Sport | Mit Seil und Schirm

Bergsteiger & Bergflieger Aaron Durogati

Aaron Durogati ist einer der besten Gleitschirmpiloten der Gegenwart. Seine Flüge verfolgen Millionen von Fans auf der ganzen Welt, er ist längst eine Ikone des Extremsports.
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Foto: © Aaron Durogati
Es ist ein heißer Juliabend. Ich bin mit Aaron Durogati bei der Landewiese in Dorf Tirol – seinem zweiten Wohnzimmer – verabredet. Auf dieser Wiese ist Aaron mit 15 Jahren zum ersten Mal selbstständig mit einem Gleitschirm gelandet. Zum Termin kommt Aaron – wie könnte es anders sein – von oben … sprich: direkt von einem Werbe-Shooting in der Luft. Meine erste Frage, ob er heute beim Fliegen war, ist somit beantwortet; die Frage ist also – wie so oft an guten Thermiktagen – nur mehr die: wie weit und wie lange?

Aaron, mir ist zu Ohren gekommen, dass du vor drei Tagen eine recht ordentliche Strecke geflogen bist …

Aaron Dorigati: Ich bin am Freitag eine Strecke von 330 km geflogen in einem „Dreieck“ zwischen Mölltal, Ötztal und Val Cordevole; und gestern dieselbe Strecke noch einmal. Angepeilt hatte ich allerdings ein Dreieck von 351 km – das wäre ein neuer Weltrekord gewesen. Das aktuelle Rekord-Dreieck wurde letztes Jahr in Frankreich geflogen und ergibt ca. 340 km.

Du hast also gerade Ambitionen auf einen Weltrekord?

Ich will immer das für mich maximal mögliche erreichen; und nachdem ich am Freitag die 330 geflogen bin, wollte ich gestern den Weltrekord. Ich war schnell unterwegs, aber leider sind mir am Abend Cirruswolken in die Quere gekommen.

Von den High-End-Flügen zurück zu den Anfängen: Du hast mit deinem Vater begonnen zu fliegen?

Ja, ich bin mit 6 Jahren das erste Mal mit dem Vater mitgeflogen. Und mein kleiner Sohn fliegt nun, seit er 2 Jahre alt ist, mit mir mit.
 
Deine Frau ist ebenfalls Pilotin, richtig?

Sie war 10 Jahre lang im tschechischen Nationalteam. Wir haben uns bei den Wettkämpfen kennengelernt.
 
Somit versteht die Frau deine Leidenschaft …

Ja. So gesehen bin ich in einer glücklichen Lage, denn ich habe schon eher ein „besonderes“ Leben …
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Aaron ist oft  mit dem Gleitschirm unterwegs... © Aaron Durogati
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...und zwar rund um die Uhr. © Aaron Durogati 

Aus diesem Grund führen wir heute ein Interview mit dir. Wie viele Tage im Jahr sind es eigentlich, an denen du nicht fliegst?

Wenige. Wenn es zu fliegen geht, fliege ich.
 
Du fliegst manchmal auch absichtlich bei zweifelhaften Bedingungen, richtig?

Ja, das gehört insbesondere zur Vorbereitung auf Wettkämpfe wie die X-Alps, bei denen die Konditionen auch nicht immer ideal sind. Ich bin der Meinung: wenn du die extremen Bedingungen im Training nicht fliegst, dann wird es sehr gefährlich, wenn du dies im Rennen plötzlich machst. Aus diesem Grund trainiere ich gezielt auch bei schlechten Bedingungen. Das gibt mir Sicherheit für die Wettkämpfe. Es ist wie in jedem Sport, in dem viel trainiert wird: mit der Zeit lernst du mit extremen Situationen umzugehen. In diesen zu fliegen macht mir zwar keinen Spaß, aber zumindest fühle ich mich darin einigermaßen sicher. Zudem: Wenn du immer nur bei perfekten Bedingungen fliegst, machst du keine Fortschritte.
 
Ich versuche genau dies zu machen, ich habe nämlich Angst …

Du kannst das machen, du fliegst nämlich zum Spaß. Ich fliege, weil es mein Beruf und meine Berufung ist; und ich will Wettkämpfe gewinnen und meine Ziele erreichen. Dabei gehe ich oft über Stunden an mein Limit, physisch und psychisch – zuletzt bei den heurigen X-Alps.
 
Du hast vor ca. einem Monat diesen wohl härtesten Gleitschirm-Wettkampf zum sechsten Mal absolviert. Wieviel kg trägst du da durch die Gegend, wenn du zu Fuß unterwegs bist?

Minimum sind 6,5 kg: Schirm, Rettungsschirm, Gurtzeug, Helm und Fluginstrument. Zuzüglich Wasser und Gewand komme ich auf ca. 10 kg. Bei den X-Alps bin ich wohl derjenige, der auf den Gehstrecken die meisten Höhenmeter macht; dies, um möglichst Fußmärsche im Flachen zu vermeiden, was meine Knie nicht mehr ertragen.
 
