Cultura | Salto Afternoon
Prosa, Lyrik und Chormusik
Foto: Palais Mamming Museum / Tiziano Rosani
Greta Maria Pichler eröffnete, nach der musikalisch Eröffnung von „Quint“ (einen der fünf Sänger ersetzte krankheitsbedingt die Tochter eines Mitglieds) mit einem Eigenarangment nach Grieg. Die junge Südtiroler Autorin hatte eine Auswahl aus ihrem kürzlich beim 30. „open mike“ prämierten Lyrik-Zyklus „Salzwasser“ (Salto hat berichtet) im Gepäck. Die Texte, nach der Beaufortskala (zur Messung von Windstärken) geordnet, reichten am Abend von 0 (Windstille) bis 7 (steifer Wind, 50 bis 61 Stundenkilometer) und brachen beim Vortrag diese Ordnung auf. In den lebendigen Bildern, die hauptsächlich ein Lyrisches „Wir“ bemühten waren Bewegung und das Meer Konstanten. Es wechselten menschliche Sujets - unter anderem vom Schwimmen und Segeln - mit den Tieren des Meeres. Stilistisch waren immer wieder aus der Vortragsliteratur gewachsene Mittel, wie etwa im Poetry Slam anzutreffen zu hören, es war das „Salzwasser“ aber ein stilleres, unaufgepeitschtes. Ein dichter und reizvoller Zyklus, für welchem es sich lohnt Augen und Ohren offen zu halten.
Mit musikalischen Intermezzi alternierten auf der Bühne die Sprachgruppen, als nächstes war ein Textauszug aus Romina Casagrandes „Le ragazze con le calze grigie“, das der Figur Wally Neuzils gewidmet ist. Die Figur, Lebensgefährtin und Model Egon Schieles, erweckte Isabella Repole mit ihrer Lektüre zum Leben. Die Autorin selbst betonte einleitend es sei zu wenig von ihr „nur“ als Model zu sprechen, sie sah Neuzil am Entstehungsprozess der Kunst direkter beteiligt. Der Text, welcher das Klischee des Landmädchens auf dem Weg in die Großstadt nicht scheute, blieb atmosphärisch dicht, beschrieb fiktionalisierend einen Bogen über das Bleigießen zur Orakelform des Stephansdoms, bis Sie dem Maler Model stand. Den Blick auf einen Abstoßendes mit Schönheit verbindenden Schiele schilderte die Autorin intensiv.
Performativ (mit Koffer) trat Sonja Steger zum Mikrophon, hatte zweierlei im Gepäck zum einen ein Langgedicht (oder einen Zyklus, die Autorin stellte die Einordnung frei) zum Thema Garten, zum Anderen ihren Beitrag „Die Da-Bleib-Koffer oder Mama, Dostojewski und das Mittelalter“ zur Touriseum Anthologie „Koffergeschichten“. Die Gartengedichte schienen, wie von der Autorin angedeutet zu Kleinst-Einheiten mit Haiku-Ähnlichkeit zu zerfallen, immer wieder mit Vergänglichkeit und Ratten gebrochen. Der Da-Bleib-Koffer eröffnete hingegen eine Perspektive auf die Reiseverweigerung, die nur physisch gelingen kann, von einer dicken Staubschicht markiert wird und geistig auf zeitliche oder räumliche Abwege gerät. Eine kurzweilig, wortwitzige Kopfreise, die keine leichte Pathos-Last wie Stegers Lyrik-Vortrag zu schleppen hatte.
Lino Pasquale Cacciapaglia verstärkte in Folge die lyrische Ausrichtung des Abends mit eigenen Gedichten. Personifizierungen in der Natur (besonders am Himmel, mit Blick auf Mond und Sterne) und Familienerinnerung aus vergangenen Generationen trafen auf Cacciapaglias sensibel sanften Vortrag, der eher eine Prosakadenz als den klassischen Ton eines Gedichtvortrags hatte. Sie zeichnete die Texte in ihrer Weichheit allerdings eine Spur zu gleichförmig. Unmittelbar nach Dante erinnerte sich der Autor noch an seinen eigenen Vater, der Weihnachten ’62 in einem Kohlebergwerk unter Tage verbrachte. Die komplette thematische Freiheit der Autoren nutzte er als einziger der Autor:innen für einen weihnachtlichen Bezug, der von Quinz zur Genüge erfüllt wurde.
Sepp Mall betrat die Bühne mit einem „Leck mich“ (in Gedanken an Georg Engl), das gewissermaßen an Sonja Stegers Touriseum anschloss, jedoch in der Form einer äußerst kritischen Nabelschau, die bei jedem Vortrag verändert zu sein scheint und - im Vergleich zur auf Salto vor zwei Jahren publizierten Textversion - ein Vielfaches an Nachhaltigkeit enthielt. Malls bitter böse Abrechnung war zweifelsohne eines der Highlights des Abends, der nüchtern trockene Vortrags-Charakter strich die Ironie hervor und gleichzeitig den Verdruss mit einer vielfach propagierten, hier sarkastisch replizierten „Wir sind die besten“-Rhetorik.
Beschlossen wurde der Abend von Claudio Calabrese, der, um den Abend um eine weitere Kehrtwende erweiternd, eine Lektüre zurück in die 70er der Kurstadt und in sein historisches Buch „Merano tra una sorpresa e l’altra“ unternahm. Von einer globalen zeitgeschichtlichen Einordnung ausgehend, arbeitete sich Calabrese zu den Studentenprotesten vor, besann sich auf Jakob De Chiricos künstlerisches Gelächter gegenüber dem von ihm umgetauften „Tagblatt der Südtiroler (Volkspartei)“ und landete somit zumindest an einem Beziehungspunkt zur Gegenwart.
„Menschen und Orte / Nei luoghi dello sguardo“ - der Veranstaltungstitel wird an dieser Stelle nachgeliefert, da er für den historisch-lyrisch-kritischen Abend kaum von Belang war, hatte alles nur, keinerlei Eingriff in Form und Struktur. Klarerweise gestalten sich - angesichts des Freiheitsgeschenks an die Autor:innen - die Übergänge recht abrupt und unschlüssig, aber die Qualität der Texte holte das Publikum größtenteils ab, wenngleich sie mehrheitlich aus dem Archiv stammten.
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