Economia | Natur beobachten

Vom Hörsaal ins Freie

Im Rahmen der Reorganisierung zweier Fakultäten der Universität Bozen haben wir uns mit Herrn Dr. Christian Fischer getroffen, welcher uns nun mehr dazu erzählen wird.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale del partner e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
foto_unibz.jpg
Foto: Unipress/Unibz
Salto: Welche Neuerungen gab es vor Kurzen an der Uni Bozen?
Christian Fischer: Zwei Fakultäten wurden umbenannt und neu organisiert. Die Fakultät für Naturwissenschaften und Technik wurde aufgespalten in einen Ingenieursbereich, der verschmolzen ist mit den Informatikern als Fakultät für Ingenieurswesen und der andere Teil ist die Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften geworden. Es sind immer noch fünf Fakultäten an der Uni, nur zwei haben einen neuen Namen und wurden etwas umstrukturiert. Wir als Fakultät für Agrar-, Umwelt und Lebensmittelwissenschaften sind zwar zusammen mit der Designfakultät die kleineren Bereiche der Uni, aber durch den neuen Namen und dem neuen Profil schaffen wir einen Mehrwert.
 
Warum hat sich die Fakultät für Naturwissenschaften und Technik in zwei Fakultäten, Fakultät für Ingenieurwesen und die Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften aufgeteilt?
 
In erster Linie ging es darum, dass die Ingenieure eine eigene Sichtbarkeit bekommen und nun mit den Informatikern eine Fakultät bilden, mit denen sie fachlich mehr zu tun haben. Somit können sie eine leistungsfähigere Einheit bilden. Auch uns war es ein Anliegen ein selbständiges Profil mit eigenem Namen zu bekommen, um die Sichtbarkeit nach Außen besser zu bündeln, da die Landwirtschaft in Südtirol immer noch eine große Rolle spielt und auch der Lebensmittelsektor strategisch zunehmend wichtig wird.
 
Was bedeutet das für die Studierenden?
 
Für den Studierenden an sich ändert sich nicht viel im Moment, außer, dass seine Fakultät einen neuen Namen trägt. Wir haben noch die gleichen Studienprogramme, die gleichen Professoren und Verwaltungsmitarbeiter. Mittelfristig werden aber sicher auch Neuerungen stattfinden.
 
 
 
Was ist die Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften genau?
 
Wir sind eine Abteilung der Universität und wir behandeln so zu sagen alle  „grünen“ Fächer. Sprich: Alles, was mit der Natur oder mit der Produktion von biologischen Gütern, Pflanzen und Tieren zu tun hat. Unser Fokus und unsere Besonderheit ist, das wir die Interdisziplinarität fördern, also Ansätze und Denkweisen aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachrichtungen vereinen wollen. Somit bekommt der Studierende ein ganzheitlicheres Bild, was Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften miteinander zu tun haben und kann Verknüpfungen herstellen. Gerade im Agrar- und Umweltbereich sind die Studenten auch viel draußen und lernen am „lebenden Objekt“. Sie besuchen Betriebe, lernen im Feld oder im Weinberg, sind in den Bergen und Wäldern unterwegs, um ihre Umwelt hautnah zu erleben und zu verstehen. Dies wollen wir in Zukunft ausbauen und auch mehr kommunizieren, da diese Priorität in Verbindung mit dem Ingenieurwesen, welche viel Zeit im Labor verbringen, vorher so nicht machbar war. Die Uni Bozen hat großes Glück, da wir durch unseren Standort im Herzen Südtirols, den Studierenden die Möglichkeit geben können, in einer einzigartigen Bergumwelt viele Beispiele selbst zu erleben und eigene Erfahrungen in verschiedensten Bereichen zu sammeln. Es soll „draußen studiert“ werden können. Der Bereich Lebensmittelwissenschaften verbringt natürlich mehr Zeit im Labor, wo ihnen im NOI Techpark mit die besten Labors in Italien, wenn nicht Europa geboten werden.
 
Habt ihr ausgewählte Betriebe, mit denen ihr zusammenarbeitet oder wo finden die Lesungen im Freien statt?
 
