Società | Fachkräftemangel

„Wir sind gelinde gesagt schockiert“

Die Berufsanerkennung für Psychologie erfordert in Italien ein einjähriges Praktikum und die Staatsprüfung. Praktikerinnen appellieren, das Verfahren zu vereinfachen.
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Foto: Jametlene Reskp / Unsplash
Südtirol ist die Region in Italien mit einer der höchsten Suizidraten. Es sterben jährlich mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle. „In den Jahren seit der Corona-Krise ist in den Medien von einem stets steigenden Bedarf an psychologischer und psychotherapeutischer Behandlung die Rede“, schreiben sechs Psychologinnen bereits im Februar in einem Brief an Landeshauptmann und Gesundheitslandesrat Arno Kompatscher. Der Aufbau eines schulpsychologischen Angebots in der Provinz könnte dieses Schuljahr daran scheitern, dass nicht genügend ausgebildetes Personal gefunden werden kann, wie salto.bz bereits berichtete.
Wir möchten trotz der schlechteren Löhne im Vergleich zum Ausland auf dem Südtiroler Arbeitsmarkt Fuß fassen.
Trotz des Fachkräftemangels in diesem Bereich sei das Anerkennungsverfahren für die Arbeit als Psycholog*in äußerst aufwändig und schwierig, sofern die Person nicht in Österreich studiert hat. In diesem Fall funktioniert die Studientitelanerkennung über die Universität Bozen vergleichsweise problemlos.  Bei Studientiteln aus anderen EU-Ländern werde es komplizierter. Im Anschluss auf die Anerkennung folgt ein einjähriges Praktikum (Tirocinio post lauream, Bezahlung 0 bis 800 Euro / Monat je nach Herkunft) und die Staatsprüfung.
 
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Psychisches Unbehagen: Die Nachfrage nach psychologischer Unterstützung ist in Südtirol groß. (Foto: Valerie Titova / Unsplash)
 
Für Rückkehrer*innen sei dieser Weg allerdings keine Option, da man als Rückkehrender trotz umfassender mehrjähriger Berufserfahrung und bereits absolvierten, unbezahlten Praktika während des Studiums wieder ein einjähriges, kaum bezahltes Praktikum machen müsste. Vor allem für Akademiker*innen mit Kindern ist es unrealistisch, ein Jahr ohne reguläre Bezahlung zu arbeiten. Manche nehmen dieses Praktikum zwangsläufig in Kauf, sind jedoch in dieser Zeit von Familie oder Partner finanziell abhängig.
Die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen wird von der EU Richtlinie 2005/36/EG geregelt. Diese Richtlinie regelt das Anerkennungsverfahren in allen europäischen Ländern. Diese lege das italienische Gesundheitsministerium besonders restriktiv aus. In anderen Ländern wie beispielsweise Deutschland, in denen dieselbe Richtlinie gilt, würden solche Probleme nicht existieren. Seit der Bologna-Reform sei es zudem nicht mehr vorgesehen einzelne Studieninhalte miteinander zu vergleichen.
 

Nachfrage groß

 
Die Anfragen für Psychotherapien und psychologischen Beratungen seien seit der Pandemie auf knapp das Doppelte angestiegen. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen herrsche massiver Bedarf, um die Langzeitfolgen der Pandemie abzufedern. Viele Dienste sind chronisch unterbesetzt. Die Folgen davon seien gesellschaftlich verheerend und die Notwendigkeit des Ausbaus der psychologischen Angebote in Südtirol und die Bekämpfung des Fachkräftemangels unabdingbar.
 
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Schulen: Lehrkräfte berichten von einem Anstieg der Schwierigkeiten in der Klasse und es wird mehr Unterstützung gefordert. (Foto: LPA)
 
Als Reaktion auf den gestiegenen Bedarf wurde seitens der Landesregierung bereits der Ausbau von einigen psychologischen Diensten vorgesehen. Psychologie für die Schule heißt beispielsweise ein Projekt, das 100.000 Kindern und Jugendlichen zu gute kommen soll. Des Weiteren wurde 2022 ein Beschlussantrag zum Aufbau eines basispsychologischen Dienstes einstimmig vom Landtag angenommen. Der Psychologenbonus des Staates wurde aufgrund der hohen Zahl der Anträge von 10 auf 25 Mio. erhöht. Viele Dienste müssen laut den Psychologinnen aber noch umgesetzt werden. „Es fehlen beispielsweise viele Personalstellen für den Bereich der Suizidprävention, um ein strukturiertes Arbeiten im Sinne eines Suizidpräventionplans umzusetzen.“
 

Der Brief im Wortlaut

 
„Wir sind gelinde gesagt schockiert und verärgert und hätten nie damit gerechnet, welche Steine uns in den Weg gelegt werden. Die europäischen Werte stehen für Berufs- und Niederlassungsfreiheit. Solche Beschränkungen und das restriktive Denken in Italien sind nicht mehr zeitgemäß und auch in einem internationalen Arbeitsmarkt wirtschaftlich und sozial nicht tragbar. Die Südtiroler Berufsberatung warnt bereits diejenigen, die sich für ein Psychologiestudium im Ausland interessieren, vor den Hürden die auf sie zukommen werden“, teilen die Psychologinnen mit.
„Wir wenden uns an Sie als junge, motivierte Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen. Wir haben als aus der Grenzregion Südtirol stammende Menschen in den europäischen Nachbarländern studiert, teilweise ohne Studiengebühren, was durch andere Länder finanziert wurde. Wir haben unser kostenlos angeeignetes Wissen und viel Berufserfahrung wieder nach Südtirol zurückgebracht.
 
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Psychologische Unterstützung im Land: Viele öffentliche Dienste sind chronisch unterbesetzt. (Foto: SHVETS Production / Pexels)
 
Wir möchten trotz der schlechteren Löhne im Vergleich zum Ausland auf dem Südtiroler Arbeitsmarkt Fuß fassen (Stichwort Brain drain) - auch weil es durch die Corona-Situation an Personal für die freien Psychologenstellen im Sanitätsbetrieb mangelt. Außerdem üben wir unseren Beruf sehr gerne aus. Mit anderen Worten, wir möchten und könnten arbeiten und dürfen es nicht. Wir bitten Sie eindringlich so schnell wie möglich ein automatisches Anerkennunsgverfahren für Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen aus Südtirol umzusetzen, wie es bereits für Ärzt*innen und viele andere Berufsgruppen im Gesundheitssektor üblich ist. Des Weiteren erwarten wir uns eine Intervention im Gesundheitsministerium seitens der Südtiroler Politik um das Anerkennungsverfahren für Menschen, die im Ausland studiert haben, zu vereinfachen, zu entbürokratisieren und zu beschleunigen, im Sinne der Bologna-Reform. Eventuelle Aufholprüfungen müssen auch, ähnlich wie die Staatsprüfung bisher, in deutscher Sprache möglich gemacht werden. Die Umsetzung des neuen Gesetzes zur Abschaffung der Staatsprüfung und der Übergangsbestimmungen dazu (laurea abilitante), müssen in der Hand der Universität Bozen liegen. Gerade Südtirol als Grenzregion und Autonomie spielt hier eine besondere Rolle. Nur so kann dem Fachkräftemangel beigekommen und unnötige Ressourcenverschwendung vermieden werden.“