Wolf auf der Alm
Die Geschiche der Almwirtschaft in den Alpen begann in der frühen Jungsteinzeit um 4300 v. Chr. und Rodungen von Wäldern an der Waldgrenze fanden statt, um Weideland zu gewinnen. In der Bronzezeit (2200 bis 800 v. Chr.) wurden verstärkt Brandrodungen vorgenommen und im Mittelalter erfuhren die Almgebiete eine weitere Ausdehnung.
Wölfe gab es überall in den Alpen und die Almwirtschaft entwickelte sich im Lebensraum des Wolfes und in Anwesenheit von Wölfen. In der 7000 jährigen Geschichte der Landwirtschaft in den Alpen gab es nur eine sehr kurze Zeitspanne von etwas mehr als hundert Jahren, in denen es keine Wölfe mehr gab. Nach der Unterschutzstellung des Wolfes breitet sich der Wolf wieder aus und kehrt in seinen ureigenen Lebensraum zurück.
Im Buch „Die Rückkehr der Wölfe, wie ein Heimkehrer unser Leben verändert“ beschreibt Eckard Fuhr das Wiederauftauchen des Wolfes. „Als in den Jahren 2010/2011 ein Wolf durch das Rotwandgebiet oberhalb des Spritzingsees in Oberbayern streifte und neben Rotwild und Gämsen auf der Alm auch Schafe riss, zeigte sich dramatisch, wie weit man hier in dieser blau-weissen Seelenlandschaft und traditionsreichen Fremdenverkehrsregionen davon entfernt ist, an eine friedliche Koexistenz von Landwirten und Wölfen auch nur zu denken. Die Almwirtschaft ist ein Kernelement des bayrischen Lebensgefühls und der Toursimuswerbung. An diesem Kulturgut darf sich kein Politiker versündigen. Das gilt umso mehr, als die extensive Beweidung der Almen auch naturschutzfachlich als ein Musterbeispiel der Landnutzung angesehen wird, die der Artenvielfalt nicht nur nicht schadet, sondern ihr dient.“
Das Musterbeispiel Almweide ist jedoch naturschutzfachlich nicht immer ein Musterbeispiel einer traditionellen Landnutzung. Ein charakteristischer Lebensraum der extensiven Beweidung sind Borstgrasrasen. Artenreiche Borstgrasrasen sind ein prioritär zu schützender Lebensraum nach der FFH- Richtlinie der EU, in welcher der Schutz der Lebensräume verbindlich für die Mitgliedsstaaten geregelt ist und aus der Berichterstattung der Staaten für den Zeitraum 2007 bis 2012 geht hervor, dass der Erhaltungszustand dieses Lebensraums in Frankreich günstig, in Österreich, Deutschland und Slowenien unzureichend und in Italien schlecht ist. Als Gründe für den nicht guten Erhaltungszustand gelten:
- Überweidung
- Nutzungsaufgabe
- Überdüngung
- Aufforstung
- genetische Verarmung
Schon vor der Rückkehr der Wölfe sind artenreiche Borstgrasrasen nicht gut erhalten und das Musterbeispiel einer traditionellen landwirtschaftlichen Nutzung offenbart die Mängel im Erhalt traditioneller landwirtschaftlich genutzter Lebensräume. Neben den Borstgrasrasen sind auf den Almweiden darüberhinaus oft auch andere Lebensräume wie Niedermoore etwa durch Beweidung beeinträchtigt oder Almflächen überdüngt.
Das Ende der Almwirtschaft wird mit der Rückkehr des Wolfes prophezeiht, doch das Ende der bunten Wiesenblumenvielfalt durch den mangelnden Erhalt und unsachgemäße Bewirtschaftung ist vielerorts bereits eingetreten und das Schutzgut Borstgrasrasen der FFH-Richtlinie ist in vielen Ländern unzureichend erhalten.
