Politica | Wirtschaftswachstum

Muss Südtirols Wirtschaft wachsen?

Obwohl längst erwiesen, dass eine absolute Abkopplung des Energie- und Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum in Industrieländern zumindest mittelfristig nicht möglich ist, setzt die Politik ungebrochen auf Wachstum, auch in Südtirol.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Eine Skulptur im Wald unterhalb der Seceda in Gröden
Foto: Thomas Benedikter
  • Obwohl längst erwiesen, dass eine absolute Abkopplung von Energie- und Ressourcenverbrauch vom Wirtschaftswachstum zumindest mittelfristig nicht möglich ist, setzt die Politik ungebrochen auf Wachstum, auch in Südtirol.

    Das BIP Südtirols hat 2022 laut ASTAT 25,215 Mrd. Euro erreicht mit einem respektablem Wachstum von +7,1% gegenüber 2021. Über den damit zusammenhängenden Anstieg von Verkehr, Energieverbrauch und CO2-Emissionen macht das ASTAT keine Angaben. Braucht unser Land permanentes Wirtschaftswachstum oder kann es auch anders wachsen, nach innen oder zumindest ohne steigenden Energie- und Ressourcenverbrauch? Andernfalls wird die für 2040 angestrebte Klimaneutralität nicht zu bewerkstelligen sein, auch nicht von den so tüchtigen Südtirolern. Die Treibhausgasemissionen sollten schon seit 2011 zügig sinken, tun sie nicht. Wenn der Zielpfad zur Klimaneutralität eingehalten werden soll, müssten sie bis 2030 halbiert werden. Doch beim heutigen Tempo wird Südtirol erst in 100 Jahren klimaneutral.

    In der Wirtschaftswissenschaft setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass eine absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch unter heutigen Bedingungen nicht möglich ist. Im Gegenteil: allein schon der Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft zur Null-Emissionen-Gesellschaft ist trotz aller Effizienzfortschritte sehr ressourcenintensiv. Die Vorstellung, den Klimawandel nur mit Technologie und grüner Energie zu bewältigen, könnte sich als trügerisch erweisen. „Alles elektrisch, alles wird gut“ – ein Trugschluss, beginnend beim Verkehr, der in Südtirol allein schon 44% der CO2-Emissionen verursacht. 

    Natürlich hat der Wandel schon eingesetzt. Südtirols Forschungsinstitute und Unternehmen nehmen an diesen Innovationsprozessen sehr engagiert teil, sind manchmal führend. Immer mehr wird investiert in erneuerbare Energie, Vernetzung, Automatisierung, Robotik, KI-gestützte Entwicklung und Produktion mit weniger Energieintensität. Und doch reicht das nicht für Nachhaltigkeit im tieferen Sinn. Zur abgedroschenen Worthülse „Nachhaltigkeit“ muss sich für die gesellschaftliche Entwicklung „Suffizienz“ gesellen, als Leitmotiv einer Zeit nach dem fossil befeuerten, quantitativen Wirtschaftswachstum. Wachstum nach menschlichem Maß und nach Vorgaben in der Natur: jeder Baum erreicht irgendwann seine Optimalgröße, bleibt schön und fruchtbar, muss in der Masse nicht mehr weiterwachsen.

    Auch Südtirol muss nicht im Volumen weiter wachsen. Die nach monetärem BIP pro Kopf wohlhabendste Region Italiens kann sich auf andere Leitwerte besinnen, kann vielfältig wachsen ohne immer mehr Energie, Rohstoffe, Baumaterial, Wald, fruchtbare Böden und Landschaft zu verbrauchen. Klimaneutralität geht zusammen mit sozialer Gerechtigkeit. Südtirol hat genug für alle, wenn es bloß gelänge, den materiellen Wohlstand gerechter zu verteilen. Eine ökologische regionale Kreislaufwirtschaft im Sinne von Suffizienz kann alles bieten, was ein gelungenes Leben ausmacht: Anregung, Abwechslung, Erkenntnis, Bildung, Austausch, Anerkennung, Zeitwohlstand, Genuss, Gemeinschaft, Spiel und Sport, aber auch soziale Sicherheit, ein hochwertiges Gesundheitssystem, Mobilität, Pflege, sinnvolle Arbeit, lauter Bereiche, wo es heißen könnte: „Do gang nou viel.“

    Mit diesen Betrachtungen schließt mein neues Buch Do geaht nou a bissl. Klimaschutz auf Südtirolerisch, arcaedizioni, Lavis 2024, 160 Seiten, im Buchhandel in Südtirol.

    (zum Bild: mit dieser genialen Skulptur hat sich ein Holzarbeiter im Wald unterhalb der Seceda in Gröden verewigt. In gewissem Sinn auch ein Wachstumskritiker: mit der Motorsäge zu viel Wachstum entgegenwirken, wird er sich gedacht haben.)