Politica | Interview

"Eine großartige Leistung"

Trotz der Wahlniederlage gratuliert Madeleine Rohrer Paul Rösch und dem gesamten Team zu ihrem Erfolg – und betont die einschneidende Rolle wirtschaftlicher Interessen.
Madeleine Rohrer
Foto: Thomas Zelger

Die ehemalige Urbanistik-Stadträtin Madeleine Rohrer ist mit insgesamt 1.689 Stimmen die meistgewählte Kandidatin der Gemeinderatswahlen in Meran. Lange Zeit galt sie als mögliche Bürgermeisterkandidatin der Grünen. Dann fiel das Los doch auf Paul Rösch, der bereits zweimahl gewählt worden war.

Auch nach der (knapp) verlorenen Wahl noch die richtige Wahl? Salto.bz hat mit Madeleine Rohrer gesprochen.

 

Salto.bz: Frau Rohrer, beim letzten Mal konnten die Grünen die Stichwahl für sich entscheiden. Nun ging dieselbe Wahl zu Gunsten Dal Medicos und seiner Alleanza per Merano aus. Was ist hier schief gelaufen?

Madeleine Rohrer: Nein, man muss es so sehen: Die Grünen sind die stärkste politische Kraft im Meraner Gemeinderat und wir sind mit unseren Bündnispartnern – dem PD und den Ökosozialen – auch das stärkste Bündnis im Gemeinderat. Ich glaube, dass Paul Rösch zusammen mit dem gesamten Team wirklich eine tolle Wahlkampagne hingelegt hat. Wir können mit dem Ergebnis sehr zufrieden sein.

Trotzdem: Die Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten fiel noch vor einem Jahr für die Grünen aus. Das Ergebnis hat sich gedreht. Können Sie hier bereits einige Gründe für diese Niederlage erkennen?

Heute ist Montag… (lacht). Wir haben uns die Zahlen noch nicht im Detail angeschaut. Wir können im Laufe der nächsten Tage darüber diskutieren, aber wir sind heute noch nicht so weit, erklären zu können, warum 100 Stimmen gefehlt haben.

 

Ihre eigene Kandidatur als Bürgermeisterkandidatin der Grünen war lange im Raum gestanden. Zudem kommt: Sie waren nicht nur die meistgewählte Kandidatin Ihrer eigenen Liste, sondern jene mit den meisten Vorzugsstimmen überhaupt. Im Nachhinein ist natürlich alles leichter – aber: Hätten die Grünen die Kandidatur einer jungen, grünen Bürgermeisterkandidatin riskieren sollen?

Nein, ich finde Paul Rösch hat die ganze Sache wirklich großartig gemacht. Er hat fast 7.000 Stimmen für sich vereinen können. Das ist eine großartige Leistung. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Strategie genau die richtige war und dass Paul Rösch der richtige Kandidat für diese Wahl gewesen ist. Er hat zwei Mal hintereinander die Bürgermeisterwahl gewinnen können und hat von der ersten auf die zweite Wahl sogar an Konsens zugelegt. Und bei dieser dritten Wahl ist der Konsens sogar nochmals gestiegen! Das muss man sich vor Augen halten. Paul Rösch vor diesem Hintergrund nicht als Bürgermeisterkandidat aufzustellen entspricht nicht unserem Verständnis von Demokratie.

Es klingt beinahe so, als hätte man sich im grünen Lager überhaupt nichts vorzuwerfen. Womit sind Sie denn nicht zufrieden?

Damit, dass wir nicht gewonnen haben! Es ist wirklich sehr schade, dass wir diese Wahl verloren haben. Wir warten jetzt natürlich auf die Einladung von Dario Dal Medico an den Koalitionsgesprächen teilzunehmen, aber Dal Medico scheint seinen Wunschpartner in der Volkspartei zu finden, die eigentlich die Wahlen verloren hat.

