Cultura | Salto Afternoon

Selbstbestimmt und selbstorganisiert

Die angehende Politikwissenschaftlerin Mara Stirner ist erklärte Antifaschistin und Feministin, lebt im Vinschgau und in Berlin. Und sie organisiert feministische Cafés.
ostwestclub
Foto: Arno Ebner

Salto.bz: Wie sind Sie dazu gekommen feministische Infocafés zu organisieren bzw. zu veranstalten?

Mara Stirner: Ich wohne seit mittlerweile mehr als zwei Jahren in Berlin, bin dort politische Aktivistin und beschäftige mich sehr viel mit gesellschaftsrelevanten Themen. Neben antifaschistischen, postkolonialen und rassismuskritischen Inhalten, setze ich mich intensiv mit feministischen Themen auseinander. In Berlin bin ich auch feministisch organisiert. Ich bin in mehreren Gruppen und selbstorganisierten Räumen aktiv, in denen wir verschiedene politische und soziale Themen aufarbeiten, diese Themen aber auch mit anderen Leuten teilen und uns darüber sensibilisieren und politisieren, was wir an Inhalten vermitteln und selbst erarbeiten.
Da ich den Sommer seit mehreren Jahren in Südtirol verbringe und schon einige Zeit im Ost West Club verbracht hatte, war es eine Idee von mir, dass ich einiges was ich in Berlin mitgenommen habe auch hierherbringen könnte. Damit wollte ich „erfahren“, wo wir hier stehen in Südtirol, wenn es um feministische Bewegung, um feministische Inhalte und vielleicht sogar um eine potentielle feministische Mobilisierung geht. Ich wollte auch hier in Südtirol politisch aktiv sein mit einem konkret feministischen Ziel. 

Seit wann beschäftigen Sie sich mit diesen Themen? Seit Sie in Berlin sind, oder bereits vorher?

Ich beschäftige mich schon sehr lange mit feministischen Themen, schon seit meiner Jugend. Ich denke die Art und Weise wie ich die Themen betrachte hat sich sehr stark verändert, sowie sich auch feministische Theorien und feministische Debatten sehr stark gewandelt haben. Ich habe mich schon sehr lange mit sozialer Ungleichheit und Diskriminierungsformen beschäftigt, die in dieser Gesellschaft vorzufinden sind und habe früh für mich entschieden, dass ich die Zustände so wie sie sind nicht hinnehmen kann. Ich sehe mich in der Verantwortung aktiv für eine „diskriminierungs“-freie Gesellschaft einzutreten, besonders weil ich in einer rassistischen Gesellschaft selbst in einer privilegierten Position bin.
Da ich aber auch selbst gespürt habe wie Sexismus wirkt, wie ich manchmal nicht sprechen durfte, wie ich nicht ernst genommen wurde, wurde auch daraus eine Motivation patriarchale Strukturen aufbrechen und an den Zuständen aktiv etwas verändern zu wollen. In Berlin gibt es große feministische Bewegungen, dort konnte ich die Ideen, die bereits da waren noch mal radikalisieren und erweitern.

In einem der Infocafés geht es um Antifeminismus. Was ist das? Wo kommt Antifeminismus vor? 

Seit es feministische Organisierung gibt, also seit es beispielsweise Kämpfe für das Frauenwahlrecht oder für Gleichberechtigung gibt, gibt es auch eine antifeministische Mobilisierung dagegen. Das gab es auch schon zu Zeiten der Suffragetten. Da haben sich ganz gezielt Leute zusammen getan, um gegen feministische Forderungen zu agitieren, wie zum Beispiel der 1912 gegründete „Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“. Das heißt Antifeminismus bezeichnet nicht bloß das nicht-ernst-nehmen von feministischen Ideen, sondern geht ganz gezielt dagegen vor.
Ganz oft wird Feminismus als etwas Böses, als etwas Verschwörerisches, Machtvolles oder Irrationales dargestellt. Dann wird häufig von einer „Femi-Lobby“ oder einer „Homo-Lobby“ gesprochen, die angeblich die traditionelle Familie untergräbt und die gesamte Gesellschaft in eine Krise stürzt. Diese Verschwörungstheorie ist eine von vier zentralen Verschwörungen der neuen Rechten.

Ich finde es grotesk, dass viele sich vom Feminismus distanzieren, sich teilweise aber nicht einmal von rassistischen oder gar neofaschistischen Positionen distanzieren die wir heute bis in die höchsten Politikränge vorfinden.

Ich glaube gerade heute ist es sehr wichtig wieder über Antifeminismus zu sprechen, weil er uns tagtäglich begegnet und weil Antifeminismus Grundbestandteil rechter Ideologie ist. Schon früh war Antifeminismus eng verwoben mit völkischem, rassistischem oft faschistoidem Gedankengut. Das heißt mit einem heutigen Rechtsruck nimmt auch der antifeministische „Backlash“ zu. Das heißt Angriffe, sexistische Angriffe, auch rassistische Angriffe nehmen zu, aber auch die Art und Weise wie Menschen auftreten können verändert sich. Errungenschaften für Gleichstellung und Selbstbestimmung und für eine Vielfalt von Lebens- und Familienentwürfen werden gezielt attackiert. Über antifeministische Inhalte in familien- und geschlechterpolitischen Themen vernetzen sich außerdem Akteure von der extremen Rechten hinzu konservativen und teils bürgerlichen Kräften, wie der sogenannte „World Congress of Families“ in Verona gezeigt hat. Antifeminismus dient als Scharnierfunktion und macht rechtsextremes und völkisches Gedankengut anschlussfähig.
Deshalb möchte ich im nächsten Infocafé darüber sprechen was Antifeminismus ist, wo er heute sichtbar wird und welche Konsequenzen das hat.  

Spüren Sie persönlich Antifeminismus?

Ich erlebe Antifeminismus häufig. Wenn ich über Feminismus sprechen will oder mich nur ansatzweise feministisch positioniere, werde ich damit konfrontiert, dass meine Meinung als illegitim, gar „extrem“ bezeichnet wird, dass ich übertreiben würde, dass ich eigentlich gar keinen Grund dafür hätte mich feministisch zu organisieren, dass in Wahrheit ich diskriminieren würde. Dahinter steckt sehr oft auch Misogynie oder Sexismus. Es war auch immer wieder mit Freunden aus der Schule, auch mit Leuten die mir nahestehen ein großes Thema: sobald ich mich feministisch positioniere, kommt eine Gegenhaltung.
Aber ich begegne Antifeminismus auch in politischen Debatten, in Wahlkampagnen und in medialer Aufarbeitung von geschlechterrelevanten und feministischen Themen.


Warum gibt es so eine große Berührungsangst mit Feminismus, mit dem Begriff selbst und mit feministischen Themen? 

Ich glaube nach wie vor dahinter steckt „internalisierter“ Sexismus, dahinter steckt das nicht-ernst-nehmen von Forderungen von Menschen die nicht in Machtpositionen waren und sind und ein Festhalten an Privilegien. Ich glaube das ist historisch so geworden und wird uns so sozial mitgegeben. Heute wird viel damit argumentiert, dass die Gleichberechtigung erreicht und feministische Forderungen mittlerweile „extrem“ wären. Interessant ist aber, dass sich Gegenhaltungen gegen den Feminismus heute, nicht groß von antifeministischen Argumenten von vor 100 Jahren unterscheiden.
Ich finde es grotesk, dass viele sich vom Feminismus distanzieren, sich teilweise aber nicht einmal von rassistischen oder gar neofaschistischen Positionen distanzieren die wir heute bis in die höchsten Politikränge vorfinden. Es ist absurd, wenn man betrachtet was feministische Organisierung eigentlich fordert, dass es eine emanzipatorische, progressive Bewegung ist, die für mehr Rechte und Freiheiten für alle eintritt, ist und nun einer verzerrten Darstellung ausgesetzt ist in der vermeintlich Feminist_innen die Macht übernehmen und alle Anderen ihrer Rechte enterben.

Die feministischen Cafés im Ost West Country Club sind in drei Teile gegliedert. Wie kam es zu dieser Dreiteilung und was möchtest du mit dieser Initiative in Meran erreichen?

Die Dreiteilung kommt daher, weil es aufeinander aufbaut. Ich möchte zuerst eine Basis mit den Menschen schaffen, auf die aufgebaut werden kann. Ich wollte Feminismen in ihrer Vielschichtigkeit beleuchten, um dann im letzten Schritt auf die Praxis im Alltag zu kommen. Ich habe mir als Ziel gesetzt, dass Menschen besser verstehen, was es heißt sich feministisch zu positionieren und zu organisieren und vor allem Selbst zu organisieren. Gerade als FLTI-Personen (Frauen, Lesben, Trans-Inter-Personen) sind wir es nicht gewöhnt auf die Bühne zu gehen und unsere Meinung zu teilen. Nicht immer, aber oft ist es so.

Von so vielen Seiten werden wir mit stereotypischen Bildern befeuert, mit Rollenklischees quasi zugedeckt, dass wir Schritt-für-Schritt auf allen Ebenen versuchen müssen das aufzubrechen und auch in uns aufzubrechen.

Im Infocafé setzen wir uns zusammen, wir erarbeiten uns Inhalte, wir sind nicht nur Konsument_innen von dem was uns vorgegeben wird, sondern wollen die Gesellschaft eigenständig und selbst reflektiert verstehen. Ich glaube das ist das was ich vermitteln möchte: Selbstorganisierung als Teil emanzipatorischer Praxis. Gerade in Zeiten wie diesen können wir nicht nur darauf warten, dass irgendeine Gesetzesreform uns von den vielen Diskriminierungen befreit (vor allem bei einer Regierung, die Diskriminierung schürt), sondern wir müssen verstehen, dass Veränderung maßgeblich von uns selber kommen muss, aber auch von uns selber kommen kann. Selbstbestimmt und selbstorganisiert.

Wie schaffen Sie es jungen Menschen zu vermitteln, dass die Rechte die wir heute haben nicht selbstverständlich sind? Viele haben dieses Bewusstsein nicht. Die Wenigsten setzten sich mit feministischer Historie auseinander…

Ich denke, dass wenn wir in einer Gesellschaft aufwachsen, in einem Schulsystem, das uns maßgeblich vorgibt, wie wir die Welt zu betrachten haben, wie wir über diese Gesellschaft lernen und wie wir über sie sprechen, dann ist es unglaublich schwierig da reinzugrätschen und zu sagen: an der oder an der Stelle ist es historisch geworden, es ist nicht „natur“-gegeben. Das ist ein langwieriger Prozess der Schritt für Schritt getan werden muss: Einerseits über Bildung, auch über Schulbildung – auch wenn das System sehr begrenzt ist –, aber vor allem auch im Alltag in den zwischenmenschlichen Beziehungen, indem wir uns einfach mal aktiv zuhören und reflektieren, wie wir selbst uns anderen gegenüber verhalten. Von so vielen Seiten werden wir mit stereotypischen Bildern befeuert, mit Rollenklischees quasi zugedeckt, dass wir Schritt-für-Schritt auf allen Ebenen versuchen müssen das aufzubrechen und auch in uns aufzubrechen.
Die rechtlichen Errungenschaften finde ich wichtig, aber offensichtlich haben sie nur bis zu einem gewissen Punkt etwas gebracht. Sie haben auf institutioneller Ebene etwas bewirkt, aber darunter liegt noch eine strukturelle, gesellschaftliche Ebene und solange wird die nicht anfassen, solange wird da nicht reingehen, können wir so viele Gesetze ändern wie wir wollen, die Gesellschaft wird strukturell trotzdem unverändert bleiben.