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Corona ist ein Outlier, aber...

Pandemien wie die aktuelle sind nicht höchst selten, sagt Prof. Lechner. Staaten werden sich besser vorbereiten müssen. Apps könnten als Frühwarnsysteme nützlich sein.
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Coronavirus - Animation
Foto: Unsplash

Taiwan, Südkorea, oder Hongkong. Ihnen allen ist im Umgang mit dem Coronavirus eines gemein: Sie reagierten schnell, nutzten ihnen zur Verfügung stehendes Datenmaterial und kommunizierten Transparent mit der Bevölkerung. Vielfach funktioniert diese Information auch direkt auf das Handy der einzelnen Bürger. Taipeh etwa informierte über eine zentrale Notfall-SMS, welche Orte eine mit dem Coronavirus infizierte chinesische Touristin aus Wuhan besucht hatte. Jede und jeder, der sich dort aufgehalten hatte wusste es sofort und konnte sich entsprechend verhalten. Im Unterschied zu vielen europäischen Ländern gelang es diesen Ländern, die Pandemie schneller in den Griff zu bekommen. Warum? Weil sie darauf vorbereitet waren. Die Sars-Epidemie 2003 und die Mers-Epidemie 2015 hatten die Länder schwer erwischt. Daraus haben sie Lehren gezogen und Krisenpläne erarbeitet. „Auch Europa wird sich auf ähnliche Ereignisse wie das Coronavirus einstellen müssen,“ so Prof. Christian Lechner, Wirtschaftsprofessor an der Freien Universität Bozen, „Die Corona-Pandemie ist zwar ein Outlier-Event, aber keine absolute Ausnahmeerscheinung, die nur alle 100 Jahre wieder auftritt.“

 

Was sind Outlier?

Außergewöhnliche Ereignisse oder Persönlichkeiten, die sich grundlegend von der allgemeinen Masse unterscheiden, werden als Outlier (dt. Ausreißer) bezeichnet. Dabei können diese positiv oder auch negativ sein. Ein Outlier ist ein statistischer Ausreißer, der von der regulären Erwartungen abweicht. „Auf den ersten Blick,“ so Prof. Lechner, „mag das Coronavirus mit seinen extremen Folgen für die Gesundheitssysteme und die Wirtschaft, als etwas vollkommen Außergewöhnliches und Seltenes betrachtet werden“. Doch bei genauerer Betrachtung fällt auf: „Betrachten wir die vergangenen 35 Jahre so gab es zahlreiche ‚außergewöhnliche Ereignisse‘ mit einem erheblichen Einfluss auf unser Gesundheits- und Wirtschaftssystem. In den 1980er Jahren grassierte AIDS, 1999 der Rinderwahnsinn, 2002 die Internet-Bubble, 2003 Sars 1, 2008 die Finanzkrise, 2015 Mers, 2017 Ebola und eben jetzt das Coronavirus. Was diese Ereignisse gemeinsam haben, ist, dass sie einen überproportionalen Effekt hatten und öfter vorkommen, als es herkömmliche Modelle voraussagen würden.“

Bei Ausbrüchen von Pandemien ist es meist nicht eine Frage des Ob, sondern meist des Wann.

Mehrfach wurde in den vergangenen Jahren vor einer Pandemie gewarnt, legendär ist Bill Gates TEDTalk von 2015, als er warnte „„Wir sind nicht bereit für eine Epidemie“. Unser Wirtschafts- und unser Gesundheitssystem müsse aus der aktuellen Situation lernen, so Lechner. Insgesamt müsse das System resilienter werden. „Es braucht mehr Investitionen ins Gesundheitssystem und mehr Innovation in der Wirtschaft. Mehr Geld muss in die Unis fließen, weil dort Grundlagenforschung betrieben wird als langfristiger Hebel für Innovationen. In Italien wurde in den vergangenen 30 Jahren sowohl bei den Unis als auch im Gesundheitswesen massiv eingespart.“

Vorbereitet sein

Viele Staaten weltweit haben mit einem Lockdown Schlimmeres verhindert. Weil Corona aber ein Outlier-Event ist, der bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgt, müssen wir schon heute damit beginnen, kostengünstigere und praktikable Lösungen für eine neue Pandemie zu entwickeln, da ein nächster Outlier innerhalb der nächsten Dekade zumindest wahrscheinlich ist, so Prof. Lechner. „Wir können nicht zur Normalität zurückkehren und so tun, als ob es keine Outlier mehr geben wird. In unserer hoch vernetzten Welt werden Outlier zunehmende wahrscheinlicher“. Neben den Investitionen ins Gesundheitssystem spielen hier Apps für die Früherkennung eine wichtige Rolle, das haben nicht zuletzt Länder wie Taiwan bewiesen. Auch die Weltgesundheitsorganisation sah in den Apps eine wichtige Unterstützung bei der Eindämmung der Pandemie, der deutsche Virologe Christian Drosten sieht das Tracking als „wissenschaftlich vielversprechend. Vor allem wenn es darum geht, das Virus in einem Frühstadium zu bekämpfen.“ Seit wenigen Wochen ist in Italien die App „Immuni“ aktiv. 60 Prozent der Bevölkerung müssten die App installieren, damit sie eine Wirkkraft hat, das wären alle Handybenutzer Italiens. Doch die Zustimmung in der Bevölkerung ist verhalten. „Dabei,“ so Claus Pahl, Professor für Computer Science an der Freien Universität Bozen, „benötigt die App keine Berechtigungen und greift auch nicht auf Kontakte zu. Personendaten werden also nicht gesammelt. Die Daten, welche die App sammelt, können also kaum gegen uns verwendet werden.“

 

Viele stehen der App skeptisch gegenüber, haben Angst vor totaler Überwachung. „In Italien, wie etwa auch in Deutschland wurde die App so wenig invasiv wie möglich entwickelt,“ so Prof. Pahl, „nur eine minimale Zahl an Daten wird ausgetauscht. Und solange ich gesund bin, wird mit meinen Daten nichts geschehen. Im Bluetooth-Protokoll wird gespeichert, wenn es einen längeren Kontakt gegeben hat. Erst wenn eine der beiden Personen infiziert wird, dann wird die Info an einen zentralen Server weitergegeben.“

 

Für das Gesundheitswesen ist diese Information wichtig, weil man vor allem schnell an jene Kontakte kommt, die ansonsten schwierig nachzuvollziehen sind, etwa, wenn man an der Supermarktkasse in der Schlange steht oder im Restaurant neben einer infizierten Person gesessen hat.
Auf die Frage, wie viel wir als Individuen bereit sind dem Staat zu geben, hat vielleicht Cicero in seinem „De re publica“ eine passende Antwort: Aber nicht unter der Bedingung hat uns das Vaterland in die Welt gesetzt und aufgezogen, dass es gewissermaßen keinen Erzieherlohn von uns zu erwarten hätte und eben nur unserem Vorteil diente und uns einen sicheren Zufluchtsort für unser Privatleben und einen störungsfreien Raum für unsere Ruhe verschaffte, sondern dass es die meisten und größten Teile unseres Mutes, unserer Begabung und unseres Denkens zu seinem Nutzen in Anspruch nähme und uns nur das zu seiner privaten Verwendung überließe, worauf es selbst verzichten könnte.“