Die Schattenseiten der Modernisierung
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In dieser Folge zu Gast sind die aus Bozen stammende und in London lebende Historikerin Alice Riegler sowie der Schweizer Umwelthistoriker Sebastian De Pretto. Die beiden haben vor Kurzem ein Themenheft der Zeitschrift „Geschichte und Region/Storia e regione“ herausgegeben, das sich der Modernisierung und den Ressourcen in den Alpen widmet. Darin zeigen sechs historische Fallstudien auf, wie im 19. und 20. Jahrhundert im Alpenraum allmählich ein Modernisierungsprozess eingesetzt hat und wie die Menschen vor Ort davon betroffen waren.
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Cover des Heftes „Die Alpen: Modernisierung und Ressoursen“, dem Themenheft der Zeitschrift „Geschichte und Region/Storia e regione“. Foto: Geschichte und Region / Storia e regioneMit den Modernisierungstendenzen ging in verschiedenen Bereichen ein Infrastrukturausbau einher, so wurden etwas Wasserkraftwerke errichtet, Elektrizitätsnetze ausgeweitet, der Ausbau von Transitwege geplant. In verschiedenen Regionen des Alpenraums, von der Schweiz über das Sarntal bis in die Krain im heutigen Slowenien, wurden Ressourcen wie Holz, Wasser und Bodenschätze zunehmend erschlossen, abgebaut und genutzt – vor allem, um Kapital daraus zu schlagen.
Diese Entwicklungen führten zu tiefgreifenden Veränderungen, nicht nur in der Landschaftsform, sondern vor allem in den lokalen Gesellschaften. Dabei waren die Auswirkungen bei weitem nicht nur positiv: Für viele, in den Alpenregionen lebende Menschen führten diese Modernisierungen zum Verlust ihrer Existenzgrundlagen, da zum Beispiel traditionelle Produktionsweisen nun verdrängt wurden. Bisweilen konnte die (Fehl)Konstruktion solcher modernen Infrastrukturen in einer regelrechten Katastrophe enden wie etwa im Fall des Stausees Vajont: 1963 kamen aufgrund eines Bergrutsches und der dadurch ausgelösten Flutwelle – Folgen des Staudammbau – 2000 Menschen ums Leben.
Das was heute als „grün“, „natürlich“ oder „schön“ gilt unterliegt selbst einer ständigen Veränderung.
Um ebensolche Ambivalenzen in der Geschichte der Modernisierung geht es in der dritten Folge von Shifting Borders Podcasts, wie auch um den Wandel von Mensch und Natur. Dabei zeigt sich auch hier, wie der Blick zurück in die Vergangenheit neue Sichtweisen auf die Gegenwart eröffnet: Das was heute als „grün“, „natürlich“ oder „schön“ gilt unterliegt selbst einer ständigen Veränderung. Ein treffendes Beispiel dafür ist der aus dem Reschensee herausragende Kirchturm: Einst Symbol für das Trauma einer ganzen Gemeinde und für die rücksichtslose Ausbeutung der Natur ist er mittlerweile zu einem weltweit berühmten und beliebten, geradezu idyllischen Selfie-Motiv avanciert. Ähnliche Widersprüche zeigen sich im Ausbau der Wintersportgebiete: Infrastruktur, die im sommerlichen Grün das Betrachten eines unberührten alpinen Landschaftsbildes stört, mutiert im winterlichen Weiß zur unabdingbaren Voraussetzung für touristische Naturerlebnisse.
„Shifting Borders“: Ein zweisprachiger Podcast von „Geschichte und Region/Storia e regione“ und das Center for Autonomy Experience der EURAC Research – ein gemeinsames Projekt, das historische Grenzen erkunden will. Foto: Shifting BordersDie dritte Folge von Shifting Borders, einem Podcast von “Geschichte und Region/Storia e regione” und dem Center for Autonomy Experience der EURAC, ist online und kann hier gehört werden.
Unter demselben Link kann auch die erste Folge mit Hans Heiss und Giuseppe Albertoni über die Herausforderungen für die Geschichte im Südtiroler der 1990er Jahre oder jene mit Siglinde Clementi und Lisa Settari über die Frauen- und Geschlechtergeschichte nachgehört werden. Die nächsten Folgen erscheinen im Zwei-Wochen-Takt am 5. und 19. November.
Alice Riegler arbeitet in London für das Leo-Baeck-Institut, das sich der Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart widmet. Alice Riegler studierte Geschichte in Florenz und promovierte am University College London.
Sebastian De Pretto ist Senior Scientist an der Abteilung für Wirtschaft, Sozial und Umweltgeschichte der Universität Bern. Zur Zeit erforscht er die Entwicklung der Wasserkraftwerke in den Alpen. Zuvor Für beschäftigte er sich mit der Südtiroler Erinnerungsgeschichte des Abessinienkrieges und hat dazu ein Buch mit dem Titel „Im Kampf um Geschichte(n)“ veröffentlicht. Hier die Rezension von Gerald Steinacher in „Geschichte und Region/Storia e Regione“
Mehr Infos: Hier
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