Lebensraumschutz Konflikte
Weiden in der subalpinen Stufe wachsen zu, wenn die Bewirtschaftung aufgegeben wird und der Boden ein Baumwachstum zulässt. Damit Weiden nicht zuwachsen werden sie oft von Gehölzen befreit. So werden etwa Alpenrosen von Weidetieren nicht gefressen und breiten sich daher auf Almweiden in der subalpinen Stufe aus. Um das Zuwachsen und Verbuschen der Almflächen zu verhindern, werden auch in Südtirol solche Flächen geschwendet, die Alpenrosen auch mit schweren Maschinen gehäckselt. Die Universität für Bodenkultur in Wien hat in der gutachterlichen Stellungnahme zu den Auswirkungen von rückkehrenden Wölfen auf die Landwirtschaft und die traditionelle Weidehaltung einen wichtigen Punkt in Bezug auf den Schutz des natürlichen Erbes Europas angeführt. Generell kommt diese Praxis in Konflikt mit dem Schutz der prioritär zu schützenden Lebensräume „alpine und boreale Heiden“, welche von Zwergsträuchern wie Heidelbeeren und Wacholder eingenommen werden und dem Lebensraum „Buschvegetation mit Punus mugo und Rhododendron hirsutum“, den Latschengebüschen und den Alpenrosenbeständen. Die gängige Praxis des Offenlegens von zugewachsenen Almflächen kommt in Konflikt mit dem Schutz der prioritär zu schützenden Lebensräume mit Zwergsträuchern, Latschen und Alpenrosen.
Von den Pflanzen- und Tierarten der FFH- Richtlinie (Anhang II) sind „keine Pflanzen- und Tierarten mit almwirtschaftlicher Relevanz an eine Weidewirtschaft gebunden oder von dieser maßgeblich beeinflusst“ und die Befürchtung, Arten von gemeinschaftlichem Interesse gingen durch die Aufgabe der Beweidung verloren, ist unbegründet.
Schäden durch Beweidung auf alpinen Matten
Das Zuwachsen von Almflächen mit Gehölzen betrifft die subalpine Stufe. Die alpine Höhenstufe ist dadurch gekennzeichnet, dass es dort kein Baumwachstum gibt und alpines Grasland bzw. Matten, die charakteristische Vegetation bildet. Das Bundesland Tirol hat eine Machbarkeitsstudie zum Herdenschutz in Auftrag gegeben, in welcher auf die Übernutzung höherer Almbereiche durch Schafe eingegangen wird. Im weitläufigen Almgelände verteilen sich Schafe oft in Gruppen. Sobald der Schnee geschmolzen ist, suchen sie höher gelegene Weidegebiete auf und dies hat häufig die Übernutzung der hochgelegenen Almflächen und Unternutzung der tiefer gelegenen Almflächen zur Folge. Eine gezielte Weideführung mit zugewiesenen Koppeln oder Weidesektoren würde eine Verbesserung bewirken, wird in der Machbarkeiststudie festgestellt.
Als Grund und Berechtigung der Almwirtschaft wird häufig die Landschaftspflege genannt, Flächen müssten gepflegt werden. Flächen würden zuwachsen, wird häufig behauptet. Die alpinen Matten, in welchen sich die Schafe bewegen und wo sie sich den Sommer über aufhalten, können jedoch nicht zuwachsen. Alpine Matten können nicht bewalden, da sie oberhalb der Baumgrenze liegen. Eine Beweidung dieser Flächen ist daher grundsätzlich nicht notwendig. Alpine Matten sind natürliche Lebensräume, die mit ihrer Vielfalt an charakteristischen alpinen Pflanzen ohne landwirtschaftliche Beweidung auskommen, wie alle anderen alpinen Lebensräume auch.
Chance der Almwirtschaft
In Südtirol und den Nachbarländern wird der Wolf häufig als Tier dargestellt, das in die heile Bergwelt einbricht und das Ende der Almwirtschaft bewirken soll. Bauern positionieren sich als Landschaftpfleger und der Erhaltungszustand von Almgebieten wird in der medialen und politischen Auseinandersetzung links liegen gelassen. Die Rückkehr des Wolfes bietet die Chance, die Praxis der Almbeweidung und Almpflege zu überdenken. Die Auflassung der Beweidung alpiner Matten, welche in Südtirol auch häufig in Natura 2000 Gebiete liegen, ist sicher nicht zum Schaden für die Landschaft und die Natur. Die Lebensräume von Gämsen, Murmeltieren und Steinböcken müssen nicht von Weidetieren überrannt werden.
Die Verbesserung der Beweidung durch gezielte Weideführung mit Hirten und Zäunen, was nichts anderes als Herdenschutz ist, bietet nicht nur den Schutz für Weidetiere vor Wölfen sondern in erster Linie einen besseren Schutz gegen Überweidung oder Beweidung von Lebensräumen, in denen Weidetiere fehl am Platz sind. Weidetiere braucht es weder in subalpinen Wäldern noch in Feuchtgebieten und auch nicht in der alpinen Stufe.
Infos zu Lebensräumen der subalpinen und alpinen Stufe: http://biodiversitaet.bz.it/alpine-landschaft/
Lesenswert: Gutachterliche Stellungnahme der Boku Wien https://boku.ac.at/dib/iwj/iwj-aktuell/publikationen/management-gutachten-anleitungen