Società | Öffentliches Leben

„Recht auf Stadt“

Eine weltweite Protestbewegung gegen den Ausschluss von städtischen Ressourcen und für Mitbestimmung.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Recht auf Stadt Graffiti
Foto: Lichtenbergcontamporary.com

Schon sehr lange haben Menschen den Wunsch über die Gestaltung ihres Lebensraums mitbestimmen zu dürfen. Dies scheint jedoch auch in demokratischen Gesellschaften wie Südtirol nur bedingt der Fall zu sein. Es stellen sich daher die Fragen: Wer darf eigentlich mitbestimmen? Werden manche Bevölkerungsgruppen von den Entscheidungen ausgeschlossen? Haben alle Teil am kulturellen Mehrwert des Städtischen? Inwiefern werden die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen in den modernen Stadtplanungsprozessen mit eingebunden?

„Stadt“ deshalb, weil vor allem in Städten, aufgrund der höheren Bevölkerungsdichte, die meisten Konflikte entstehen. Viele der im Folgenden genannten Aspekte lassen sich jedoch auch auf die Dorfpolitik beziehen.

„Recht auf Stadt“ wurde einst von dem Soziologen Henri Lefebvre geprägt. Als weltweiter Slogan aufgegriffen, und überdies sehr vieldeutig, ist er nicht als ein Konzept zu verstehen, sondern bündelt je nach Ort und Situation verschiedenste Konfliktpunkte und Menschengruppen zu einer Protestbewegung; meist als Gegenposition zur neoliberalen unternehmerischen Stadtpolitik. Recht auf Stadt greift dabei nicht nur Konflikte um Raum auf, sondern fordert auch, in Debatten für dessen Nutzung, die Möglichkeit zur partizipativen Teilnahme aller Interessensgruppen.

Schon seit den 60ern lehnten sich weltweit Teile der Bevölkerung gegen ihre Benachteiligung im Zugang zu städtischen Ressourcen auf. In den damaligen Industriegesellschaften, welche durch Ghettobildung und damit häufig einhergehenden Ausschluss vom Zugang zu Erstversorgung und Bildung gekennzeichnet waren, zeigten sich andere Missstände als heute. Marginalisierte Arbeiterfamilien wohnten meist direkt an den Produktionsstätten und weit entfernt vom Stadtzentrum mit Versorgungs- und Kulturangeboten.

Heute ist die Ungleichheit anderer Natur. Durch die fast ausschließlich neoliberalen und marktorientierten Stadtplanungsbestrebungen, immer mit dem Fokus auf prognostizierte Wertschöpfungsketten, bleiben große Teile der Bevölkerung oft die Verlierer solcher Bemühungen.

Dabei scheinen Städte heute global im kontinuierlichen Wettbewerb um Wirtschaftsstandorte und Tourismusdestinationen zu stehen. Nach wie vor werden öffentliche Gelder für die lukrativsten Projekte wie Shopping malls oder Touristenattraktionen verplant. Für Projekte, welche dem Gemeinwohl dienen, fallen Fördermittel oft nur sehr gering aus. Zudem lassen sich europaweit Gentrifizierungstendenzen beobachten. Stadtteile werden neu geplant, „aufgewertet“ und fallen anschließend Immobilienspekulanten in die Hände. Durch die steigenden Miet- und Wohnungspreise wird die Bevölkerung aus diesen Vierteln verdrängt. So bessern diese Prozesse zwar kurzfristig den Finanzhaushalt gewinnbringend auf, jedoch entstehen langfristig enorme soziale Probleme und Konflikte durch Segregation. Nicht zuletzt hat dies auch ökonomische Folgen.   

Auf Südtirol bezogen, gibt es hier zwar keine enormen Ballungszentren, in denen marginalisierte Schichten an die Peripherie gedrängt werden. Hier ist aber dennoch ein Raumproblem zu erkennen, welches sich schlichtweg am begrenzten Vorhandensein von bebaubarem Raum kennzeichnet und damit einhergehend steigenden Immobilienpreisen. Dazu kommt noch der starke Faktor Tourismus, welcher als Totschlagargument in jeder Planungsdebatte um öffentlichen Raum gilt. Ob es um die Nutzung des Brixner Hofburggartens oder die Gestaltung des Bozner Bahnhofareals geht. Immer ist die treibende Kraft das Argument der finanziellen Wertschöpfung.

