Economia | Fiskus

Südtirol, ein Paradies für Steuerhinterzieher?

Südtirol, ein Paradis für Steuerhinterzieher? Zumindest laut einer Rangliste des Finanzministeriums haben Südtirols Unternehmen und Freiberufler italienweit die besten Chancen, ihre Einnahmen unentdeckt am Fiskus vorbei zu schwindeln.

80 Euro monatlich an Steuerersparnis  ab Mai verspricht Premier Matteo Renzi allen Arbeitnehmern mit einem Jahreseinkommen unter 26.000 Euro. Doch wie viel Steuern sparen alle jene, die ihr Einkommen selbst erklären? Wohl weit mehr – und das weitgehend unbehelligt von den lokalen Finanzbehörden, legte die Tageszeitung Alto Adige am Ostersonntag nahe. Der aktuelle Aufhänger? Eine Rangliste des Finanzministeriums, aus der hervorgeht, dass die Bozner Steueragentur italienweit Schlusslicht beim Kampf gegen die Steuerhinterziehung ist. Denn von ohnehin bescheidenen 27 Millionen Euro, die der Südtiroler Niederlassung von Rom als Ziel für 2013 vorgegeben wurden, wurden nur etwas über 68 Prozent tatsächlich eingetrieben. Ein Wert, der schlechter als jener Siziliens ist; während beispielsweise in der Nachbarprovinz Trentino das weit höhere Ziel von 38 Millionen Euro sogar übertroffen wurde.

Grund für dieses miserable Zeugnis des sonstigen Musterschülers: Zu wenig Personal und zu wenige Kontrollen von Seiten der lokalen Agentur für Einnahmen. Dort würden bei gleichen Voraussetzungen 150 MitarbeiterInnen weniger als im Trentino arbeiten. Und, immer laut Alto Adige: Zuletzt wurde in Bozen auch noch Personal von der Abteilung abzogen, die für die Kontrolle zuständig ist. Sprich: Die Chancen Geld unentdeckt am Fiskus vorbei zu schwindeln, seien kaum woanders so gut wie in Südtirol.

Potential von 1,5 Milliarden Euro 

Das macht die Lokalzeitung aber nicht nur an der aktuellen Rangliste aus Rom fest. Immerhin gehe die Finanzpolizei laut aktuellen Daten von einem geschätzten Wert von 1,5 Milliarden Euro aus, der dem Fiskus in der Region Trentino-Südtirol entzogen werde. Den weit größeren Anteil dieser Summe würde dabei Südtirol betreffen. Eine Tatsache, die in der Autonomen Provinz umso schwerer wiegt, als 90 Prozent der Steuergelder wieder in die Kassen der Provinz zurückfließen.  Geht man von Schätzungen aus,  dass das Gesamtvolumen an hinterzogenen Steuergeldern in Südtirol rund eine Milliarde Euro ausmacht, heißt das dem Land, 900 Millionen Euro an Mitteln vorzuenthalten, rechnet der Alto Adige vor. Und das in Zeiten, in denen diese von der Sanität bis hin zur Wirtschaftsförderung überall dringend gebraucht würden.

Warum wird die Provinz also bei der Einschätzung ihrer Steuermoral auch von  Rom weiterhin mit Samthandschuhen angefasst? Warum bekommen Unternehmen, die Millionen am Fiskus vorbeischleusten, von der Agentur Strafnachlässe von bis zu 80 Prozent? Vor allem wenn sie sich von einer der fünf großen Wirtschafts- und Steuerkanzleien des Landes vertreten lassen, über die laut Schätzungen rund 50 Prozent des Südtiroler Reichtums  zirkulieren. Und warum werden Südtirols Steuersünder auch von den Banken gedeckt, die im Gegensatz zu Fiskus einen wahrheitsgetreuen Einblick in die Bilanzen ihrer Kunden bekommen?

Lorenzo Sola: Land will Wirtschaftslobbies bei Laune halten

Fragen, die die italienische Tageszeitung in mehreren Artikeln zum Thema aufwirft – und die umgehend von Ex-Gewerkschaftschef Lorenza Sola weitergesponnen werden. In einer Aussendung verbreitet der SEL-Politiker aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit wenig Zuversicht, dass die im Zuge der Finanzautonomie geplante Übernahme von Kompetenzen durch das Land die Dinge wesentlich verbessern würde. Denn, wie Sola meint: Zumindest bislang habe die Landespolitik nicht einmal mit dem von Staat zur Verfügung gestellten Instrumenten  dazu beigetragen, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Und das obwohl sich die lokalen Gewerkschaften seit Jahren mit Anzeigen oder mit der mehrmaligen Forderung, den Gemeinden eine stärkere Rolle beim Kampf gegen Steuerhinterziehung einzuräumen, für das Thema stark machen.

Doch offenbar wollte es sich die Politik bisher nicht mit „einigen Wirtschaftslobbies  verscherzen, die zu wichtig für Wahlen sind“, so der Vorwurf des SEL-Vertreters. Sein Aufruf, an Landeshauptmann Arno Kompatscher: „Wenn er wirklich eine Veränderung anstrebt, ist ein großer Schritt in diese Richtung notwendig.“ Nicht zuletzt, weil die geplanten Steuererleichterungen auf nationaler Ebene die Einnahmen in Südtirol weiter zurückgehen lassen werden. Der einzige Ausweg? Die Mittel dort zurück zu holen, wo sie unrechtmäßig zurückgehalten werden. Denn, so Lorenzo Sola: „Mit jedem Euro hinterzogener Steuern wird ehrlichen BürgerInnen und Familien geschadet und werden dem Land wichtige Ressourcen für seine Dienste und Sozialleistungen entzogen.“