Može! Wir sind hier im Paradies

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Ex libris
Questo estratto dal libro di Doris Akrap fa parte del nuovo formato “Ex libris” su SALTO.
Dieser Auszug aus dem Buch von Doris Akrap ist Teil des neuen Formats "Ex libris" auf SALTO.
Mein Vater hätte mich gerne Jadranka – „Die von der Adria“ – getauft. Aber meine Mutter wollte ihre Tochter nicht wie das Schiff nennen, auf dem mein Vater als Matrose über die Weltmeere geschippert war. Heute ist die dalmatinische Adria mein zweites Zuhause. Das wichtigste Wort in Dalmatien lautet: Može! Es bedeutet so viel wie: „Geht klar“. Es bedeutet aber nicht, dass man sich auf dieses Versprechen verlassen kann. Može! will dem Gegenüber lediglich das Gefühl geben: alles ist möglich, wir sind hier schließlich im Paradies. Merken Sie sich aber unbedingt, dass auch die Frage, ob Sie noch ein Glas Wein möchten, „Može?“ lautet und die einzig richtige Antwort darauf: „Može!“
Zu den Geschichten, von denen ich Ihnen erzählen will, führen meistens keine Hinweisschilder.
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Dalmatienerkunderin: Doris Akrap, geboren 1974 in Südhessen als Tochter eines dalmatinischen Gastarbeiters. In dessen Haus am Meer lebt sie in der Nebensaison und schreibt als Journalistin und Kolumnistin oft über Gesellschaft, Literatur und Politik Kroatiens. Hauptsächlich aber trifft man sie in Berlin, wo sie als Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts der Tageszeitung taz arbeitet. Sie ist Mitgründerin des PEN Berlin. Foto: Privat
„Može“ dachte sich wohl auch mein Vater, als er 1974 beschloss, ein Haus am Meer zu bauen. An dem Meer, an dem er aufgewachsen war, der Adria. Noch heute sind auf den Terrassenmauern dieses Hauses zwei Abdrücke von Kinderhänden im Beton zu sehen: Das Haus und ich, wir sind zusammen groß geworden. Es war nicht immer einfach mit uns beiden und keinesfalls immer paradiesisch. Aber als mein Vater starb, schaute mich das Haus an und fragte: „Može?“ Und ich konnte nicht anders als zu antworten „Može!“ Seither verbringe ich Frühjahr und Spätsommer hier, kämme dem Haus die Haare, zieh ihm neue Klamotten an, schneide Oleander, Affenbrot- und Pfirsichbaum, streiche Fensterläden, Terrassengeländer und Küchenstühle und fahre mit meinen R4 durch Dalmatien, wo ich mich inzwischen besser auskenne als in Hessen, wo ich aufgewachsen bin.
Fischfang und Prosecco, Zikadengesang und Coccobello: Melonenberge am Straßenrand und Schnaps in Plastikflaschen, knatternde Vespas und Zikaden – die dalmatinische Küste verspricht besten Urlaub im Süden. Doch irgendwas ist hier anders. Diese mitunter sehr persönliche Reise führt hinter die touristischen Kulissen von »Zimmer frei« und »Cevapcici« und blickt auf die Überreste der sozialistischen Ferien- und Stadtarchitektur. Lesen Sie, warum die Landschaft hier von verrostenden Panzern und Partisanendenkmälern durchzogen ist. Wo es den besten pršut gibt und woran man exzellentes Olivenöl erkennt. Und wie große Gesten und kleine Übertreibungen zu interpretieren sind, um nicht nur das Essen, sondern auch all die Geschichten zu genießen, die Ihnen die Dalmatiner auftischen. Foto: FolioIch meide dabei die Hauptsaison und empfehle allen, die hier vorbeischauen wollen, das möglichst auch zu tun. Dalmatien zeigt seine beste Seite in der Vorsaison von Anfang April bis Anfang Juni und in der Nachsaison von Anfang September bis Anfang November. Zum einen sind die Temperaturen erträglicher, zum anderen weniger andere Tourist:innen unterwegs. Im Frühjahr blühen die Natur und die Einheimischen auf, im Spätsommer wird das karibikblaue Meer ganz ruhig und trägt wieder Fischerboote statt Jetskis, die Tintenfischsaison beginnt.
Wer Dalmatien bereisen will, findet in jedem Reiseführer genug Highlights und kann sich anhand touristischer Straßenbeschilderung orientieren. Zu den Geschichten, von denen ich Ihnen erzählen will, führen meistens keine Hinweisschilder. Natürlich gebe auch ich in diesem Buch ein paar persönliche Tipps Marke „malerische Bucht“, „antike Ruine“ oder „super Essen“ und selbstverständlich geht die Reise auch zu allen wichtigen Städten an der Küste und im Hinterland. Aber immer wieder bleibe ich an einer Ecke stehen oder biege in eine Straße ab, an der die meisten ahnungslos dran vorbeilaufen. Hier verbergen sich Balladensänger, Partisaninnen oder Bettlerkönige, die man kennen muss, um sie zu finden. In dalmatinischer Gesellschaft werden nicht nur Schinken, Käse, Oliven, Feigen, Fisch und Fleisch aufgetischt, sondern immer auch große Geschichten. Unterhaltsam zu erzählen ist hier genauso wichtig wie gut zu essen und zu trinken. Die Zivilisations- und Kulturgeschichte ist in Dalmatien so vielschichtig wie der Felsen, aus dem der Landstrich im Wesentlichen besteht. Und so gut wie jede dalmatinische Geschichte hat 942 Versionen, so viele wie es hier Inseln gibt. Darf ich Ihnen einige davon zeigen?
Ich freue mich, wenn Sie darauf antworten: „Može!“
Das Reisebuch von Doris Akrap ist in der OH!-Reihe des folio-Verlages erschienen. Am 15 Mai feierte es Berlin-Premiere. Die Moderation übernahm "Ehrendalmatiner" Denis Yücel.
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