Economia | Pestizid-Streit

„Das ist nicht akzeptabel“

Landesrat Schuler und der Obstverband kritisieren die Anschuldigungen aus Deutschland zum Pestizid-Einsatz im Apfelanbau. In den letzten Jahren habe sich viel getan.
Der Einsatz von Pestiziden in Vischgauer Apfelbetrieben sorgte heute über Südtirol hinaus für Gesprächsstoff. Auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung war der bedeutungsschwere Titel „Das Gift auf dem Apfel“ zu lesen. Doch was steckt hinter der Analyse, die das Umweltinstitut München auf Grundlage von 681 Spritzheften aus dem Jahr 2017 durchgeführt hat?
Während Umweltschützer*innen und die Südtiroler Grünen mehr Engagement und eine Diversifizierung der Südtiroler Landwirtschaft einfordern, weisen SVP und Obstgenossenschaften die Vorwürfe scharf zurück. Der für Landwirtschaft zuständige Landesrat Arnold Schuler und der Verband der Südtiroler Obstgenossenschaften (VOG) verteidigen die Obstbetriebe, wenngleich noch viel Arbeit anstehe, um Umweltschutz voranzutreiben.
Schuler ist sichtlich verärgert über die Darstellung der Ereignisse: „Was die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln angeht, sind wir in Südtirol seit 40 Jahren ein Vorreiter.“ Das betreffe beispielsweise den hohen Prozentsatz an bio-zertifizierten Insektiziden (90 Prozent) und Fungiziden (70 Prozent) im Vinschgau. Außerdem müsse jeder Betrieb den Einsatz von Pestiziden im Spritzheft begründen.
„Es tut mir als Obstbauer leid, dass in den Medien Halbwahrheiten berichtet werden. Das ist nicht akzeptabel“, so Schuler über das Bekanntwerden der vom Umweltinstitut München ausgewerteten Pestiziddaten aus dem Vinschgau. „Es gibt Verbesserungsbedarf, aber wir bemühen uns und wir wollen langfristig der artenreichste Obstgarten Südtirols werden.“
 

Die Sicht der Betriebe

 
Auch Sabine Oberhollenzer vom VOG betont: „Es hat sich seit 2017 viel getan, um in Obstanbau den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiter zu reduzieren. Beispielsweise sind von den drei 2021 neu eingeführten Apfelsorten zwei davon schorfresistent. Eines der obersten Kriterien bei der Sortenauswahl ist neben Qualität und Geschmack auch die Reduktion von Pestiziden.“
Außerdem verweist die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit beim VOG auf die Nachhaltigkeitsstrategie des Verbandes „sustainapple“. Diese soll nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit für die rund 7.000 Betriebe garantieren. „Themen sind hier etwa Wasser, Boden, Biodiversität, aber auch Aus- und Weiterbildung.“
 
 
Eine vielfältigere Landwirtschaft in Südtirol scheint allerdings noch in weiter Ferne: Landesrat Schuler führt aus, dass die Globalisierung am Weltmarkt zu einer Spezialisierung in den Weltregionen geführt habe: „Unsere klimatischen Bedingungen eignen sich für den Anbau von Äpfeln und Wein sehr gut, auch Getreide wäre möglich, wenn die Preise pro Hektar am Weltmarkt die Produktionskosten decken würden.“ Die derzeitige Nische der Getreideproduktion in Südtirol könne über die Vermarktung von „Regiokorn“ mit höheren Preisen möglicherweise noch wachsen.
Was die nun veröffentlichten Pestiziddaten betrifft, sei man zumindest innerhalb des VOG darauf gefasst gewesen: „Grundsätzlich war das nicht überraschend, in den vergangenen Wochen gab es bereits journalistische Anfragen aus Deutschland zu dem Thema“, so Oberhollenzer. Auch mit dem Umweltinstitut selbst gab es Gespräche.
 

Der Pestizid-Streit

 
Denn nach dem erfolglosen Gerichtsprozess von Schuler und mehreren hundert Bauernbetrieben gegen die Münchner Umweltorganisation sei ein außergerichtlicher Dialog gestartet worden. Das Landesgericht Bozen hatte Karl Bär, ehemaliger Mitarbeiter des Umweltinstitutes und nun Bundesabgeordneter der Grünen, im Mai 2022 von der Anklage freigesprochen. Die Kläger hatten ihm „üble Nachrede“ vorgeworfen.
Die darauffolgenden Gespräche mit VOG und Landesregierung wurden allerdings kurz vor Weihnachten vom Umweltinstitut abgebrochen. „Beide Seiten haben ihre Perspektive erklärt, uns war dabei immer wichtig, nach vorne zu schauen“, erklärt Oberhollenzer vom VOG. Ursprünglich war sogar vom Umweltinstitut geplant gewesen, die Ergebnisse der Pestiziddaten gemeinsam mit der Landesregierung und den Südtiroler Obstgenossenschaften vorzustellen.
„Wir haben im Laufe der gemeinsamen Planung den Eindruck gewonnen, dass es Landesregierung und Obstwirtschaft nicht darum geht, konkret über die Probleme durch den Pestizideinsatz zu diskutieren und sich mit unserer Kritik ernsthaft auseinanderzusetzen“ , begründet Fabian Holzheid vom Umweltinstitut den Rückzug.
„Wir hätten es begrüßt, wenn wir die Ergebnisse zu den Pestiziddaten gemeinsam mit dem Umweltinstitut München vorgestellt hätten. Aber der Dialog wurde vorzeitig abgebrochen. Ich lasse mir also nicht vorwerfen, dass es an mir gescheitert ist“, sagt Schuler über den unglücklichen Ausgang der Gespräche.  
 
