Economia | Filmförderung

Es bleibt ein Spagat

Renate Ranzi, die neue Leiterin der Film Commission, über Südtiroleffekt, Green-Shootings, Förderkriterien und die Mitschuld der Filmförderung am Overtourism.
Leiterin der Film Commission, Renate Ranzi
Foto: Rosario Multari
  • SALTO: Die Filmförderung gibt es seit 2011 und eines der ersten Filmprojekte, das die Film Commission gefördert hat, war die TV-Serie „Un passo dal cielo“ mit Terence Hill. Ein Riesenerfolg auf Rai Uno. Heute ist der Pragser Wildsee ein touristischer Hotspot. Schuld der Filmförderung?

    Ranzi: Die Serie hat zur Sichtbarkeit des Pragser Wildsees beigetragen, insbesondere im nationalen Fernsehen. Aber tatsächlich haben verschiedenste Elemente zu dieser Entwicklung beigetragen. 

    Welche Elemente waren das?

    Die Tatsache, dass die Dolomiten 2009 zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt wurden, hat zur Bekanntheit weiter beigetragen. Aber vor allem der Social-Media-Boom und die damit verbundene globale Verbreitung von Bildern und Videos erhöhen die Sichtbarkeit von bestimmten Orten enorm. Die User möchten dieselben Bildausschnitte reproduzieren, die sie auf Instagram oder TikTok gesehen haben. In Oberbozen habe ich beispielsweise vor ein paar Tagen eine junge Touristin aus Polen getroffen, die den Latemar auf TikTok gesehen hat und deshalb unbedingt dorthin wollte.  

  • „Un passo dal cielo“ mit Förster Terence Hill. Der Pragser Wildsee ist heute ein touristischer Hotspot. „Aber tatsächlich haben verschiedenste Elemente zu dieser Entwicklung beigetragen.“
    (c) Lux Vide

  • Zur Person

    Renate Ranzi arbeitet seit 2016 bei IDM Südtirol. Seit Mai dieses Jahres leitet sie dort die Filmförderung. Ranzi ist 36 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in Oberbozen. 

  • Sie haben auch „Curon“ gefördert. Die Serie ist sehr erfolgreich auf Netflix gelaufen, dort ist der Hotspot-Effekt meines Wissens ausgeblieben…

    …Genau. Es ist eben nicht automatisch so, dass Serien oder Filmprojekte den Tourismus beschleunigen. Natürlich ist uns bewusst, dass Film Images kreiert. Wichtig ist aber: Die Südtiroler Filmförderung zielt nicht darauf ab, Locations zu promoten. Andere Filmförderungen in anderen Regionen machen das sehr wohl – wir in Südtirol nicht. Wir haben das Ziel, mit der Filmförderung die Entwicklung des Filmstandorts Südtirol voranzutreiben.

     

    „Natürlich kann eine erfolgreiche Serie oder ein Film Aufmerksamkeit erzeugen – je nachdem, wo und wie sie verbreitet werden.“

     

    Zu dem Thema kommen wir gleich, aber wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie auch, dass man einen touristischen Nebeneffekt fast gar nicht verhindern kann, wenn man einem Millionenpublikum eine Location präsentiert?

    Noch einmal: Unser Ziel mit der Filmförderung ist ganz klar: Wir wollen den Filmstandort Südtirol stärken und die lokale Branche weiterentwickeln – nicht Südtirol als touristische Destination bewerben. Es gibt viele geförderte Projekte, in denen Südtirol überhaupt nicht als Ort erkennbar ist – weder visuell noch dramaturgisch. Das zeigt, dass eine Förderung keineswegs an eine landschaftliche Darstellung oder Sichtbarkeit geknüpft ist. Natürlich kann eine erfolgreiche Serie oder ein Film Aufmerksamkeit erzeugen – je nachdem, wo und wie sie verbreitet werden. Aber man muss das Verhältnis im Blick behalten: Der durchschnittliche in Italien produzierte Kinofilm erreicht weniger Visibilität als bestimmte Videos oder Bilder auf sozialen Medien.

