Società | Ortskern-Belebung

Zwischen morgen und gestern

Am Wochenende wurden die Türen und Tore der alten Stadel und Wohngebäude in Schluderns geöfffnet: um Bewusstsein zu schaffen und neue Nutzungsideen ins Rollen zu bringen.
schluderns
Foto: Lorenz Frei

"Häuser, die Erinnerungen wecken". "Plätze, die Geschichten erzählen". "Kinder, die durch die Straßen laufen". "Ein Ort, der sich in Wohn-, Arbeits- und Lebensraum dekliniert und auch ohne Verabredung aufgesucht werden kann". All das sind Antworten auf die Frage, die am vergangenen Freitag und Samstag im Rahmen der Veranstaltung “Offenen Türen Schluderns” gestellt wurde: “Was macht ein lebendiges Zentrum aus?”.

Auf der Suche nach Antworten haben Susanne Waiz (Architektin und Initiatorin der Veranstaltung), Heiko Hauser (Bürgermeister von Schluderns) und Armin Bernhard (Präsidenten der Bürgergenossenschaft Obervinschgau) einen Raum für Austausch und Gespräch geschaffen sowie die Möglichkeit, das alte Zentrum durch offene Türen, Geschichten und Erzählungen neu zu erleben.

Dabei ging es nicht - wie so häufig, wenn über Denkmalpflege gesprochen wird - um Schlösser, Burgen oder Kirchen, sondern um das Ungeschützte. Um jene Häuser und Plätze, die ein Dorf zum Leben erwecken, Arbeitsplätze schaffen und Erinnerungen wachrufen. Im bäuerlich-geprägten Schluderns sind dies vor allem die alten Wirtschafts- und Futterhäuser, die bereits seit Jahren dem Verfall ausgesetzt sind und bei der Veranstaltung am Freitag und Samstag neu erfahren werden konnten.

 

Den Anfang machte die Erforschung der Geisterhäuser am Freitagabend: Kinder zwischen acht und zwölf Jahren schlichen mit Taschenlampen ausgerüstet durch die dunklen Gänge des alten Haflingerhofs: “Gea zu z’earst”, hörte man sie im Dunkeln flüstern, während sie vorsichtig die knarrenden Zimmertüren aufschoben.

“Heute haben Kinder kaum noch die Möglichkeit, leere Strukturen zu entdecken”, so Armin Bernhard, der die Kinder auf der Entdeckertour begleitete. “Wir wollten ihnen diese Möglichkeit bieten und auch ihre Neugierde für das Leben in diesen alten Häusern wecken.”

 

Am Samstag wurden die alten Wohnhäuser und Stadel dann fürs große Publikum geöffnet: Im Fritzenstadel wurden mögliche Nutzungsbeispiele für alte Gebäude - sogenannte Best Practice Projekte - aus dem Vinschgau gezeigt. Im Stadel beim Schweizerhof hatten Kinder und andere Interessierte die Möglichkeit, ihre Vorstellungen von einem lebendigen Dorf kreativ umzusetzen. Beim Richterhaus, dem Agetle Haus, dem Schweizerhof und dem Haflingerhof führten die Bauforscher Martin Laimer und Rosa Sigmund vom Landesdenkmalamt und die Bauforscherinnen Sonja Mitterer und Barbara Lanz durch beziehungsweise um die leer stehenden Häuser und Stadel. Immer wieder kamen Bürger*innen vorbei und erinnerten sich an die ehemalige Nutzung der Häuser und Höfe: die Korbbinderei im jahrhundertealten Richterhaus zum Beispiel.

 

So wurde der Grundstein für die anschließende Diskussion geschaffen: Erfahrbare Räume, die Erinnerungen wachrufen und punktuelle Eingriffe ermöglichen. “Es geht darum, zu verstehen, was die einzelnen Strukturen, der vorhandene Raum und die Landschaft bieten, um so punktuell Zone für Zone zu verstehen, was der Bedarf im Kleinen ist und wie der Raum dafür genutzt werden kann”, so der Schludernser Bürgermeister Heiko Hauser.

Diese Wertschätzung einer Beziehung zwischen den Menschen und dem räumlichen und sozialen Umfeld, das sie umgibt, wird in einzelnen Beispielen aus unterschiedlichen Ortschaften vertieft: Ein Bürger erzählt vom Brunnenplatz in Meran, wo durch den Erhalt der kleinen Geschäfte und Läden weiterhin ein lebhaftes Dorfzentrum existiert. Die Direktorin des Denkmalschutzamtes, Karin Della Torre, beschreibt ein kleines Ensemble rund um einen Brunnen in Stilfs, wo sich die Anrainer noch heute zum Wasserholen und einmal im Jahr zum gemeinsamen Singen treffen. Susanne Waiz erzählt vom interkulturellen Gemeinschaftsgarten im “Shanghai Viertel” in Bozen: “Seitdem wir diesen Garten geschaffen haben, fühle ich eine Art Verantwortung, das Leben im Viertel mitzugestalten”, so Waiz. “Das beginnt damit, dass ich mal ein Stück Müll aufhebe oder gemeinsam mit den Nachbarn im Garten esse. Mal pflanzt jemand einen Rosmarinstrauch, mal ein unbekanntes Gemüse. Seitdem es den Garten gibt, spielt sich mein Leben auch im Viertel ab.”

 

Altes und Neues müssen also zusammenspielen, um die Zentren der Dörfer wiederzubeleben; vor allem aber müssen Orte geschaffen werden, zu denen es möglich ist, eine Beziehung aufzubauen. “Diese Möglichkeit ist im Alten häufig noch viel greifbarer als im Neuen”, so der Architekt Jürgen Wallnöfer bei der abschließenden Diskussionsrunde im Kulturhaus von Schluderns. “Die Gebäude stehen oft eng beieinander, die Mauern sind schief und die Häuser nicht ‘optimal’ ausgerichtet. Kein Haus ist auf der Flucht, jedes schaut auf das andere. Gleichzeitig steckt in jedem einzelnen Haus, in jedem Stein eine Geschichte - die Häuser wurden mit viel Arbeit und wertvollen Materialien zum Bleiben errichtet, an Abriss war nicht zu denken.”

Durch Veranstaltungen wie diese soll das Bewusstsein der Bevölkerung für das, was ist, geweckt und so der Grundstein für dessen Weiterentwicklung gelegt werden. Ein Grundstein, der auch als Impuls für die gemeinsame Ausarbeitung der neuen Gemeindeentwicklungsprogramme genutzt werden kann - ohne, dass die Entscheidungen von oben herab auf die Bevölkerung aufgedrückt werden.