 
Ursache des Pestizid-Streits war die 2014 durchgeführte Umfrage in der Gemeinde Mals zu Pestiziden. Dabei hatten sich über 75 Prozent der Bürger*innen für eine von chemisch-synthetischen Pestiziden freie Gemeinde ausgesprochen. Die Gemeinde Mals setzte den Bürgerentscheid in eine Verordnung um und das Umweltinstitut in München witterte darin eine Möglichkeit, ein europäisches Pilotprojekt entstehen zu sehen. Sie werfen heute der Landesregierung und der Obstindustrie vor, versucht zu haben, den Beschluss und dessen Umsetzung auf vielfältige Weise zu verhindern.
Unter anderem klagten einige Landwirt*innen gegen die Iniator*innen des Bürgerentscheids und gegen die Gemeinde. Das Verwaltungsgericht Bozen urteilte 2019 dann, dass die Verordnung nicht rechtmäßig sei und die Gemeinde ihre Kompetenzen überschritten habe. Die Gemeinde Mals ging in Rekurs, das Verfahren ist aktuell vor dem Staatsrat in Rom anhängig.
Auch hier zeigt sich Schuler gesprächsbereit: „Ich bin weiterhin aufgeschlossen für eine Bioregion, allerdings plädiere ich für einen schrittweisen Übergang und nicht für ein komplettes Pestizidverbot von Anfang an.“
 
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Klaus Griesser Mar, 01/31/2023 - 11:01

Ich ziehe den Hut vor der Bemühungen, von Frau Luther, sachlich zu berichten. Ich möchte trotzdem klären helfen, was Sache ist.
Es ging darum, dass ein Dorf demokratisch u selbstbestimmt verhindern wollte, dass die fruchtbaren, humusreichem Böden durch die Pestizide und durch den synthetischen Düngemittel versaut werden. Das war angesagt, weil viele reiche Vinschger Unternehmer und Apfelbauern daran arbeiteten, Grundstücke in Mals auf zu kaufen, um ihre industrialisierte Produktionsweise inklusive Mals aufzuziehen. Das wurde vom Landesrat und vom Bauernbund den Malsern „verboten“. Das Umweltinstitut München (übrigens gleich privatrechtlicher Verbund wie der SBB) hat mit wissenschaftlichen Argumenten und publizistisch wirksam das Malser Anliegen verteidigt u sich dadurch einen Prozess wegen „Verleumdung“ eingeholt. Die Gegner der Malser Initiative mussten auf ihre Ursprungsabsicht verzichten, die Giftbüchlein abliefern und die Anzeigen zurückziehen u versprechen, die Ergebnisse aus den Giftbüchern gemeinsam zu veröffentlichen. Dieses Versprechen der zurückgezogenen Ankläger wurde aber monatelang hinausgezögert bis das Umweltinstitut entschied, die Auswertung zu veröffentlichen.
Der Ärger darüber bei den Anzeigenrückziehern ist verständlicherweise groß und spitzt tief. Ich möchte dazu aber kundtun , ich habe kürzlich eine Sendung gehört im bayerischen Rundfunk 24, worin von Journalisten wie von Vertretern des Umweltinstituts München deutlich gesagt wurde, was in Südtirol gemessen wurde an Pestiziden, das sei in Deutschland möglicherweise nicht anders, es gäbe dort aber keine genauen Daten. Die Tatsache der Giftcocktails ist demnach europaweit dank Mals ruchbar geworden und erheischt endlich amtliche Klärungen bezüglich der Gesundheit und auch der Rolle im Klimawandel (zB Biodiversität).

Man müsste jetzt zu einem Dialog kommen, was teilweise der Landesrat Schuler angedeutet hat mit der „Bioregion“. Der Widerstand dagegen kommt vom Bauernbund, der ist durch die jahrzehntelange Förderung der industrialisierten Monokultur im Apfelbaum abhängig von den Lieferungen der Agrochemie, ähnlich wie ein Drogensüchtiger abhängig ist vom Drogenhändler. Auch in Gedanken an den lieben Armin Bernhard hoffe ich auf zunehmende Bereitschaft zur Zusammenarbeit von Seiten kurzfristiger Privatinteressen für die Sicherung des Gemeinwohls.

Mar, 01/31/2023 - 11:01 Collegamento permanente