Du hast die Knie verschlissen … vom Laufen oder vom Skifahren?

Vom Lauftraining im Flachen mit Zusatzgewicht. Meine Devise lautet deshalb heute: viel Fliegen, wenig gehen.
 
Beim Fliegen hast du dich nie verletzt?

Doch, aber nur einmal in den 22 Jahren, die ich jetzt fliege. Ich bin damals – es war November – an einer recht steilen Stelle beim Lombardi-Biwak am Ortler gestartet. Hoch über Sulden bin ich ein paar Acro-Manöver geflogen und habe dann nicht mehr an die Steigeisen an den Schuhen gedacht. Das war fatal, denn beim Landen auf der gefrorenen Wiese habe ich mir wegen der Eisen Schien- und Wadenbein gebrochen. Fazit: Paragleiten kommt mir – angesichts meiner rund 500 Flugstunden pro Jahr – also ziemlich sicher vor. Im Mittelschulalter, als mich mein Vater noch nicht selbst fliegen ließ und ich deshalb viel Skateboard gefahren bin, war ich durchschnittlich einmal im Monat im Spital. Mit ein Grund, dass mein Vater dann doch bald nachgegeben hat.
 
Wie hast du dir diese Sicherheit beim Fliegen angeeignet?

Ich war anfangs immer alleine unterwegs, nie in einer Gruppe – nicht beim Fliegen, nicht beim Bergsteigen und auch nicht beim Steilwandfahren. Ich war immer auf mich alleine gestellt und musste alle Entscheidungen selbst treffen. Wenn ich vor etwas Angst hatte, so konnte ich dies ernst nehmen und entsprechend reagieren, ohne von irgendjemanden beeinflusst zu werden oder mich rechtfertigen zu müssen. Das hat mir Sicherheit gegeben.
 
Eine Skikarriere war für dich nie eine Option?

Soweit ich mich zurückerinnern kann, wollte ich immer nur eins: Weltmeister im Paragleiten werden. In der Grundschule war ich der Einzige, der behauptete: ich werde ein Flieger! Die anderen hatten schließlich auch keinen Tata, der Flieger war ... Skifahren habe ich gerne als Sport betrieben, es war aber nicht mein Traum, in den Skiweltcup zu kommen. Ich bin bis zum 18. Lebensjahr Skirennen gefahren und habe dann die Ausbildung zum Skilehrer und -trainer gemacht, weil ich immer wusste, dass ich keine „normale“ Arbeit machen möchte. Mein Plan war, im Winter auf der Piste und im Sommer in der Luft zu sein und vielleicht eines Tages komplett von dieser „Luft“ leben zu können. Skifahren war dann bald halt nur mehr eine Arbeit und ich wäre in dieser Zeit niemals zum Spaß Skifahren gegangen. Erst mit dem Skitourengehen habe ich die Liebe zum Skifahren für mich wiederentdeckt.
 
Wie bist du zum Skitourengehen gekommen?

Ich bin viel Freeriden gegangen, wollte aber weg von den Liften und bin dann immer mit schwerem Freeride-Setup auf Skitour gegangen – die ersten beiden Jahre ausnahmslos alleine.
 
Hast du dich dabei wohl gefühlt? Von den winterlichen Gefahren am Berg hattest du vermutlich nicht viel Ahnung …  

Ich war – fälschlicherweise! – der Meinung, dass ich schnell genug fahren kann, um nicht auf oder gar unter der Lawine zu bleiben. Deshalb die langen und breiten Skier, mit denen man es „tuschen“ lassen kann. Bald habe ich dann im Speedriden die beiden Sachen kombiniert, die ich am besten kann: Skifahren und Gleitschirmfliegen. Den Lawinen bin ich fortan einfach davongeflogen.
 
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Aaron beim Speedriding © Aaron Durogati

Du hast mit 15 Jahre angefangen, selbstständig zu fliegen. Mit 16 hast du dann regulär den Pilotenschein gemacht. Siehst du dies als das rechte Alter, um mit einem solchen Sport zu beginnen? Zum Vergleich: das Klettern oder Skifahren wird schon im Kleinkindalter betrieben. 

Mir sind einzelne Fälle bekannt, wo Kinder bereits einige Meter geflogen sind. Mein Sohn Arno kann mit seinen 6 Jahren auch schon einen kleinen Schirm aufziehen und so zumindest das Gefühl für die Materie bekommen.

Beim Ski- oder Klettersport, um bei diesen Beispielen zu bleiben, handelt es sich um „institutionalisierte“ Disziplinen, sprich: man kann von klein auf Kurse besuchen, es gibt künstliche Anlagen, es wird in allen Altersklassen trainiert, es gibt eine Föderation etc. Der Gleitschirmsport ist, zumindest hierzulande, vergleichsweise (noch) unorganisiert. Es gibt gerade mal Clubs, denen man beitreten kann. Siehst du diesen Umstand als Vor- oder Nachteil? In Frankreich kann man meines Wissens bereits den Zweig Paragleiten in der Sportoberschule besuchen. 
 
