Cultura | Bibliophile Fragen

„Schall- und Wärmedämmer“

„Abriss. Prosa“ nennt sich das soeben erschienene Buch von Gerd Sulzenbacher. Er stellt es demnächst vor und hat sich obendrein den „immer gleichen Fragen“ gestellt.
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Foto: MM, Neuberg, 2018
  • SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?

    Gerd Sulzenbacher: Max und Moritz (Wilhelm Busch), wegen der Zeichnungen. Pippi Landstrumpf (Astrid Lindgren), wegen den Abenteuern und der Anarchie. Grimms Märchen, wegen der Dunkelheit und den grausamen Verwandlungen.

    Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?

    Eben nicht. Samuel Beckett: Dante und der Hummer (1934), findig übersetzt aus dem Englischen von Elmar Tophoven (1967).
     

    Was keinen Widerstand hervorruft, geht mit dem Mainstream bachabwärts.

  • Prosa.Abriss gegen Signa.Abriss: Das neue Buch von Gerd Sulzenbacher im Vordergrund im Hintergrund eine Kapitalismusruine der Signa in der Mariahilferstraße in Wien 2025. Von Gerd Sulzenbacher höchstpersönlich festgehalten. Buchpräsentation am 27. 2 um 19 h, "Alte Schmiede" (Wien) Foto: GS

    Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?

    Angeblich Gutes weckt schon Argwohn. Was keinen Widerstand hervorruft, geht mit dem Mainstream bachabwärts.

    Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?

    Der Krimi bedient die domestizierte Lust nach Mord und Totschlag, das, was aus dem behaglichen Leben ausgeschieden ist, und Abend für Abend als formatiertes Kulturprodukt auf den Bildschirmen wiederkehrt. „Unseren täglichen Tod gib uns heute.“ Der Fetisch des Lokalen, Dörflichen, Ländlichen ist in der Regel eine Projektionen von der Stadt auf das Land. Insoweit nichts Neues. Diese trutschige Faszination fürs Vernakuläre, Urige, Echte, Authentische mag harmlos erscheinen. Weniger harmlos sind die (durchaus völkisch geprägten) Vorstellungen von Bodenständigkeit, Ursprünglichkeit und Gesundheit. Der Erfolg von Lokalkrimis ließe sich wohl auch analog zu jenen Tendenzen betrachten, die heute wieder überall (politisch wie privat) ins Kleinteilige streben. Eigenheim, Familie, Netflix, ein Neo-Biedermeier im verschrumpelten Europa der Regionen.

    Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?

    Den leichten, den mit wenig Nachdruck gegebenen.

    Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?

    Keine Ahnung. Alles von Daniel Kehlmann? Bücher eignen sich übrigens auch gut als Schall- und Wärmedämmer.

  • Sich endlich zurücklehnen: "Meiden wird mein neues Hobby, mein Zeitwort der Zukunft" / Gerd Sulzenbacher nach der Beantwortung der "immer gleichen Fragen"? Foto: DF, Wien, 2024

    Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?

    Die Hypnerotomachia Poliphili (1499), oder die Bücher von Franziska Füchsl (zuletzt Die Straßen sind sichtbar, 2023), um ein neueres Beispiel zu nennen, aber auch das Schreibheft und die Titanic: Bücher/Drucksorten, wo die typografisch gestaltete Buchseite von Bedeutung ist. Ähnlich ist es bei Sachbüchern mit Abbildungen oder Fußnoten, die lesen sich immer noch besser am Papier. E-Reader sind trotzdem unendlich praktisch, auch wegen des stumpfen Lichts, das freundlich einschläfert.

    Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen? 

    Immer mehrere. Derzeit liegt auf meinen Schreibtischen: Die Erben der Einsamkeit. Reise zu den Bergbauernhöfen Südtirols von Aldo Gorfer und Flavio Faganello (1978); Gezahnt wie der Kiefer eines Alligators. Wie Reisende über die Dolomiten schrieben von Ingrid Runggladier (2023); Angewandte Volkstumsideologie. Heinrich Himmlers Kulturkommsissionen in Südtirol und der Gottschee von James R. Dow (2017).

  • Gerd Sulzenbacher, *1993 in Südtirol, lebt in Wien. Autor, Übersetzer, Mitherausgeber der Zeitschrift Triëdere (zusammen mit Ann Cotten und Franziska Füchsl). Studierte Kunstgeschichte und Sprachkunst. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Zuletzt: Die Reise nach Sils Maria (m. Matthias Vieider, 2016).
    Zum Buch: Urs Engeler Verlag