Cultura | Salto Weekend

Essenz

Der Künstler Reinhold Tappeiner zeichnet Leiber die liegen und sich aufrichten. Bei Folio ist dazu ein Buch erschienen, welches am Freitag in Laas vorgestellt wurde.
tr4.jpg
Foto: Bildquelle: Folio

Ein Gastbeitrag von Toni Bernhart aus dem Buch Essenz:

Reinhold Tappeiners großes Thema ist der menschliche Leib. Sei es in seiner Malerei, in seinen großen Tafelbildern, seinen Per­formances oder seiner Grafik - oder hier, im Werkzyklus Essenz. Immer ist der Leib präsent, doch nicht als Draufblick, sondern als Einblick und als Durchblick. Tappeiner zeigt den Leib von innen, er zeigt ihn in Fasern und Zerfaserung und mit seinen inneren Verstrebungen, die Halt geben.

Tappeiners Bravour liegt in der Abstraktion. Er folgt einer künstle­rischen Logik, wenn seine immer tiefer getriebene Innensicht zur Abstraktion führt. Abstraktion ist die Konzentration auf das Wesentliche und gleichzeitig auch ein Fenster ins Offene. Umso auffallender ist die Entwicklung, die Tappeiners jüngste Arbeiten genommen haben. Sie nehmen - vielleicht so deutlich wie noch nie - Bezug auf das Figurative. Sie zitieren den Akt, den un­verhüllten nackten Leib, der seit der Renaissance das Paradigma für den Menschen ist.

Die grafischen Strecken im Bilderzyklus Essenz lesen sich biswei­len wie eine Bildergeschichte. Da ist ein Mensch, der liegt, sich krümmt, der rollt oder fließt, stachelig oder kugelig, manchmal madonnenartig tot, dann wieder krippenartig umhaust ist, manch­mal schnellt er empor, dann wieder gleitet er hinab. Gegliedert wird der Zyklus durch farbige Tafeln, die ebenfalls den Menschen zeigen und die ordnenden vertikalen und horizontalen Elemente aus den Grafiken aufgreifen und in Raum verwandeln. Auch der Raum ist essenziell bei Tappeiner. Wie eine Studie zu den drei Dimensionen.

Integraler Bestandteil dieses Katalogs sind die Originalbeiträge des Berliner Schriftstellers David Wagner, die in Zusammenhang mit dessen Roman Leben (2013) stehen. Impetus sowohl für Tappeiners Arbeiten als auch für Wagners Texte ist eine Krise des Leibes, die im Darstellen und Erzählen durchlebt und überwunden wird. Manchmal ist da auch ein Schalk, der aufblitzt - aus den Sätzen Wagners und Tappeiners Bildern. Als Tappeiner in der Zeit, als der Zyklus Essenz entstand, Wagners Leben wieder und wieder las, wurde ihm klar, dass hier ähnliche Erfahrungen, eine ähnliche Wahrnehmung und ähnliches Empfinden zugrunde liegen. Als sich die beiden anlässlich der Ausstellungseröffnung in der Kartause Allerengelsberg vor einem Jahr das erste Mal persönlich trafen, sagte David Wagner, ihm sei, als kannten sie sich schon sehr lange.

Wie ein Buch ins Buch eingebunden sind hier die Texte Wagners, die mit Tappeiners Bildern in einen Dialog treten. Die Texte kom­mentieren die Bilder - und die Bilder den Text. Manche Motive kehren hier wie dort wieder, Details des Bodens, der Wand oder der Decke, auf die der Blick des Liegenden fällt. Literatur und Bildende Kunst umkreisen hier gleiche Themen, doch in unterschiedlicher Gestalt. Und draußen ist noch etwas, jenseits der Tür und außerhalb des Fensters, das wartet.