Wir arbeiten, ganz traditionell wie die ganze Universität Bozen, eng mit den Organisationen draußen zusammen. In unserem Fall land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die Laimburg, Eurac, dem Südtiroler Bauernbund, dem Sennereiverband, den verschiedenen Abteilungen der Provinz und viele andere mehr.
 
Wie kann man sich “draußen studieren“ vorstellen?
 
Wir bieten viele verschiedene Fächer an, aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Natürlich viele naturwissenschaftliche Fächer, aber auch technologische und wirtschaftliche Fächer wie Physik, Informatik, Agrarmechanik, Marketing, Agrarpolitik oder Agrarökonomik - und je nach Fach ist die Interaktion nach außen eine andere. Bei einem Kurs zur Bodenkunde wird eine Bodenanalyse gemacht, im Obst- und Weinbau wäre ein Bereich der Baumschnitt, wo Studierende mit in die Obstanlagen gehen und Schnitttechniken lernen und umsetzen können. Studierende in meinem Bereich Agrar- und Ernährungswirtschaft besuchen zum Beispiel, in Zusammenarbeit mit dem Bauernbund, verschiedene Betriebe und interviewen die Betriebsleiter, um sich ein Bild von deren Arbeit zu machen. Je nach Fach ist die Interaktion unterschiedlich. Es gibt eine ganze Palette an Aktivitäten wie man draußen studieren kann und das macht unseren Studiengang so spannend, da wir versuchen, die Theorie und die Praxis schon im Studium zu verbinden. Wir sind von “learning by doing” und dem “lernen durch erfahren” überzeugt.
 
Wie funktioniert „draußen studieren“ beim Schwerpunkt Umweltwissenschaften?
 
Wir sprechen von Bergumwelt aber wir meinen in erster Linie Wälder und Forste. Die Studierenden sind draußen in den Bergen und Wäldern unterwegs, machen dort Untersuchungen, schauen sich Böden, Wälder und deren Entwicklung an, wie man Bäume klassifiziert, die Holzproduktion verbessert und vieles mehr.
 
Wird dabei auch die Klimaforschung miteingebunden?
 
Natürlich werden auch die Klimaaspekte gelehrt, da sich das ja durch alle Bereiche zieht und gerade die Landwirtschaft auch einen großen Emissionsfaktor darstellt. Umwelt ist breiter als das, was wir an der Fakultät lehren, da auch die städtische Umwelt einen Teil der Umwelt darstellt und wir uns aber mehr auf die Ökosysteme im Bergbereich fokussieren. In erster Linie Wälder, aber auch Gewässer, Gletscher und alles, was damit zusammenhängt. Teil der Ausbildung ist es Probleme zu erkennen, zu identifizieren aber natürlich auch Strategien zu entwickeln und zu testen, um Verbesserungen zu erzielen.
 
Sind Studierende auch konkret in verschiedenen Projekten eingebunden?
 
Es gibt viele Studienprojekte und Forschungsprojekte, welche bei uns gemacht werden. Bei den Forschungsprojekten arbeiten die Studierenden aber meist nur im Rahmen einer Bachelor- oder Masterarbeit mit. Wir machen mit den Studenten aber kleinere Projekte, meist als Gruppenarbeit, wo Probleme analysiert, Lösungsstrategien ermittelt und die Umsetzung ausgearbeitet werden. In jedem Fach lernen unsere Studierende nicht nur Theorie, sondern auch, diese praktisch anzuwenden.
 
Können Sie uns von Forschung und Projekten erzählen, welche von der Unibz gemacht werden und welche der Bürger einsehen kann?
 
Wir haben einen riesigen Forschungsoutput, den man online auf unserer Webseite (unibz.it) nachlesen kann oder z.B. bei Events wie „die langen Nacht der Forschung“ im Herbst, wo eben diese vorgestellt werden. Alle Projekte zielen darauf ab, Veränderungen im positiven Sinne zu erzielen. Die Wissenschaft steht am Anfang der Innovationskette, es geht darum, Probleme zu identifizieren und Lösungsstrategien zu entwickeln und evtl. zu testen, aber die konkrete Umsetzung erfolgt dann meist durch andere Akteure wie Unternehmen oder die Politik, die das erlangte Wissen, das durch die Wissenschaft generiert wurde verwenden.
 
Welche Zusammenarbeit gibt es zwischen Universität, Industrie und der Arbeitswelt und wie soll sie sich entwickeln?
 