    Womit wir bei dem sogenannten Südtiroleffekt wären. Können Sie kurz erklären, was es damit auf sich hat?

    Unsere Filmförderung ist wirtschaftlich ausgerichtet, das bedeutet: Es müssen laut Kriterien mindestens 150 Prozent der Fördersumme in Südtirol investiert werden; also in Südtiroler Filmschaffende, Filmdienstleister, aber auch in Südtiroler Hotels oder Transportunternehmen und so weiter und so fort.

  • Renate Ranzi bei der Arbeit: „Wir wollen den Filmstandort Südtirol stärken und die lokale Branche weiterentwickeln,“ Foto: Renate Ranzi
  • Wie wird gemessen, ob eine Filmproduktion das dann auch wirklich macht?

    Jedes Projekt wird im Rahmen einer Schlusskostenprüfung von einem externen Wirtschaftsprüfer geprüft, der unter anderem die Ausgaben in Südtirol kontrolliert. Unsere Kriterien sehen vor, dass die lokale Wertschöpfung mindestens 150 Prozent betragen muss.  Wir haben diese Zahl aber mittlerweile erheblich überschritten. 2024 lag diese sogar bei 240 Prozent, und seit Beginn der Filmförderung sind es im Durchschnitt 211 Prozent. Die Filmproduktionen geben mehr Geld aus also sie müssten, das ist ein gutes Zeichen und zeigt auch, dass sich der Filmsektor in den letzten Jahren gut weiterentwickelt hat. 

  • Die Südtiroler Filmförderung

    Die Film Commission Südtirol wurde 2011 aus der Taufe gehoben. Damals war sie bei der Business Location Südtirol (BLS) angesiedelt. Renate Ranzi ist nach Christiana Wertz und Birgit Oberkofler die dritte Frau, die der Film Commission Südtirol vorsteht. Die Film Commission vergibt nicht nur die Fördergelder, sondern begleitet auch Filmproduktionen in Südtirol mit verschiedenen Dienstleistungen mit dem Ziel, den lokalen Filmsektor zu stärken und weiterzuentwickeln.

  • Sie sind jetzt die dritte Leiterin der Film Commission nach Christiana Wertz und Birgit Oberkofler. Wollen Sie irgendwas anders machen als Ihre Vorgängerin?

    Meine Vorgängerinnen haben hervorragende Arbeit geleistet, um die Film Commission dahin zu bringen, wo sie jetzt ist. Wir hatten vor allem in den letzten Jahren große Festivalerfolge mit von uns geförderten Projekten. Ich freue mich darauf, diese Arbeit mit einem tollen Team weiterzuführen. Besonders glaube ich daran, dass es wichtig ist, qualitativ hochwertige Projekte zu fördern, die lokale Filmschaffende in verantwortungsvollen Positionen einbinden. Darüber hinaus gilt es, die lokalen Produktionsfirmen weiter zu unterstützen und international zu vernetzen, damit auch mehr Projekte aus Südtirol heraus produziert werden. Wir haben gerade die erste internationale TV-Serie zwischen Italien, Lettland und Estland gefördert, die von zwei lokalen Produktionsfirmen koproduziert wurde. 

    …und Oscar-Nominierungen gab es auch…

    Ja. Wir hatten einen großartigen Erfolg mit „Vermiglio“, ein Film der Südtiroler Regisseurin und Drehbuchautorin Maura Delpero: silberner Löwe in Venedig, Nominierungen für den European Film Award und den Golden Globe, sieben David di Donatello – und Italiens Oscar-Kandidat für 2025. 

  • „Vermiglio“ von Maura Delpero: silberner Löwe in Venedig, Nominierungen für den European Film Award und den Golden Globe, sieben David di Donatello – und Italiens Oscar-Kandidat für 2025.
    (c) Janus Films

  • …und „Im Westen nichts Neues“ hatte eine Oscar-Nominierung…

    Genau. Die Postproduktion wurde in Meran von PFX Italy gemacht. Das zeigt, wie breit die Kompetenzen sind, die mittlerweile in Südtirol aufgebaut wurden. 

