Società | Obdachlosigkeit

Signor Carlos blauer Klappstuhl

Signor Carlo als Obdachlosen zu bezeichnen, greift zu kurz. Viele Jahre wohnte er auf einer Bank beim Stadthotel. Vor Kurzem ist er auf einen Camping-Stuhl umgezogen.
Signor Carlos Camping-Stuhl
Foto: Heiko Schoberwalter/SALTO
  • Wer in Bozen lebt, kennt ihn. Carlo. Oder besser: Signor Carlo, so viel Zeit muss sein. Er wohnt zwischen dem Stadthotel und der Sparkasse auf einer Bank – direkt am Waltherplatz. Seit wie vielen Jahren? „Taaaanti anni“, antwortet er. Aber seine Bank musste Fahrradständern weichen, darum ist Signor Carlo ein paar Meter weitergezogen. Er wohnt immer noch in der gleichen Gasse, nur ein Stücken weiter Richtung Silbergasse. Da steht zwar keine Bank, aber Signor Carlo hat einen dunkelblauen Camping-Stuhl, den er vor einem Gaszähler aufgestellt hat. Seine Habseligkeiten hat er in einem Rollwagen verstaut, den er mit einer olivgrünen Plane abgedeckt hat. Ein übergroßer schwarzer Schirm schützt ihn vor Regen, eine Decke mit Schottenmuster vor Kälte. Zeitungen und angebrochene Lebensmittelpackungen bewahrt Signor Carlo in einem Umzugskarton auf. Unter dem Klappstuhl steht eine Tragetasche von Aldi, daneben liegt ein Diercke-Weltatlas.

  • Nie weggejagt, nie kontrolliert

    Auf die Frage, ob er denn weiß, dass die Stadt Bozen gerade beschlossen hat, dass man sich nicht mehr auf Bänke im Zentrum legen und dort auch nicht mehr „biwakieren“ darf, antwortet er „Nooo“. Hier zwischen Stadthotel und Sparkasse sei es aber viel besser, als in irgendeiner Einrichtung für Obdachlose, erzählt er. Weggejagt habe ihn noch nie jemand. Auch die Polizei habe ihn noch nie kontrolliert.

    In diesem Moment läuft ein gut gekleideter Herr vorbei und ruft Carlo „Ciao, bello!“ zu und Carlo grüßt zurück.

    Carlo hat ziemlich strubbelige Haare, einen schwarzgrauen Bart, er raucht eine filterlose Zigarette und hat nur sehr wenige Zähne. Sein Alter ist schwer zu schätzen – irgendwie zwischen 60 und 70. Er trägt Jeans, Sneakers, eine blaue Winterjacke, darunter eine braune Felpa.

    All die Jahre davor hat er einfach dazugehört. Auf seine ganz eigene Weise.

    Als Carlo noch auf seiner Bank gesessen hat, hat er oft gelesen oder die Tauben gefüttert. Menschen, die häufiger an ihm vorbeigelaufen oder auf dem Fahrrad an ihm vorbeigesaust sind, hat er irgendwann angefangen zu grüßen. „Ciao bellissima“, „Ohila, caro“.

    Jetzt ist Carlo eine persona non grata im Bozner Stadtzentrum. All die Jahre davor hat er einfach dazugehört. Auf seine ganz eigene Weise. Warum das jetzt anders sein muss, ist schwer zu verstehen.

    Bis auf Weiteres bleibt Carlo aber erst einmal auf seinem Campingstuhl vor dem Gaszähler, eingehüllt in seine Schottendecke. Den großen schwarzen Regenschirm wird er brauchen, denn fürs Wochenende ist Regen angekündigt.