Politica | Masken-Affäre
Operation Christkind
Foto: RAI Südtirol
Die Beamten klingeln kurz vor 6 Uhr. Die Aktion geht zeitgleich in gut zwei Dutzend Privathäuser und -wohnungen über die Bühne. Gut 70 Beamte der Carabinierisondereinheit NAS aus Trient und Treviso sind an diesem Donnerstag überall in Südtirol unterwegs.
Sie holen an diesem Morgen den Direktor des Ressorts Wirtschaft, Innovation und Europa, Ulrich Stofner genauso aus dem Bett, wie Arno Kompatschers persönliche Referentin oder den ehemaligen SVP-Landessekretär Gerhard Duregger. Ebenso vorstellig werden die Carabinieri beim Generaldirektor des Sanitätsbetriebes Florian Zerzer, bei Verwaltungsdirektor Enrico Wegher oder beim stellvertretenden Leiter der Covid-19-Taskforce Patrick Franzoni.
Aber auch das Spitzenpersonal des Unternehmens Oberalp erhält Besuch der Ermittler. Etwa Geschäftsführer Christoph Engl und Finanzchef Manuel Stecher. Zudem beschlagnahmen die Ermittler in der Informatik AG den gesamten Mail-Verkehr. Ebenso werden in der Sanitätsdirektion in der Bozner Sparkassenstraße Datenträger und Dokumente sichergestellt.
Nach Informationen von Salto.bz sollte eigentlich auch Landeshauptmann Arno Kompatscher am frühen Morgen Besuch erhalten. Weil Kompatschers unauffälliges Haus in Völs aber nicht so leicht auszumachen ist, dürften sich die Ermittler verfahren haben. Kompatscher, macht sich so um 6.30 Uhr in Richtung Bozen auf dem Weg, wo er am Morgen am Spendenmarathon der Radiosender „Südtirol 1“ und „Radio Tirol“ teilnimmt. Als er dann das „Funkhaus“ verlassen will, erwarten ihn die Carabinieri.
Die Vorgangsweise ist fast überall dieselbe. Nach einer kurzen Durchsuchung der privaten Computer, der Beschlagnahme der Handys (der gesamte Inhalt wird kopiert und das Telefon, dann dem Besitzer wieder zurückgegeben) werden die Zielpersonen in ihre Büros gebracht, wo die Durchsuchung weitergeht. Die Polizeiaktion dauert gut 14 Stunden. Noch Abend sind über ein Dutzend Carabinieri im Palais Widmann mit dem Abschluss der Protokolle beschäftigt.
Es ist eine der größten Polizeiaktionen der letzten 10 Jahre in Südtirol.
Ermittlungen gegen Kompatscher
Im Durchsuchungsbefehl, der vom ermittelnden Staatsanwalt Igor Secco, am 20. Dezember 2021 ausgestellt wurde, geht es um den sogenannten Maskenskandal, den Salto.bz im Frühjahr 2020 aufgedeckt und in Rollen gebracht hat. Im Zentrum stehen dabei zwei Lieferungen von Masken und Schutzkittel aus China, die das Unternehmen Oberalp für den Sanitätsbetrieb eingefädelt und abgewickelt hat. Die Hintergründe sind hinlänglich bekannt. Während eine erste Lieferung um rund 9 Millionen Euro bezahlt wurde, liegt bis heute eine zweite viel größere Lieferung in China zur Anholung bereit. Hier geht es um insgesamt 25 Millionen Euro. Oberalp-Besitzer Heiner Oberrauch besteht auf die Bezahlung, der Sanitätsbetrieb und das Land wollen und können diesem Ansinnen aber nicht nachkommen.
Seit rund 20 Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Bozen. Vor wenigen Wochen ist das technische Gutachten zum Material aus China der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden. Etwas überspitzt formuliert: Der Großteil der gekauften Ware ist unverwendbar.
Dass die Ermittler ausgerechnet einen Tag vor Heilig Abend eine solch spektakuläre Operation durchführt, wirft einige Fragen auf. Sicher ist: Der Zeitpunkt ist Schlagzeilen mäßig perfekt getimt.
Dass die Ermittler erst jetzt und ausgerechnet einen Tag vor Heilig Abend aber eine solch spektakuläre Operation durchführt, wirft einige Fragen auf. Sicher ist: Der Zeitpunkt ist Schlagzeilen mäßig perfekt getimt. „Landeshauptmann Kompatscher unter Ermittlung“, titeln bereits am späten Donnerstagnachmittag die nationalen Medien.
Mehrere Ermittlungsstränge
Dabei sind im offiziellen Durchsuchungsbeschluss rund 70 Personen angegeben gegen die ermittelt wird oder die als Auskunftspersonen befragt werden. Dass die Polizeiaktion so breit ausgefallen ist, liegt auch daran, dass die Staatsanwaltschaft gleich mehrere Ermittlungsstränge zusammengelegt hat.