Bevor wir über mögliche Koalitionen sprechen…

Warten Sie, der Punkt ist wichtig. Wir sind die größte Partei und haben auch die Person mit den meisten Vorzugsstimmen. Aber Dal Medico will eine Koalition mit der Volkspartei schließen; für ihn sind die Grünen das Reserverad. Nur dann, wenn er sich mit der SVP nicht einig wird, wird er ernsthafte Gespräche mit den Grünen in Erwägung ziehen.

Überrascht Sie das?

Nein, aber wenn Sie mich fragen, womit ich nicht zufrieden bin, so ist es erstens damit, dass wir die Wahlen um 100 Stimmen verloren haben. Und zweitens bin ich nicht glücklich, dass sich die Hälfte der Stadt für eine sozial-ökologische Stadt entschieden hat und diese Hälfte des Elektorats allem Anschein nach nicht miteinbezogen werden wird.

 

Bei der Stichwahl ging es auch um große wirtschaftliche Interessen.

 

Fakt ist, dass die Grünen – trotz der Unterstützung von PD und 5 Stelle – sich auf italienischer Seite sehr schwergetan haben, Stimmen zu holen. Was hätte man hier anders machen müssen?

Ich glaube, man muss hier den ersten Wahlgang von den Stichwahlen trennen. Beim ersten Wahlgang haben wir von zehn Mandaten zwei mit italienischsprachigen Kandidaten besetzen können. Und durch die Stimmen des PD haben wir zwei weitere Kandidaten der italienischen Sprachgruppe in unserem Bündnis. Trotzdem: Bei den Frauen und Männern haben wir inzwischen ein ausgeglichenes Verhältnis geschaffen, aber bei der Sprachgruppenzugehörigkeit ist uns das noch nicht gelungen. Wir sind von einer deutsch-italienisch ausgeglichenen Liste noch weit entfernt.

Was fehlt hier, um das zu erreichen?

Wir werden noch stärker versuchen müssen, einzelne Themen aus der Perspektive beider Seiten zu durchleuchten. Wir sind keine Partei, die die Interessen einer Sprachgruppe vertritt und diese dann mit ihrem Gegenüber verhandelt, sondern versuchen, die Interessen innerhalb unserer Bewegung zu vereinen. Fünf Jahre sind dafür natürlich nicht genug, aber wir haben während unserer Amtszeit erste Bausteine für ein gemeinsames Zusammenleben gelegt. Zum Beispiel: Unsere Vorgängerregierung hatte eine deutschsprachige Musikschule beschlossen. Wir haben es geschafft, in Meran auch eine italienische Musikschule zu errichten – und zwar in einem deutschsprachigen Teil der Stadt. Ein anderes Beispiel ist der Bibliotheksrat, der während unserer Amtszeit sprachübergreifend zusammengearbeitet hat. Vorher gab es den deutschsprachigen und den italienischsprachigen Bibliotheksrat; man grüßte sich – aber damit hörte die Zusammenarbeit auch schon auf. Wir haben also bereits Initiativen in die Wege geleitet, aber es braucht Zeit, damit diese Zusammenarbeit zwischen deutschsprachigen und italienischsprachigen Personen auch sichtbar wird.

Das heißt, was fehlt, ist die Sichtbarkeit der verschiedenen Initiativen?

Genau.

Bei der Stichwahl hat man natürlich vor allem auf die Stimmen der SVP-Wähler*innen zählen müssen. Warum haben es die Grünen nicht geschafft, die SVP-Wählerinnen und Wähler auf die grüne Seite zu ziehen?