Ich möchte hier nur auf die universitäre Lehre eingehen. Eine der wichtigsten Ressourcen der Zukunft sind unsere jungen Menschen. Aktuell beginnen etwa 60% der Maturanten ein Studium, welche wir im besten Wissen und Gewissen auf deren zukünftige Arbeitslaufbahn und in diesem Sinne in Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen und Organisationen auf die Arbeitswelt vorbereiten wollen. Für jeden Studiengang gibt es einen sogenannten Beirat/Stakeholder Rat, wo Unternehmen und Organisationen, also häufig potenzielle, zukünftige Arbeitgeber mit Einfluss nehmen können, was in einem Studiengang gelehrt wird. Wir wollen dieses Potenzial auf jeden Fall weiter ausbauen und noch mehr mit Unternehmen und Organisationen, z.B. Genossenschaften, Beratungsringe usw. zusammenarbeiten und in unsere Ausbildungsaktivität einbinden. Wir hoffen das damit der Zugang zu den Studierenden erleichtert wird und auch die Studenten eine bessere Vorstellung über ihre späteren Arbeitsmöglichkeiten erhalten.
 
Wir wollen das Life Long Learning unterstützen und auch Mitarbeiter aus Partnerunternehmen an der Unibz willkommen heißen, um sich weiterzubilden, vielleicht noch einen Master zu machen, neue Blickwinkel und Kenntnisse gewinnen und einen Mehrwert für das Unternehmen aber auch für die Uni schaffen. Tendenziell müssen wir alle länger arbeiten und es macht daher Sinn, im Berufsfeld breiter aufgestellt zu sein und sich stetig weiter zu entwickeln. Man hat nie ausgelernt.
 
Treten Unternehmen mit einem Problem auch an euch heran und die Studenten erarbeiten Lösungsansätze?
 
Das Erfolgt zum Beispiel im Rahmen von Forschungsprojekten. Im Ingenieursbereich ist die Zusammenarbeit mit Unternehmen stärker ausgeprägt, bei uns sind es eher die Verbände und Organisationen wie der Südtiroler Bauernbund, Bioland, Sennereiverband etc.,die an uns herantreten und man gemeinsam Projekte macht, um Problemlösungen zu erarbeiten.
 
Von welcher internationalen Zusammenarbeit können Sie uns erzählen?
 
Im Rahmen vom Erasmusprogramm kann man einen Teil des Studiums im Ausland verbringen, in dem Fall innerhalb Europas, zum Beispiel an der BOKU in Wien oder in Göttingen. Wir haben italienische Partnerunis unter anderem in Bologna und Parma und bilden eine schöne Partnerschaft mit der Universität in Chiang Mai in Thailand, wo jedes Jahr, zumindest vor Pandemiebeginn, eine Hand voll von Studenten nach Thailand reisen konnte, um dort zu lernen wie tropische Landwirtschaft aussieht, Reisanbau funktioniert und wie man dort lebt. Wer wollte, konnte sogar lernen, wie man Elefanten reitet. Vielleicht nicht gerade ein Wissen, was man in der Bergwelt von Südtirol zwingend braucht (lacht), aber wer weiß für was es gut ist. Nach Brasilien haben wir Kontakte, in die Kapverdischen Inseln und viele andere Orte. Natürlich hat die Pandemie die Studienaustausche nahezu zum Erliegen gebracht, aber nun sehen wir, dass unsere Studierenden diese Möglichkeiten wieder wahrnehmen.
 
 
Möchten Sie abschließend unseren Lesern noch etwas mitgeben?
 
Ich möchte mit diesem Interview auch gerne neue Studenten animieren sich unsere Fakultät anzuschauen, da das „draußen lernen“ etwas ist, was uns am Herzen liegt und wovon wir uns einen großen Mehrwert im Lernen und Verstehen erhoffen. Die meisten unsere Themen sind multidisziplinär, also miteinander verknüpft und so erhalten Studierende bei uns ein allumfassendes Bild, wie Landwirtschaft, Umwelt und Lebensmittelproduktion ineinandergreifen. Das sind alles wertvolle Fähigkeiten und Qualifikationen, welche eine erfolgreiche Zukunft ermöglichen.
 
Beitrag von Anna Morandell