Etwa die Ermittlungen zum Ankauf der Schlauchtüchter. Dort wird gegen Sanitätslandesrat Thomas Widmann und die Bozner Unternehmer Heinrich und Christoph Widmann ermittelt. Der Sanitätsbetrieb hatte im März 2020 300.000 Tücher im Wert von rund 700.000 Euro bei dem Unternehmen Tex-Market angekauft. Die Firma gehört den Cousins des Sanitätslandesrates. Im Widmann Büro wurde deshalb bereits im Mai 2020 eine Durchsuchung durchgeführt.
Ein zweiter Ermittlungsstrang gilt dem zurückgehaltenen Gutachten des Wiener Amtes für Rüstung und Wehrtechnik. Auch hier wird gegen die Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes und Oberalp-CEO Christoph Engl ermittelt.
Und der dritte Ermittlungsstrang führte jetzt die NAS-Beamten direkt in das Büro von Landeshauptmann Arno Kompatscher. Wobei Kompatscher seit über einem Jahr im Ermittlungsregister eingetragen ist und wie vom Gesetz vorgesehen, darüber auch informiert wurde. „Ich bin absolut gelassen“, sagt der Landeshauptmann, „und ich werde völlig transparent meine Rolle in dieser Angelegenheit aufklären.“
Störung eines Wettbewerbes
Im Strafverfahren 5590/2020 wurde anfänglich gegen sechs Personen ermittelt. Florian Zerzer, Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebe. Christoph Engl, Geschäftsführer der Oberalp AG, den Unternehmer und Oberalp-Besitzer Heiner Oberrauch, Landeshauptmann Arno Kompatscher, dessen Ressortdirektor Ulrich Stofner und Enrico Wegher, Verwaltungsdirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes. Die Ermittlungshypothese: Artikel 353bis des Strafgesetzbuches: „Turbata libertà del procedimento di scelta del contraente“.
Es geht dabei um die zweite Oberalp-Lieferung. Der Vorwurf: Man hätte alles getan, um diese Lieferung - auch nach dem Platzen des Skandals - anzukaufen. Dabei sollen der Sanitätsbetrieb, das Unternehmen Oberalp und Teile der Landesverwaltung zusammengespielt haben.
Inzwischen wurden drei weitere Personen in das Ermittlungsregister eingetragen. Manuel Stecher, Finanzchef der Oberalp und derjenige, der mit dem Sanitätsbetrieb verhandelt hat. Patrick Franzoni, stellvertretender Leiter der Covid-19-Taskforce und Peter Auer, derzeit Leiter der Südtiroler Impfkampagne.
Mächtige Manöver?
Diese Entwicklung macht deutlich in welche Richtung sich die Ermittlungshypothese bewegt. Peter Auer saß in der Wettbewerbskommission des Sanitätsbetriebes für den Ankauf der Schutzmaterialien. Der Vorwurf: Diese Ausschreibung hätte man nur gemacht, um die 25-Millionen-Lieferung von Oberalp doch noch unterzubringen.
Das objektive Problem dabei: Oberalp hat zwar angeboten, wurde letztlich von der Ausschreibung aber ausgeschlossen.
Die Ermittler gehen davon aus, dass dieser Ausschluss eine Art „Betriebsunfall“ war. Sie glauben beweisen zu können, dass es im Hintergrund mächtige Manöver gegeben habe, um den Südtiroler Sportartikel-Hersteller nachträglich doch noch zur Ausschreibung zuzulassen.
In einer Aussendung der Carabinierisondereinheit NAS heißt es: „Ziel der Ermittlungen sei es, die Geschäftsbeziehungen zwischen der öffentlichen Verwaltung und dem Unternehmen Oberalp AG zu rekonstruieren.“
Was in der Aussendung nicht steht, dass man im Fall von Arno Kompatscher diesem Ziel mit der Weihnachtsoperation schon deutlich nähergekommen ist.
Der Landeshauptmann hatte bereits im Masken-Untersuchungsausschuss des Landtages erklärt, dass er von dieser zweiten Oberalp-Lieferung keine Kenntnis hatte und dass er zu Heiner Oberrauch gesagt habe, er müssen diese Sache mit dem Sanitätsbetrieb klären.
Der Landeshauptmann hatte bereits im Masken-Untersuchungsausschuss des Landtages erklärt, dass er von dieser zweiten Oberalp-Lieferung keine Kenntnis hatte und dass er zu Heiner Oberrauch gesagt habe, er müssen diese Sache mit dem Sanitätsbetrieb klären.
Nach Informationen von Salto.bz wurde am Donnerstag im Büro des Landeshauptmannes von den Ermittlern der Ausdruck einer E-Mail sichergestellt. In dem Schreiben beklagt sich Oberalp-Besitzer Heiner Oberrauch bei Kompatscher bitterlich, warum er in Sachen zweiter Masken-Lieferung beim Landeshauptmann keinen Termin bekomme.
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