    Welche Auswirkungen haben solche Highlights auf den Filmstandort Südtirol? 

    Solche Erfolge stärken nicht nur unseren Filmstandort, sondern verschaffen vor allem den heimischen Filmschaffenden und Dienstleistern Sichtbarkeit. 

    So war etwa die Südtirolerin Sara Pergher bei „Vermiglio“ für Set-Dekoration und Dekoration verantwortlich und wurde dafür für den David di Donatello nominiert.  Kristian de Martis, der als Oberbeleuchter beim Film mitwirkte, erhielt für seine Arbeit den Preis „La Pellicola d’Oro“, eine Auszeichnung, die Filmschaffende hinter den Kulissen ehrt, also jene Berufe, die normalerweise nicht im Rampenlicht stehen.

  • Die Postproduktion wurde in Meran von PFX Italy gemacht.
    (c) Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

  • Film ist ja nicht nur ein Business, sondern auch Kultur. Ein Juwel in Südtirol ist sicher der Filmclub Bozen, der sich ja auch gegen die Konkurrenz der Blockbuster-Kinos relativ erfolgreich verteidigt hat. Hat der Filmstandort Südtirol ein Bewusstsein für guten Film?

    Der Verein, der den Filmclub aufgebaut hat, hat Herausragendes geleistet - allen voran Martin Kaufmann, Mitbegründer des Bozner Filmclubs und Initiator des Filmfestivals, der als prägende Persönlichkeit der Südtiroler Kinokultur gilt. Ebenso bedeutend ist der Beitrag von Helene Christanell, die das Festival über zwei Jahrzehnte leitete und maßgeblich zur Entwicklung beigetragen hat. Neben dem Bolzano Filmfestival Bozen, das seit zwei Jahren unter der künstlerischen Leitung von Vincenzo Bugno steht, sind auch der Filmclub selbst, die Kulturabteilungen des Landes, die FAS sowie die Filmschule ZELIG neben IDM Film Commission Südtirol zentrale Pfeiler des Filmstandorts Südtirol und spielen eine sehr wichtige Rolle im Aufbau und der Weiterentwicklung des Sektors. 

    Jetzt haben wir viel von Vorteilen geredet, was sind die Nachteile des Filmstandorts Südtirol?

    Wie vorhin erwähnt, gibt es bereits sehr viele Kompetenzen und Möglichkeiten im Land. Einige fehlen aber noch und müssten noch aufgebaut werden. Wir haben zum Beispiel kein professionelles Filmstudio wie Bavaria, Babelsberg oder Cinecittà. Stattdessen entstehen mache Produktionen in der Messe in Bozen oder in umfunktionierten Hallen.

    Wie wichtig ist das Thema Erreichbarkeit für den Filmstandort Südtirol? Wie kommen Filmproduktionen hierher und mit welchen Mitteln bewegen sie sich im Land fort?

    Erreichbarkeit ist natürlich wie in vielen anderen Sektoren ein wichtiges Thema. Die meisten Filmproduktionen reisen mit dem Auto oder Zug an. Vor Ort werden die Filmschaffenden am oder in der Nähe des Drehorts untergebracht, um möglichst ressourcenschonend zu arbeiten. In diesem Zusammenhang haben wir ein Zertifikat für nachhaltige Dreharbeiten entwickelt, das „Green Shooting“, um Filmproduktionen durch ökologische Standards so umweltverträglich wie möglich zu gestalten. 

    Gemeinsam mit dem Ökoinstitut…

    …genau, gemeinsam mit dem Ökoinstitut Südtirol und der Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz. Die Bewertung erfolgt anhand von sieben Handlungsfeldern – Kommunikation, Energie, Transport und Unterkunft, Materialeinsatz, Abfallmanagement, Catering und grüne Innovation.

  • Green Shooting: „Im Moment der Projekteinreichung muss eine Produktion angeben, ob sie nachhaltig dreht oder nicht.“ Foto: Ökoinstitut Südtirol/Alto Adige
  • Wie funktioniert aber das Green-Shooting in Südtirol? Wer macht was, wer kontrolliert die Auflagen?