So ist in den vergangenen Dekaden auch ein sukzessiver Rückgang von kulturellen Angeboten für Jugendliche zu beobachten. Ein Musikfestival nach dem anderen hört mit seiner Tätigkeit auf, da es ihnen durch immer strenger werdende Auflagen erschwert wird und die finanziellen Unterstützungen nicht ausreichen. Gleichzeitig nehmen Feste für touristische Marketingzwecke, vom Strudel-, Apfel- über Speck- bis zum Traubenfest zu. Ja, sogar zur Zeiten der Pandemie wurden die Weihnachtsmärkte beinahe durchgeführt.

Südtirols Städte aber auch Dörfer sind in ihren Zentren außerhalb der Tourismushauptsaisonen oft leer und wirken wie ausgestorben. Das liegt daran, dass Stadtzentren in ihren Funktionen planerisch für den Tourismus und den Einkauf reserviert wurden. Soziologen weisen dabei schon seit längerem auf die Wichtigkeit von gemischten Funktionen der Innenstädte hin. So kann auf eine Ausgewogenheit von Geschäften, Nachtlokalen, Cafés, Kulturangeboten, Jugendzentren, öffentlich zugängliche Plätze, Gärten, Kunstgalerien, sowie Wohnungsraum geachtet werden. Damit werden Innenstädte zu jeder Tages- und Jahreszeit optimaler genutzt, wirken authentischer, belebter und helfen auch dem gesellschaftlichen Zusammenhalt unterschiedlichster Bevölkerungsgruppen. Wichtig ist hierbei anzumerken, dass es von enormen Wert ist, durch Stadtplanung Differenzerfahrung zu ermöglichen, das heißt in Bozen beispielsweise, strategisch Orte zu schaffen an denen italienisch- und deutschsprachige, sowie Menschen unterschiedlicher Generationen und mit Migrationshintergrund sich zwangsläufig begegnen und so ein besseres Miteinander und Integration stattfinden kann. Dieser Wert scheint in Südtirol noch nicht erkannt zu sein.

Selbstverständlich ist der Tourismus ein äußerst wichtiger Sektor für Südtirol und soll auch umfassend gefördert werden. Soll er aber fast ausschließlich, in jeder Frage und vor allem zu jedem Preis berücksichtigt werden? Wenn dem so ist, spiegelt dies eine sehr einseitige und beschränkte Sicht politischen Handelns wieder.

„Recht auf Stadt“ stellt sich hier gegen den Ausschluss von städtischen Ressourcen sowie auch für die Teilhabe am schöpferischen Mehrwert der Stadt. Am Beispiel von Kulturschaffenden könnte man sich fragen, inwiefern diese enger in den Prozess symbolischer Aufwertung von Raum einbezogen werden können und dadurch indirekt am schöpferischen Mehrwert teilhaben; konkret beispielsweise öffentliche Gestaltungsprojekte vermehrt an lokale Künstler zu vergeben.

Erst wenn die Verlierer neoliberaler Entwicklungen mit einbezogen werden, wird das „Recht auf Stadt“ ernstnehmend wahrgenommen.

Es muss gesagt werden, dass es manche Bemühungen und Einsichten dahingehend bereits gibt. Viele tolle und zukunftsweisende Projekte gibt es bereits. Diese sind meist aus Eigeninitiative entstanden und müssen vernetzt, gefördert und kommuniziert werden. Dazu mehr im dritten Teil.

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Walter Kircher Ven, 04/02/2021 - 08:33

... DANK und Anerkennung dem Autor Daniel Schatzer, - dem Skilehrer und Bildungsmann!
Er hat viel Grundsätzliches angesprochen was zum "Gemeinwesen-Stadt" - besprochen und damit "zur Besinnung" gebracht werden muss!
Im Falle von Brixen, aber auch anderer Städte gibt es vieles aufzuholen!
- Medienwirksame Aktionen werden immer wieder inszeniert um von wahrhaftiger Bürgerbeteiligung abzulenken!
In Zuversicht, dass sich jüngere Generationen zunehmend und angemessen Gehör verschaffen, wünsche ich Daniel Schatzer viele Lesende und Mitdenkende und damit eine neue und vernehmbare Bürgerschaft - welche Beteiligung fordert!

Ven, 04/02/2021 - 08:33 Collegamento permanente