Film | Road to Pride

Etwas Maisbier

Einen „nahen Horizont“ holt die Reihe Queer Movies in den Filmclub. Man zeigt Cecilia Bozza Wolfs Zelig-Diplomfilm „Vergot“. Was es heißt, jung und schwul am Dorf zu sein
vergot
Foto: Cecilia Bozza Wolf
  • Vergot“ ist Trentiner Dialekt für „etwas“ oder „qualcosa“ und da auch die 60 Minuten Film im Dialekt eines Dorfs des Cembra Tals abgedreht wurden, wundert es vielleicht wenig, dass die intime Familiendokumentation in der Kategorie „orizzonti vicini“ des Trento Film Festivals einen Sieg einfahren konnte. Aber auch bei anderen Festivals konnte „Vergot“ punkten und das zurecht. Dafür reicht ein Blick auf die Zelig-Webseite des Diplomfilms von 2016. Wenn es um „etwas“ geht, dann lohnt es sich genau hinzusehen und gemeinsam mit Alex Grassi (Kamera) und Pierpaolo Filomeno (Schnitt) gelingt es Regisseurin und Kamerafrau Cecilia Bozza Wolf, die Distanz zu ihren Protagonisten minimal zu halten.

    Allen voran ist es der 19-jährige Gim, um den es im Film geht und der sich seiner Homosexualität in jungen Jahren bewusst wurde. Was es bedeutet, im konservativen Umfeld aufzuwachsen, das versucht der Film im Kleinen, genauer im familiären Umfeld abzulesen. Es geht auch darum, wie sich der große Bruder Alex und der Vater Renzo, „il lupo“ genannt, gegenüber Gim positionieren. Feinfühlig ausgearbeitet zeichnen sich dabei auch drei verschiedene Verständnisse dafür ab, was Männlichkeit noch gleich bedeutet. Die Sprache des alten „Wolfs“ ist auch über Untertitel hinweg kaum das, was man als politisch korrekt bezeichnen würde. Einen umgeknickten Baum im Wald, den es zu verschieben gilt und für den Alex sich einen Moment Zeit nehmenmuss, hätte der Vater in seiner Jugend mit dem Penis verschoben. Auch bei der Arbeit im Weinberg ist der Ton rau und knapp wie der gesprochene Dialekt selbst. In der ersten Viertelstunde erleben wir Gim, mehr noch als im Rest des Films, zurückgezogen oder besser: zurückgedrängt. Gegenüber seiner Familie hatte Gim ein coming out, an dessen Akzeptanz der Vater nach wie vor zu arbeiten hat. Seitens der Mutter, die nicht ins Bild tritt und die auch mit Bruder Alex nur über Notizzettelchen kommuniziert, gibt es scheinbar keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn Gim. Die Zeit heilt doch nicht alle Wunden.

  • Gim: Der Protagonist des Dokumentarfilms lebt bei seinen Eltern, zu denen das Verhältnis angespannt ist. Aber auch mit dem wohlmeinenden Bruder Alex gibt es ausreichend Konfliktpotential. Foto: Cecilia Bozza Wolf

    Mit dem Bruder Alex hat Gim noch das bessere Verhältnis, wenngleich auch hier klare Kommunikationshürden zu überwinden sind, da dieser ein selbstbewussteres Auftreten von seinem Bruder erwartet. Vielleicht hilft Wein, die Zunge zu lockern, oder auch das eine oder andere Maisbier: Ob in Dosen oder Flaschen, ja sogar als T-Shirt taucht das Südtiroler Qualitätsbier aus Algund immer wieder auf, so oft, dass man sich über eine fehlende Sponsor-Nennung im Abspann wundern könnte. Dabei leistet es einen Beitrag zum Scheitern der Kommunikation, um die es im Film auch geht. Die Hemmschwellen fallen und auch Gim und Alex beginnen zu streiten. Vieles bleibt dabei auch ungesagt oder wird nur kurz angedeutet. Alex hat sich in jüngeren Jahren geritzt, am Unterschenkel von Gim finden sich Brandflecken von Zigaretten, die er sich wohl selbst zugefügt hat. Gim zögert einen Moment lang, dann schnippt er den Zigarettenstummel weg.

    Kurz vor dem überraschend versöhnlichen Ende des Films versöhnt sich Alex mit seinem Bruder. Er wünscht sich zwischen beiden eine „relazione normale“. Dabei dürfte wohl wenig mehr zur Normalität gehören, als dass verletzte Menschen andere verletzen. Es bleibt nur mehr, den 20. Geburtstag von Gim zu feiern, bei welchem dessen queere Freunde auch auf einen überraschen milden „Wolf“ treffen, der einen großen Stoffbär mitbringt. Für Gim eine „figata“, worauf hin eine kurze Tischdiskussion zum Geschlecht des Stofftieres mit blauem Halsband beginnt. Vielleicht ist es ein Schritt in die richtige Richtung, vielleicht weiß man auch einfach nicht mehr, worüber sonst reden. Dem Vater fehlt jedenfalls die Sprache der jüngeren Generation für dieses queere „Vergot“. So viel ist allerdings sicher: Im Bozner Filmclub dürften die Gespräche nach dem Film mit deutlich weniger Maisbier besser klappen.

  • Der Termin der Vorführung von „Vergot“ im Bozner Filmclub ist am Donnerstag, um 20 Uhr. Die Regisseurin und einer der Protagonisten sind im Saal anwesend. Dem Thema Homosexualität in ländlichen Gegenden widmet sich derzeit auch die Brixner Dekadenz, mit einem ganz anderen Zuschnitt und der Wiederaufnahme der Produktion „Tom auf dem Lande“, die noch bis 9. April gespielt wird.