Ihr Appartement? 300 Meter weiter bitte!
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Ioana Cires und Andrea Straudi erscheinen beide im schwarzen Hosenanzug, weißes Hemd, blonder Pferdeschwanz. Sie leiten das bisher einzige Streuhotel Südtirols, Albergo Diffuso im italienischen Wortlaut. „Ela living“ bietet 17 Appartements mit 55 Betten im historischen Zentrum von Neumarkt an. Im Unterschied zu klassischen Hotels befinden sich die Unterkünfte verteilt in der Ortschaft.
Das Konzept erfand der Marketingexperte Giancarlo Dall’Ara 1976 nach dem Erdbeben in Friaul. Es funktioniert ähnlich wie die touristische Vermietung über Airbnb und soll den Austausch zwischen Gäste und lokaler Bevölkerung fördern. Die Gemeinde Neumarkt griff das Konzept im Jahr 2018 auf, um leerstehende Immobilien zu nutzen und den Ortskern neu zu beleben.
„Die Moral der Geschichte: Viel Mut und viel Unwissen, aber ich würde es Tausend Mal wieder machen.“
Im Vergleich zu anderen Bezirksgemeinschaften, allen voran das Pustertal mit mehr als einer Million Ankünften allein im Winterhalbjahr 2023/24, ist das gesamte Überetsch-Unterland mit 142.624 Ankünften keine Tourismushochburg. Für Cires bedeutet das ein ungenutztes Potential.
Aufgewachsen in Rumänien kam die Unternehmerin mit 20 Jahren nach Italien. Sie begann, in den Marken in der Gastronomie zu arbeiten und im Catering Veranstaltungen zu organisieren. „Von der Hochzeit bis zur Expo in Mailand war alles dabei“, berichtet sie. Als ihr Partner und sie entschieden, Eltern zu werden, wurde es zunehmend schwieriger, ihren Beruf als Eventmanagerin auszuüben und von einer Stadt in die nächste zu reisen. Sie beschlossen deshalb, sich in Südtirol niederzulassen. „Hier hat es uns schon immer gut gefallen“, sagt Cires.
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Gemeinsam mit zwei Arbeitskollegen nahm sie den Auftrag der Gemeinde an, ein Albergo Diffuso in Neumarkt aufzubauen. Einige Jahre später schlendert sie mit ihrer neuen Geschäftspartnerin Andrea Straudi aus Tramin durch die Gassen von Neumarkt. Sie grüßen Passantinnen und Passanten, lachen in die Kamera des SALTO-Fotografen und schwärmen von der Dorfgemeinschaft.
Die beiden Frauen wissen, die Vergangenheit der geschichtsträchtigen Häuser Neumarkts für sich zu nutzen und altes Gemäuer mit wenig Aufwand ansprechend zu präsentieren. Die Gästeappartements befinden sich in Wohnhäusern, neben Fahrrädern und aufgespannten Regenschirmen führt eine Treppe hinauf in die Gästeunterkunft. Die viel beworbene Authentizität Südtirols scheint hier tatsächlich greifbar zu sein.
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Mittlerweile überlegen auch andere Gemeinden im Land, auf das Modell der Alberghi Diffusi zu setzen, etwa Salurn, Glurns oder Stilfs. Die Herausforderung liegt dabei wie so oft im Detail. Das bestätigt auch Cires von „Ela Living“ in Neumarkt. „Zu Beginn frühstückten unsere Gäste in Bars im Dorf, das war organisatorisch nicht immer einfach“, sagt sie. Deshalb mietete sie ein Geschäftslokal, um die Gäste selbst bewirten zu können.
Als ihr vor zwei Jahren das Cafe Central am Dorfplatz zur Pacht angeboten wurde, überlegte sie nicht lange. Seitdem führen Cires und Straudi nicht nur das Albergo Diffuso, sondern auch das größte Café der Ortschaft. Die Hotelgäste frühstücken hier Seite an Seite mit der Dorfbevölkerung, still wird es hier selten.
In Italien ist das Konzept des Albergo Diffuso durch die regionale Gesetzgebung geregelt. In Südtirol legt das Omnibusgesetz Nr. 10/2018 fest, dass die Betriebsart Streuhotel für bestehende Bausubstanz der Kategorie Wohnungen möglich ist. Zudem müssen sich die Wohnungen im historischen Ortskern befinden und über mindestens sieben Zimmer oder Wohneinheiten in mindestens drei verschiedenen Gebäuden oder Gebäudeteilen verfügen. Die Entfernung vom Hauptgebäude mit Rezeption darf nicht mehr als 300 Meter betragen. Auch ein Frühstücksangebot ist verpflichtend.
Das Albergo Diffuso ist in Neumarkt mittlerweile eine feste Größe – zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 sah das noch ganz anders aus. Als ihre beiden Geschäftspartner wegen der großen wirtschaftlichen Unsicherheit abgesprungen waren, musste Cires entscheiden, ob sie alleine weitermacht oder nicht.
Heute beschäftigt sie rund ein Dutzend Angestellte. „Die Moral der Geschichte: Viel Mut und viel Unwissen, aber ich würde es Tausend Mal wieder machen.“
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