Deshalb hat Frankreich aktuell auch das höchste Pilot:innenniveau. Eine gewisse Struktur, wie ich sie früher etwa im Skitraining mitbekommen habe, ist für eine Wettkampfkarriere sicher förderlich. Beim Flugsport hat sich dergleichen in meinem Fall erst ergeben, also ich zu meinem Hauptsponsor gekommen bin, der seinen Athlet:innen ein Trainingszentrum (inkl. Ernährungsberatung, Physiotherapie, Mentalcoaching usw.) bereitstellt. 
 
Ein Breitensport wie etwa das Fußballspielen wird das Fliegen aber auch in Frankreich nie werden, oder?

Das sicher nicht; ich bin aber der Meinung, dass etwa das „hike and fly“ einen ähnlichen Zulauf erleben könnte wie das Skitourengehen vor rund 20 Jahren, zumal das Material immer einfacher und sicherer wird und die Leute gerne eine „Abstiegshilfe“ in Anspruch nehmen. Dieses Potential schlägt sich auch schon auf den Wettkampfbereich und das Sponsoring nieder: Bei den Streckenfliegern kann gegenwärtig niemand (mehr) vom Sport leben, in der Disziplin „Hike and Fly“ gibt es hingegen einige Profis. Ich selbst bin 2013 aus dem Skiteam ausgestiegen und kann mich dank mehrerer Sponsoren und der Tandem-Firma ganz dem Fliegen widmen; wobei schon ein beträchtlicher Teil des Athletenlebens aus Marketingaktivitäten besteht; denn nur von Preisgeldern allein lebt man nicht.
 
Im Bergsportbereich werden gesponsorte Athlet:innen oft gefragt, ob Sie durch das Sponsoring einem gewissen Leistungsdruck unterliegen und somit eine größere Risikobereitschaft an den Tag legen würden. Wie schaut‘s diesbezüglich in der Fliegerszenen aus?

Besonders oft wir diese Frage ja an Red-Bull-Athlet:innen gerichtet … ich kann nur sagen: zu Unrecht. Alles, was ich bislang gemacht habe, ist aus eigenem Antrieb heraus entstanden. Der Sponsor kam immer erst ins Spiel, wenn die Pläne in die Tat umgesetzt und dokumentiert werden wollten.   
 
Du hast letzthin, deinen vielseitigen Fähigkeiten entsprechend, einige alpinistische Projekte mit Gleitschirm im Gepäck, bspw. in Patagonien, realisiert. Was war hierbei die größere Herausforderung: das Bergsteigen oder das Fliegen?

Ich hatte mittlerweile öfters die Möglichkeiten, mit richtig guten Bergsteiger:innen, die ebenfalls fliegen (wie bspw. Simon Gietl) unterwegs zu sein und dabei das Klettern mit dem Fliegen zu kombinieren. Alpinistisch kann ich mit diesen Leuten nicht wirklich mithalten, aber ich kann sehr viel lernen; sobald es dann ans Fliegen geht, kann ich mich bei ihnen für allfällige Unterstützung im Aufstieg revanchieren. In Patagonien freilich ist das Fliegen kein Kinderspiel. Solange du nicht in Patagonien warst, kannst du nicht behaupten zu wissen, was Wind ist. Kurioses Detail: Bereits um 1990 sind einige mutige „Paraalpinisten“ – ich glaube es war ein österreichisches Pilotenteam – von den dortigen Gipfeln geflogen – mit den „Fallschirmen“, wie sie damals halt waren.
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Aaron beim Klettern und Fliegen in Patagonien. Für solides Flugwetter ist die Gegend nicht bekannt. i© Aaron Durogati


Angst hast du nie, wenn du von solchen Bergen fliegst?


Oft – Gott sei Dank. Angst ist sehr wichtig. Wenn ich mir – aufgrund von Routinen – meiner Sache zu sicher und somit nicht aufmerksam und ängstlich bin, wird’s gefährlich; und auch, wenn ich zu schnell vorankommen will.
 

Wie meinst du das?


Ich bin immer alles Schritt für Schritt angegangen und habe nie zwei Schritte zugleich gemacht. Ich bin wohl nur deshalb „heiler“ so weit gekommen. Von außen betrachtet mögen meine Taten – wenn man mich nicht kennt und nicht weiß, wie ich mich vorbereite – waghalsig erscheinen. So ist es aber nicht.
 

Abschließend ein Tipp für alle, die das Paragleiten lernen möchten …


Jede:r muss seine oder ihre Dimension – sei es das bloße Abgleiten, das schon anspruchsvollere Thermik- oder gar das Acrofliegen – finden. Wichtig ist, dass man dabei zwar Ambitionen hat, aber diese immer nur Schritt für Schritt realisiert – genau so, wie eben beim Bergsteigen auch!