Cultura | Tipp

Gendertrouble unter Orchideenpflanzen

Orchideenausstellung in der Gärtnerei Schullian in Bozen

Will man über Orchideen reden, kommt man daran nicht vorbei: was sie bei den Menschen wachrufen, das hat etwas mit dem Geschlechtlichen zu tun.
Orchideen sind kulturgeschichtlich ein wunderliches Zwitterwerk, feminin und maskulin aufgeladen zugleich. In ihnen spiegeln sich nicht nur die Sehnsüchte, Projektionen, Zuschreibungen, Vormachtstellungen und Ausschlussmechanismen der Geschlechter im Laufe der letzten Jahrhunderte, sondern auch der koloniale Geist der Europäer sowie deren Forschungs- und Sammlerdrang.

Ihr Name stammt aus dem Griechischen orchis, was übersetzt Hoden bedeutet. Kein unbedingt klingender Name, jedoch haben die damaligen Botaniker aufgrund der empfundenen Ähnlichkeit der Wurzelknollen mit den männlichen Genitalien die Pflanze für immer gekennzeichnet. Waren es ursprünglich noch nur die Knabenkräuter, eine Gattung der Familie der Orchideengewächse, heißt heute die ganze Pflanzenfamilie so.

Der griechische Naturforscher Theophrastos von Eresos war der Erste, der die "orchis" benannte, und damit einen Aberglauben begründete, nachdem Frauen bei Verzehr der stärkeren Wurzelknolle einen Jungen gebären würden. Männern sollte sie in gemahlener Form angeblich wieder zur Potenz verhelfen, daher heisst sie bis heute in manchen Gegenden immer noch Liebeswurz oder Nachlaufwurz. Interessant ist dabei die Überlebensstrategie der Pflanze: während eine Knolle tatsächlich zur Blütezeit verwelkt, wird die andere für die nächste Fortpflanzungsperiode reserviert.
Orchis fand auch Eingang in die griechische Mythologie: er war der Sohn eines Satyrs (die umtriebigen Bocksmänner) und einer Nymphe (ein weiblicher Naturgeist). Von Bacchanten getötet, wurde er in eine Pflanze, die von nun an seinen Namen tragen sollte, verwandelt.

Nun ist dies die eine Seite dieser außerordentlichen Pflanze, die im Übrigen auf allen Kontinenten der Erde vorkommt, außer naturgemäß der kalten Antarktis.
Während ihr Name auf das Männliche verweist, wird ihre Blüte gern mit der weiblichen Sexualität verglichen. Der vordere Teil, jener, der sich deutlich von Größe, Form und Farbe der restlichen Blüte unterscheidet, nennt sich Labellum, Lippe. Die Lippe kann schlauchig oder sackartig sein, oder einen sog. "Schuh" ausbilden ("Frauenschuh"). Nicht alle, nicht jede, nicht immer und überall kommt so ein Gedanke vor. Aber es gibt ihn, und gedacht hat ihn sich vielleicht auch die amerikanische Künstlerin Georgia O'Keeffe, als sie "An Orchid" (1941) gemalt hat. In der chinesischen Gartenkunst gilt die Orchidee als Symbol für Liebe und Schönheit oder auch für ein junges Mädchen.





Wiederum haben sich vor allem Männer über die Orchideensammlung- und Zucht einen Namen gemacht. Viele Orchideen wurden wenig zurückhaltend nach den Namen ihrer Entdecker oder Züchter benannt, bzw. entschieden diese über die Namensgebung. Zum Beispiel ist die Cattleya labiata nach ihrem Züchter William Cattley (19. Jh.) benannt. Als Pflanzenjäger unterwegs, brachten die frühen Entdecker im 17. Jh. Exemplare der tropischen Pflanze mit nach Europa. Das zunehmende Interesse an den Exoten brachte es mit sich, dass immer mehr Forscher und Sammler losgeschickt wurden, um seltene Arten zu importieren und an Gärtnereien oder Privatpersonen zu verkaufen. Damit wurde die Basis für die Zucht geschaffen: gattungsgleiche Arten können gekreuzt werden und damit ein unbekanntes Drittes erschaffen. Die Orchideenzucht war geboren, und diese gewann Anfang des 20. Jh. zunehmend an Bedeutung.
Die Orchideenzucht war anfänglich ein männlich geprägtes Fach. Unter 43 der auf Wikipedia aufgelisteten wichtigen ForscherInnen befindet sich eine einzige Frau. (1) Grund dafür ist sicherlich der systematische Ausschluss von Frauen an Forschungseinrichtungen, Universitäten und generell dem öffentlichen Leben in Europa bis zum Ende des 19. Jh. Jedoch haben sich die Frauen im Laufe des vergangenen Jahrhunderts auch diesen Bereich erobert, wie zum Beispiel Dora Gerhard aus der Schweiz oder die Amerikanerin Donna Craig (die im Übrigen ihre Züchtungen auch nach sich benannt hat).

Es wurden in den letzten 150 Jahren etwa 100.000 Hybriden (Zuchtformen) von Menschenhand geschaffen. Keinesfalls ist dies eine Ausnahme, alle käuflichen Pflanzen stammen aus Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte lang andauernden Kultivierungsprozessen. Und doch liegt ein Vergleich zwischen der Zucht von Orchideen und einer künstlerischen Tätigkeit naheliegender als z.B. bei der Veränderung von Genen bei Mais. Orchideen sind an sich nutzlos, ihre Heilkraft ist heute wiederlegt worden. Sie sind bloß schön, und der Zweck ihrer Haltung ist ein rein ästhetischer. Die Wahl ihrer Form, der Farbpalette, des Materials, folgt einem rein subjektiven Schönheitsempfinden.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn die Gärtnerei Schullian eine Orchideenausstellung anbietet, bei der einige seltene Exemplare von Orchideen wie kleine Kunstwerke präsentiert werden. Am heutigen Sonntag ist die Ausstellung, bei der einige Züchter aus Belgien, Italien und Deutschland persönlich Auskunft geben, noch bis 18 Uhr frei zugänglich.


Gärtnerei Schullian
Meranerstraße 75 A, 39100 Bozen
http://www.schullian.it/de/veranstaltungsliste/id-20-orchideen-ausstellung.html
Alle Fotos von der Ausstellung: © Margareth Kaserer

(1) http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_bedeutender_Orchideenforscher