Società | Nachruf

Sandrino roll on!

Im Gedenken an einen Menschen, der vorgemacht hat, wie man auch nach einem schweren Schicksalsschlag in Würde leben kann. Alessandro Freina (1956 – 2023).
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Foto: Privat
Es ist über 35 Jahre her. Da habe ich ihn zu ersten Mal wahrgenommen.
Die „Bar Urban“ in der Bozner Quireinerstraße war damals eine Art Insel des anderen Südtirol. Geführt von Verena Trenner und Marko Brecelj, die inzwischen seit Jahrzehnten äußerst erfolgreich das Nadamas am Bozner Obstmarkt betreiben.
Alessandro Freina, den alle nur „Sandrino“ nannten, gehörte dort zur fixen Belegschaft. Der kleine Mann im Rollstuhl fiel schnell auf. Vor allem, weil er eine Lebensfreude versprühte und eine Bestimmtheit, sich nicht bemitleiden zu lassen. Sandro zeigte mit jeder Phase seine Körpers, dass er allein, selbstbestimmt und autonom leben wollte und konnte. Wer ihm auch nur über die paar Stufen ins Lokal helfen wollte, erntete meistens einen strengen, aber eindeutigen Blick: Nein, danke.
Es gab in alle diesen Jahren nur ganz wenige Momente, wo sich Sandro helfen ließ. „Ich habe das, was mir passiert ist, selbst verschuldet“, sagt er, „deshalb muss und kann ich das jetzt auch selbst ausbaden“. Es war kein Jammern, sondern ein Statement seines Seins.
 
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Sandro zeigte mit jeder Phase seine Körpers, dass er allein, selbstbestimmt und autonom leben wollte und konnte.
 
Alessandro Freina ist zusammen mit seiner Schwester Annamaria in Bozen geboren, dann ist die gesamte Familie aber für einige Jahre nach Australien ausgewandert. Nach der Rückkehr der Familie nach Bozen war Sandrino Teil der Südtiroler Linken. Er studierte in Bologna, engagierte sich im Südtiroler Kulturzentrum und führte jahrelang in seiner Wohnung eine Mittagsmensa für Freunde und Freundinnen, die zumeist als Lehrpersonen arbeiteten.
1981 dann ein Unfall. Sandro wohnte damals in einem Altbau in der Bozner Erbsengasse. Gegenüber dem „Holler“, das es so auch nicht mehr gibt. Mansardenwohnung im vierten Stock. Weil es in die Wohnung regnete, wollte Sandro aufs Dach, um das Leck abzudichten. Es schneite und war glitschig. Er rutschte aus und fiel in die Tiefe. Sein Glück im Unglück: Er schlug im zweiten Stock auf einem Vordach auf, das seinen Fall bremste und ihm mit größter Wahrscheinlichkeit das Leben rettete. Doch er brach sich das Genick und war seitdem an den Rollstuhl gefesselt.
 
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Danach lebte er über 40 Jahre lang allein in verschiedenen Wohnungen. „Für ihn war das Wichtigste, nicht abhängig von der Hilfe anderer zu sein“, sagt seine Schwester Annamaria. Sandro wollte selbstbestimmt leben. Er ließ sich nicht helfen, dafür half er anderen. Vielen, die im Leben gestrauchelt waren, gab er Halt, ohne es an die große Glocke zu hängen.
Es war für ihn wichtig, bis zum Schluss selbst Autofahren zu können. Und er war meistens zur Stelle, wenn jemand nach Berlin oder nach Rom musste. