Cultura | Sprache

„Diversitäten in einem selbst“

Kseniia Obukhova, Studentin für Eco-Social Design, hat sich in ihrem Masterprojekt mit den Sprachen von Bozner Oberschüler:innen befasst. Herausgekommen ist ein Zine.
Kseniia Obukhova
Foto: Jacopo Margaglia
  • Zu Zines

    Ein Zine, das seinen Namen von einer weiteren Verknappung von „Fanzine“, also einem Fan-Magazin hat, ist ein mit einfachen Mitteln (im Fall der „Gen-Bz“: Risographie) gestaltetes Magazin ohne kommerzielle Absicht. Zu den ersten Fanzines zählten vor allem Science Fiction Druckwerke, im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts erschienen Zines in Kontext des Feminismus, Rock ’n’ Roll und Punk. Durch die Loslösung von Profitbestrebungen sind Zines zwar aus wirtschaftlicher Sicht üblicherweise ein Verlustgeschäft, dafür aber in Wahl und Abhandlung der Themen frei.

    Südtirol ist an und für sich als Sprachraum bereits ein Sonderfall, der in vielerlei Hinsicht aber entlang ethnischer und linguistischer Grenzen festgefahren scheint. Obukhova hat einen Raum aufgesucht, an dem das anders ist und will mit dem Projekt „Gen-Bz“ eine Plattform schaffen, auf der offener und inklusiver Dialog möglich ist. In den Schulen Südtirols sind es junge Generationen, die der Sprache ohne Ehrfurcht begegnen und mit ihr kreativ umgehen. So hat Kseniia Obukhova begonnen, inspiriert von Paolo Cagnans „Lo slang di Bolzano“ (2011), wiederkehrende Slang-Begriffe und Neologismen zu sammeln, die an (für den Beginn des Projekts hauptsächlich italienischen) Schulen von Jugendlichen - mit oder ohne Migrationsgeschichte - verwendet werden. Herausgekommen ist - durch die Beiträge von Schülerinnen und Schülern - sozusagen die Ausgabe 0 von „Gen-Bz“, einem Zine (siehe Infobox), das sie in Zukunft aus der Hand geben möchte. Die Wahl des Mediums hängt mit dessen Geschichte zusammen, das besonders Minderheiten und Subkulturen eine Stimme gab. Dabei zeigt sich: Für Worte ist es wesentlich leichter (Sprach-)Grenzen zu überwinden als für so manchen Dickschädel im Land.

  • SALTO: Frau Obukhova, mit ihrer Arbeit wollen Sie eine offene Plattform im kleinen Format starten. Wie ist das Projekt gestartet?

     

    Kseniia Obukhova: Das Projekt ist als Recherche für meinen Master in Eco-Social Design gestartet, den ich fast abgeschlossen habe. Ich bin mit einer sehr weitläufigen Idee gestartet, insbesondere interessierte es mich, mit Schulen zu arbeiten, weil ich - sei es als Teil meiner Karriere, als auch hier in Bozen - bereits eine Reihe von Projekten mit Jugendlichen gemacht habe. Für mich sind die Oberschuljahre eine, besonders im öffentlichen Diskurs wenig wahrgenommene Altersschicht. Ich habe mich dabei auf einen multikulturellen Schulkontext konzentriert, der hier in Bozen besonders interessant ist, weil es ja bereits in Bezug auf die Schulen eine ethno-linguistische Trennung gibt. Da ich erst vor zwei Jahren angefangen habe Deutsch zu lernen, war meine Sprachkenntnis noch nicht ausreichend, um Personen in dieser Sprache zu interviewen. Später hat sich die Recherche dann auch auf Personen an deutschsprachigen Schulen, die Italienisch sprechen ausgeweitet.

    Ich bin sowohl in Lyzeen, als auch in Berufsschulen gegangen. Ich wollte erstmal verstehen, wie die Schulen und ihre Räume organisiert sind, weil das Auswirkungen auf die Schüler hat. In einem zweiten Schritt habe ich mich dann gefragt, wie diese Multikulturalität, die an den Schulen sehr stark ist, eine Wertschöpfung im Rest der Gesellschaft erfahren kann. Ich habe Erfahrungsberichte zum Lernen und den Räumen in und außerhalb der Schule eingeholt, die mir bestätigt haben, dass es den Jugendlichen häufig an Orten fehlt, an denen sie mit ihrer Diversität experimentieren könnten. Die meisten, die ich interviewt habe, bevorzugten es, ihre Freizeit mit Freunden zu verbringen. Sehr häufig beschränkte sich das entweder auf private oder aber auf kommerzielle Räume wie Bars oder Einkaufszentren. Es gab keinen Ort an dem sie über komplexere Themen hätten sprechen können, wie ihre Diversität oder den Kontext in dem sie leben. Das ist eine essenzielle Sache, die ich hier in Bozen für diese Altersgruppe nicht umgesetzt sehe. Die Jugendlichen erkennen sich in den Angeboten, die ihnen gemacht werden nicht wieder.

  • Gen-BZ: Die Generation Z hat einen anderen Umgang mit Sprache. Kseniia Obukhova ist diesem näher gekommen als der Duden mit seinem Jugendwort des Jahres. 2023 soll dieses "goofy" sein. Foto: Kseniia Obukhova
  • Sie haben vorab auch den Begriff des „Citizen Journalism“ verwendet, der auch etwas Proaktives, von den Bürgern ausgehendes, suggeriert. War das bei ihrem Projekt anders, oder war es, über die Interviews hinaus auch so, dass Themen an sie herangetragen wurden? Was konnte vielleicht auch aus Platzgründen nicht in das Zine?

     

    Das Zine ist, was ich gerne als „Design Fiction Object“ bezeichnen möchte. Es wurde zwar nicht von den Jugendlichen konzipiert oder umgesetzt, aber will eine Reflexion dazu sein, was möglich wäre, wenn diese jungen Menschen Protagonisten eines Diskurses würden, der über sie geführt wird. Der Diskurs spricht von ihrem Leben und versucht sowohl Generationengrenzen, wie auch andere Grenzen in der Region zu überwinden. Die Idee kam mir, weil die Zines historisch etwas waren, das gegen den Mainstream und angestaubte Medien läuft. Es ist kein Objekt voller Information, sondern eine Art Provokation. Die Idee war es, nicht eine Art Wörterbuch zu schaffen, auch um ein gewisses Mysterium zu wahren.

    Für mich ist es witzig mir vorzustellen, dass, wenn Sie oder ich anfingen diese Begriffe zu verwenden, das sofort als „cringe“ gelten und Fremdscham auslösen würde. Die Idee ist es, einen Raum zu bieten, in dem sich die Jugendlichen ausdrücken können, wie sie sind. Ich hoffe inständig, dass das Zine zu einem andauernden Projekt wird, bei welchem die Jugendlichen die Initiative ergreifen.

  • Es ist also die Ausgabe 0 des Zine und die Autorschaft soll abgetreten werden?

  • Foto: Gen-BZ/@bz_walls auf Instagram

    Genau. Meine Rolle kann anfangs, wenn es das braucht, die einer Beraterin in praktischen Fragen sein. Ich habe Hintergrundwissen aus dem Bereich Communication Design, was bei der Präsentation wichtig ist, damit das Zine als etwas erkannt wird, das einen Wert hat und eine Message transportiert. Es könnte spannend sein, diese Kultur unabhängiger Veröffentlichungen zu fördern. Ein Projekt muss dabei nicht unbedingt diese Form haben, es kann etwa auch als Podcast erscheinen, wofür es schon viele Beispiele unter jungen Menschen gibt.

  • Was mir bei der Gestaltung des Zine wichtig war, ist, dass es nicht eine - oder zwei - Sprachen gibt, die darin dominant sind. Man nimmt es nicht in die Hand und sagt: Das ist ein deutsches oder italienisches Projekt. Hier in Bozen wird sehr schnell danach geurteilt und darauf geschlossen, dass diese oder jene Gruppe von einer Publikation angesprochen wird. Für die Ausgabe 0 war es daher essenziell, die Sprachen, welche Teil dieses mündlichen Raums an den Schulen sind, zu durchmischen. Auch wenn im Unterricht eine strikte Trennung vorgegeben ist, kommt es an den Schulen im Gespräch auf sehr natürliche Art zum Austausch. Begriffe, die eigentlich aus dem Arabischen stammen, werden etwa von Jugendlichen verwendet, deren Muttersprache eine ganz andere ist. Für sie ist das ein Spiel. Dieses hat aber keine Auswirkungen auf jene Sprachen, die bereits dominant sind.

  • Foto: Gen-BZ/@bz_walls auf Instagram

    Können Sie Beispiele für diesen Austausch nennen?


    Es gibt Begriffe wie „spanzo“ oder „cissi“, die hauptsächlich von italienischen Muttersprachlern in der Region verwendet werden. Ich habe etwa auch mit einem Jugendlichen gesprochen, der eine deutsche Schule besucht, aber mit seinen Freunden Italienisch oder Bosnisch spricht. Diese Person hat mir Begriffe genannt, die aus dem Sarner Dialekt stammen, oder etwa auch Worte aus dem Russischen. Er hat mir gegenüber dann spezifiziert, dass es sich um ein russisches Wort handelt, das aber auch von italienischsprachigen Personen verwendet wird.

  • Was zeigt uns das, wenn bestimmte Worte Eingang in ganz andere Kontexte finden?

     

    Interessant war für mich, dass er genau wusste, aus welchem Kontext ein Wort stammt. Normalerweise zeigen die Worte, die wir verwenden, zu welcher Gemeinschaft wir gehören. Dieser Umgang mit Sprache ist ein Experimentieren mit der eigenen Zugehörigkeit, was interessant ist, weil es ganz und gar spielerisch ist.

    Klarerweise werden im Unterricht Standardsprachen verwendet, aber es ist spannend zu sehen, wie sich verschiedene linguistische Sphären in informelleren oder privateren Unterhaltungen kreuzen. Eine andere Person hat mir erzählt, dass sie zuhause hauptsächlich Hindi spricht, aber auch gut Englisch, Deutsch oder Italienisch kann. In einem formaleren Kontext aber, wo Italienisch gesprochen wird, hinterfragt sie ihre sprachliche Kompetenz, weil ihr ein Wort nicht gleich einfällt, während sie in drei anderen Sprachen das Wort bereits gefunden hätte.

    Ich lade dazu ein, diese linguistische Fluidität als Antwort auf einen zweigeteilten Kontext und das Sprechen wie ein Spiel zu sehen. Etwas, das einem hilft, in Beziehung mit anderen Menschen zu treten. Man kann sich im Umgang mit Freunden einen Begriff aneignen, weil er einem lustig erscheint oder gefällt, auch wenn er aus einer anderen Sprache stammt.

  • Gen-BZ: Der Denkanstoß im Prospektformat liegt im November der Zebra bei. Ein Grund mehr, um auf der Straße kurz stehen zu bleiben. Foto: Kseniia Obukhova
  • Denken Sie, diese Themen sind auch an deutschsprachigen Schulen relevant, wo die Dialekte älter und stärker in Bezug auf Orte kodifiziert sind? Ist die Umgangssprache im Italienischen flexibler?

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    Die Situation scheint mir nicht sehr anders. Wenn ich deutsche Schulen in Bozen besucht habe, dann sprachen die meisten Schülerinnen und Schüler einen Dialekt aus einem der Täler, weil wir uns an der Ober- und nicht mehr an der Mittelschule befinden. Ihr Alltag ist ein anderer, aber das verbietet den Schülerinnen und Schülern nicht, Sprachen und Dialekte zu vermischen. 

    Meine Arbeit geht ja auch in gewisser Weise von Cagnans „Lo slang di Bolzano“ von vor 12 Jahren aus. Von dem was Paolo mir erzählt hat, hat Südtirol keinen „klassischen“ Dialekt in der italienischen Sprache, wie Venetien oder die Lombardei, da die Ansiedlung eine Invasion war.

  • Auch der Prozess der Sprachentwicklung war damit ein ganz anderer. Was passierte, ist, dass die Menschen italienischer Muttersprache eine Art Slang entwickelt haben, der ein Mix der verschiedenen Dialekte der eingewanderten Personen war. Paolo Cagnan hat mir gegenüber festgehalten, dass seine Arbeit eine Erkundung des mündlichen Italienisch in Bozen war, das sich auch mit Elementen der lokalen Umgangssprachen vermischt hat.

    Was ich versucht habe ist, auch weil ich dafür nicht über die notwendigen Kompetenzen verfüge, kein linguistisches Projekt. Was ich aber hervorheben wollte, ist, dass diese Präsenz vieler Sprachen etwas vollkommen Natürliches ist und dass es auch gilt, die Diversitäten in einem selbst anzuerkennen. Wenn wir etwa Begriffe aus dem Englischen verwenden, oder Italienisch sprechen und ein Wort aus dem Deutschen benutzen, dann müssen wir uns nicht gleich innerlich „kolonialisiert“ fühlen. Das ist etwas, das spontan geschieht und einem hilft, dem Gesagten einen gewissen Zuschnitt zu geben. 

    Es hat mich gewundert, dass bei partizipativen Aktionen, die ich an einigen Schulen gemacht habe, gewisse Begriffe sowohl in dieser, als auch in jener Schule zum Einsatz kamen, auch wenn linguistisch andere Voraussetzungen gegeben waren. Ein wenig sollte uns das Wissen um diese „dritten Räume“ vielleicht helfen, Distanzen zu überwinden. In diesen Räumen findet eine soziale und kulturelle Entwicklung abseits der dominanten Kulturen statt. Diese Entwicklung gilt es, finde ich, zu fördern und zu entdecken, weil sie auch zu einer Überwindung von Konflikten beitragen kann.

  • Hilft es auch über ein gewisses „Othering“ hinweg, also dass man sich von Menschen distanziert, die man als „anders“ wahrnimmt? Müssen wir uns vielleicht von einem Verständnis von Sprache verabschieden, die uns mit nur einem Kontext verbindet?

  • Foto: Gen-BZ/@bz_walls auf Instagram

    Hier würde ich gerne aus meiner persönlichen Erfahrung heraus sprechen. Meine Muttersprache ist Russisch. Die Sprache, die ich am meisten spreche ist das Italienische. Für mich ist die Sprache an und für sich schon eine Zugehörigkeit. In Adrian Bravis „La gelosia delle lingue“ heißt es: „L’uomo è messo a nudo, svelato dal suo linguaggio“. Das erste, was uns identifiziert ist, wenn wir jemandem unseren Namen sagen: Man wird, in gewisser Weise, klassifiziert.

  • Sprache gibt einem ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer, statt zu einer anderen Gemeinschaft. In meinem Fall bringe ich diese Zugehörigkeit in sehr verschiedenen Kontexten zum Ausdruck: Ich spreche dabei etwa mit meiner Familie, die über den Globus verteilt lebt. Gehöre ich dann gleich „zu Russland“, auch wenn sie und ich komplett wo anders leben? Oder ich rede mit Freunden, mit denen ich immer Italienisch gesprochen habe und die nun aber in Finnland oder Luxemburg leben. Gehöre ich dann zu Italien? Das ist ein interessantes Thema, aber ich glaube, wir müssen Sprache einfach nur als ein Mittel sehen, das uns dabei hilft uns auszudrücken und das zu sagen, was wir sagen wollen. Unsere Identität wird nicht durch die Sprachen, welche wir sprechen bestimmt und wir müssen versuchen, uns in einem hybrideren Raum zu bewegen. 

    „Gen-Bz“ soll als Objekt in gewisser Weise - es sind nicht wirklich alle - die Sprachen darstellen, die an den Schulen gesprochen werden, als eine Provokation. Wenn sich all diese Sprachen um einen Tisch wiederfinden würden und jede und jeder seine Sprache spricht, was käme dabei heraus? Wir kämen sicherlich trotzdem zu einer Art Abschluss und es wäre dann vielleicht auch spannend, andere Wege der Kommunikation zu entdecken, haptische, oder expressive, etwa. 

  • Mit Anfang November werden 400 Exemplare des Zine „Gen-Bz“ mit der Straßenzeitung „Zebra“ verteilt. Am 17. und 18. November wird Kseniia Obukhova zudem auf der „Diplorama“ an der Freien Universität Bozen anzutreffen sein, wo man Einblick sowohl in das Zine, wie auch in die vorangegangene Recherche erhalten kann.