Arte | Kunst und Nibelungen

Wortwelten und Interpretationsspielraum

In Meran schlägt man alte Seiten auf und wirbelt Staub auf. Mit Ausstellung und Rahmenprogramm sucht man neue Blickpunkte auf den Nibelungenmythos sowie Modernisierungen
Imagine worlds
Foto: Ivo Corrà
  • Unter den Titeln „Imagine Wor(l)ds“ und „Nibelungen - die Rückkehr.il ritorno“ werden vom Kunsthaus Meran eine Ausstellung (24. Februar bis 19. Mai) und von der Akademie Meran eine Reihe an (populär-)wissenschaftlichen Vorträgen für unterschiedliche Kenntnisstände (23. Februar bis 14. Juni) ausgerichtet. Gestern Vormittag wurde der Presse im Kunsthaus unter den Meraner Lauben Einblick in die Ausstellung sowie in das anstehende Programm gewährt. Der Auftakt zur „Rückkehr“ erfolgt heute um 14.30 Uhr mit einer Eröffnungstagung zur handschriftlichen Tradition des Nibelungenliedes an der Akademie Meran unter Vorsitz von Sigurd Paul Scheichl sowie mit Beiträgen von Toni Bernhart, John Butcher, Max Siller, Mario Klarer und Margarete Springeth. Der Eintritt ist wie für das gesamte Vortragsprogramm, das hier eingesehen werden kann, frei.

    Das Sandkorn, um das sich der Perlmutt von mehreren Monaten Nibelungen-Veranstaltungen und die Ausstellung mit Harald F. Theiss’ kuratorischer Handschrift angesammelt hat, ist eine Handschrift. Genauer gesagt ist es „Nibelungen-Handschrift I, Signatur mgf 474“, die heute in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt wird und von Beda Weber bei der Veräußerung des Inventars der Burg Obermontani (heute Gemeinde Latsch) 1839 sichergestellt werden konnte. Wie viele andere Nibelungenquellen aus der Zeit fand sich die Originalhandschrift aus dem Jahr 1323 weit südlich im Einzugsgebiet für das wohl wichtigste Epos des deutschen Mittelalters. Aus Konservationsgründen reist das Vinschgauer Manuskript allerdings erst Ende März an, um dann bis zum Ende der Ausstellungsdauer zu bleiben.

    Ein weiterer spannender Programmpunkt im Dunstkreis der Ausstellung wird am kommenden Donnerstag, dem Schalttag um 20.30 Uhr im Meraner Stadttheater stattfinden. Ein Zusammenschluss aus den Ensembles Windkraft und Conductus wird mit Unterstützung von Studenten der Konservatorien von Bozen und Trient in großer Besetzung und unter der Leitung von Marcello Ferra Werke von Wagner, Rossini, Mozart und Hoffmann auf die Bühne bringen. Im Hintergrund des „Nibelunghi al Sud“ getauften Abends steht eine Begegnung Wagners und Rossinis 1860 in Paris, über die auch Edmond Michotte ein Buch verfasste. Die Vorstellung einer Begegnung zweier Männer, die in ihrer Zeit und darüber hinaus für ihren Kulturkreis prägend waren und bleiben.

  • Weltvorstellung: Was bleibt von einem Nibelungenmythos, der ganz und gar verheutigt wird? Foto: Ivo Corrà

    Gerade die Ausstellung mit ihren zahlreichen künstlerischen Positionen von Astha Butail, Julia Bünnagel, Andrea Canepa, Zuzanna Czebatul,  Margret Eicher, Nadine Fecht, Philipp Fürhofer, Jeppe Hein, John Isaacs, Kubra Khademi, Alexander Kluge & Jonathan Meese, Oliver Laric, Kris Lemsalu, Philip Loersch, Tim Noble & Sue Webster und Nasan Tur sowie mit einem von Mirja Reuter und Florian Gass geleitetem künstlerischen Beteiligungsprojekt für Schulklassen, blickt dabei auffällig mehr auf die Gegenwart und darauf, was wir mit diesen Texten heute noch anzufangen wissen. Der Drachentöter ist da für viele als Figur weniger spannend als es Kriemhild und Brunhild, aufgegriffen etwa von Zuzanna Czebatul in einer großformatigen Kopie eines Fassadenelements aus Paris, „Probbaly a Robery“- „Wahrscheinlich ein Kunstraub“, sind. Oder etwa auch Antiheld Hagen ist da spannender. Letzterem haben das Grafiker-/Künstlerduo Jonathan Meese und Alexander Kluge eine illustrierte Neuauflage des Werkes gewidmet. Zahlreiche Illustrationen aus „Schramme am Himmel: Nachrichten von Hagen“ finden sich im 2. und 3. Stock.

    Aber auch Mythen und deren Weitergabe sind Thema: Nicht nur zwischen Buchdeckeln lebt eine Sage fort. Die Peruanische Künstlerin Andrea Canepa verweist mit ihrer raumfüllenden Arbeit aus frei hängenden Stoffen mit geometrischen Mustern, die sie „la rebelión de los artefactos“ nennt, darauf, dass auch andere Modelle von Schrift und Tradition existieren und eigene Qualitäten mitbringen, die zwischen zwei Buchdeckeln schwerlich Platz finden würden.

    So auch die Vision, der afghanischen Künstlerin Kubra Khademi, mit ihrem nach traditionellen Ästhetiken angefertigten Bild „The Great Battle“, das auf Kulturkreise verweist, in denen das Töten von Drachen auch Frauensache ist. Vorbei am Projekt der Schülerinnen und Schüler, die nach wie vor aktiv sind und bereits einen kurzen Film und ein Schattenspiel mit Puppen gestaltet haben, die es hinter einem Schirm zu entdecken gilt, der zuvor nur die Silhouetten der selbstgestalteten Figuren preisgibt, erwartet uns ein letztes Werk von monumentalen Dimensionen. Nach den Füßen einer weiteren von Czebatul abgenommenen Siegfriedsstatue, spielt Margret Eicher an der Grenze zwischen analogem Teppich und digitalen Bildstörungen. „It’s a Digital World“ verspricht der Rahmen des eher an Comic und Actionfilme erinnernden Bildes, das auf Videospiele verweist. „Drücke rhythmisch nach Oben und Unten um das Monster zu töten“ rät uns das Werk zwischen gestern und heute.