Unser politisches Angebot ist eine Wertegemeinschaft. Deshalb sind wir auch das Bündnis mit dem PD, den Ökosozialen, dem Movimento 5 Stelle eingegangen. Bei der Stichwahl kamen hingegen die großen wirtschaftlichen Interessen zum Ausdruck. Ein Beispiel: In der Wahlsektion 24 am Brunnenplatz hat die Interessensgemeinschaft um Dal Medico im ersten Wahlgang 80 Stimmen erhalten. Rechnet man die Stimmen von Fratelli d’Italia und Lega dazu, hätte er in der Stichwahl 85 Stimmen bekommen sollen. Geschafft hat er aber 219 Stimmen. Oder in der Karl-Wolf Straße in der Sektion 8. Dal Medico hatte im ersten Wahlgang gemeinsam mit Fratelli d’Italia und Lega 227 Stimmen. In der Stichwahl hat er aber 248 Stimmen erhalten. Ein Teil der SVP hat also rechts gewählt bzw. es geht um starke wirtschaftliche Interessen.

Das heißt?

Es geht vor allem um das Gemeindeentwicklungsprogramm: Abgrenzung des Ortskerns und damit Ausweisung der bebaubaren Flächen, Ensembleschutz, Erhalt von Grünflächen… Diesbezüglich haben wir uns in den letzten Jahren immer sehr für einen Schutz der Landschaft und für einen Erhalt des landwirtschaftlichen Grüns ausgesprochen, wie zum Beispiel, dass neben dem Schloss Pienzenau kein neues Hotel auf der grünen Wiese gebaut wird.

 

Wenn wir gewonnen hätten, hätten wir uns für eine Große Koalition ausgesprochen.

 

Nochmals zu den Koalitionen. Sie haben vorhin bereits angesprochen, dass Dario Dal Medico seinen Wunschpartner mit großer Wahrscheinlichkeit in der SVP finden wird. Sie selbst wären für eine Große Koalition?

Wenn wir gewonnen hätten, hätten wir uns für eine Große Koalition ausgesprochen.

Nun ist das nicht der Fall. Ziehen Sie jetzt in die Opposition?

Ich kann nicht für Dario Dal Medico entscheiden, wie er seine Koalition formen wird. Das liegt in seiner Hand. Wir sind für Gespräche offen. Für uns ist es aber wichtig, eine sozial-ökologische Politik in den Mittelpunkt zu stellen.

Ansonsten werden sich die Grünen mit der Opposition abfinden müssen. Was heißt das konkret für die nächsten dreieinhalb Jahre?

Dass wir aus der Opposition heraus konstruktive Vorschläge zu sozialen und ökologischen Themen einbringen und so verschiedene Projekte weiterbringen können.

Und in dreieinhalb Jahren – werden Sie selbst für das Amt der Bürgermeisterin kandidieren?

Wie gesagt, heute ist Montag (lacht) und dreieinhalb Jahre sind eine sehr, sehr lange Zeit.

 

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Bernd Schuster Mar, 10/26/2021 - 08:09

"Es klingt beinahe so, als hätte man sich im grünen Lager überhaupt nichts vorzuwerfen. Womit sind Sie denn nicht zufrieden?
Rohrer: Damit, dass wir nicht gewonnen haben!"

Das sagt schon alles! Alle anderen sind Schuld! Die svp, die Wirtschaft, die Wähler haben falsch gewählt. So überheblich habe ich die Grünen im letzten Jahr wahrgenommen.
Vielleicht an die eigene Nase fassen und weniger andere verantwortlich machen hilft vielleicht.

Mar, 10/26/2021 - 08:09 Collegamento permanente
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Herta Abram Mar, 10/26/2021 - 09:20

Die Stadt und die heranwachsende Generation von Meran hat großes Glück, Menschen wie Madeleine Rohrer in Ihren Reihen zu haben, welche sich für zukunftsfähige politische Gestaltung engagieren.
Weil:
Wir leben in der Klimakrise. Dies darf nicht aus den Köpfen (der nun-Macht-Partei) verschwinden! Weil dies das Problem der Menschheit in den nächsten Jahrzehnten ist. Niemand kann daran vorbei, niemand es nicht ignorieren. Jeder Politiker und jede Politikerin muss sich in Zukunft an diesem Problem messen lassen.

Mar, 10/26/2021 - 09:20 Collegamento permanente