    Das „Green Shooting“ in Südtirol funktioniert über ein strukturiertes Zertifizierungsverfahren, das nachhaltige Dreharbeiten fördert. Filmproduktionen, die eine Förderung bei IDM beantragen, können gleichzeitig das Green-Shooting-Zertifikat anstreben, indem sie eine Checkliste mit Maßnahmen für umweltfreundliches Produzieren ausfüllen und umsetzen. Green Consultants, also eigens dafür ausgebildete Filmschaffende, beraten die Filmproduktionen bei der Umsetzung der Kriterien und arbeiten eng mit dem Ökoinstitut zusammen, das die Einhaltung der Vorgaben vor Ort kontrolliert. Das Ökoinstitut führt Set-Besuche durch, überprüft Dokumentationen und führt Gespräche mit den Green Consultants. Nach Abschluss der Dreharbeiten bewertet die Landesagentur für Umwelt und Klimaschutz die Ergebnisse und stellt bei erfolgreicher Umsetzung das Green-Shooting-Zertifikat aus. So wird sichergestellt, dass die umweltfreundlichen Standards tatsächlich eingehalten werden.

    Also hat eine Produktion auch die Möglichkeit nicht nachhaltig zu drehen?

    Aktuell ist es so, dass das Kriterium „Green Shooting“ zwar nicht verpflichtend ist, aber es ist ein wichtiges Auswahlkriterium und in unseren Förderrichtlinien klar verankert. Seit der Einführung im Jahr 2021 wurden bereits zahlreiche Projekte in Südtirol nach den Prinzipien des „Green Shooting“ nachhaltig umgesetzt. Neben der ökologischen Nachhaltigkeit fließen jedoch auch andere Kriterien in die Förderentscheidung ein – etwa der Südtirolbezug oder die Stärkung des Filmstandorts Südtirol, das Marktpotenzial, die künstlerische Qualität oder die Chancengleichheit, also ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern unter den beteiligten Filmschaffenden.

     

    „Wenn ein Projekt fantastisch, aber nicht nachhaltig ist, dann kann es trotzdem gefördert werden.“

     

    Also muss ich einen gewissen Prozentsatz der Kriterien erfüllen, um gefördert zu werden?

    Wir haben keinen Prozentsatz und auch kein Punktesystem. Die Projekte werden auf Basis diverser Kriterien von einem unabhängigen Expertengremium diskutiert und bewertet. Natürlich kann es mitunter ein Ablehnungsgrund sein, wenn ein Projekt nicht nachhaltig dreht oder wenn ein Projekt ein Kernteam hat, das nur aus Männern besteht.

    Kann abgelehnt, muss aber nicht abgelehnt werden?

    Ja. Wenn ein Projekt fantastisch ist, weil es inhaltlich brillant, gut finanziert und die Distribution gesichert ist, aber nicht nachhaltig dreht, dann kann es trotzdem gefördert werden. 

    Filmförderung ist und bleibt also ein Spagat?

    Ja, Filmförderung ist tatsächlich ein ständiger Spagat – zwischen künstlerischer Freiheit und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, zwischen regionaler Identität und internationaler Wettbewerbsfähigkeit sowie zwischen kurzfristigen Projektförderungen und langfristiger Branchenentwicklung. Wir bemühen uns, diesen Balanceakt bestmöglich zu meistern, indem wir flexible Förderinstrumente anbieten, die sowohl kreative Visionen unterstützen als auch nachhaltige Strukturen schaffen. Ziel ist es, nicht nur einzelne Filme zu fördern, sondern den gesamten Filmstandort zu stärken. 

     

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Salto User
Josef Fulterer Gio, 07/31/2025 - 06:11

Dass man die vom Widmann erfundene FILM-Förderung, mit "mit den tollen Kriegs-Schlacht-Szenen + der Erfindung von HOT-SPOTS für die IDM Tuorismus-Werbung" auch absetzen könnte, ist der d... a... Landes-Regierung noch -n i c h t- eingefallen!

Gio, 07/31/2025 - 06:11 Collegamento permanente