeitgenössische Gestalt zu geben. Und das tollste daran ist, dass dasselbe passiert ist, das auch mit Künstlern nach einem Comeback passiert: Sie verändern sich. Ich kann mich an ein ganz besonders tolles Projekt erinnern. Das Buch hieß: „Das ABC des Skifahrers“. Bei diesem Buch wurden die Bilder neu koloriert, die Texte neu angeordnet. Dieses Buch wäre vielleicht auf einer unteren Regal-Stellage verstaubt. Und jetzt ist daraus eine tolle, neue Publikation geworden. Oder Max Valier z.B. Der hat einen Roman über das Weltall geschrieben. Die Mitarbeiter der Bibliothek haben uns das Exemplar aus dem Archiv herausgezogen und auch draus wurde eine innovative Nachfolgerpublikation.

Was ist Ihr Resümee?

Es war ein mutiges, ja auch freches Projekt. Die Studierenden konnten sich sehr viel erlauben, da die Autoren der Bücher ja schon tot sind (lacht). Und wir wollen dieses Projekt auf jeden Fall nächstes Jahr noch einmal starten. Ich will einfach, dass das digitale Archiv, das die Teßmann besitzt, auch anderen Menschen zugänglich gemacht wird. Wir lehren und gestalten ja nicht irgendwo im Orbit, sondern hier. Und einige Projekte sollten deshalb auch in das Territorium strahlen. Wir erhalten als Universität sehr viel an Südtirol-Material, das wir behandeln, gestalten, verändern dürfen. Und da ist es ganz klar unsere Aufgabe, etwas zurück zu geben.
 

Es gibt kein Produkt, das ohne Design auskommt.


Wie haben Sie die Studenten unterstützt?

Bei einem Fachkurs wie Typografie und Grafik wird sehr viel Fachwissen vermittelt. Der erste Teil des Kurses ähnelt den typischen „Frontal-Vorlesungen“. Und der zweite Teil hat eher einen Seminarcharakter. Die Rolle des Lehrenden geht im zweiten Teil eher in die Richtung eines Beraters, der mit den Studenten die Arbeit kritisch bespricht, gemeinsam mit ihnen reflektiert und Ratschläge gibt. Ich habe versucht, den Studierenden eine Richtung zu geben.

Was raten Sie jungen Menschen vor Beginn ihres Design-Studiums? Haben sie eine Chance in Bozen/Südtirol eine Karriere zu starten oder sollten sie „ausfliegen“?

Um Design zu studieren, braucht es wie in vielen anderen Studienzweigen auch, einen kritischen Blick auf die Welt. Das Handwerk, also das klassische Zeichnen, ist im Designstudium nicht das Entscheidende. Als Designer kann man sich nämlich in vielen Bereichen ausdrücken: Mediengestaltung, Fotografie, Typografie, Buchgestaltung, alles mögliche eben. Wir brauchen kritische, freche Menschen, die hinterfragen und ihre Ideen visuell oder im Produkt umsetzen können – das ist Design. Es gibt kein Produkt, das ohne Design auskommt. Design ist zu einem Schlüssel-Verkaufselement geworden. Design versucht immer das Neue, das Besondere herauszuarbeiten. Das heißt, wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht’s auch dem Design gut. Geht’s der Wirtschaft schlecht, werden auch keine Designer eingestellt. Es gibt nicht zwei Welten – die künstlerische und die produktive – nein. Diese beiden Faktoren sind ganz eng miteinander verknüpft. Deswegen, zu der Frage, ob man Design studieren soll, um dann auch davon zu leben, kann ich sagen: ja, du kannst davon leben.
Für alle Eltern – und Schüler – die wissen wollen, wie viele Designstudenten einen Job bekommen: Es gibt die Internetseite „albamatra“. Die statistisch darstellt, wer einen Job bekommt und wer nicht. Das kann dann auch mit anderen Studiengängen verglichen werden.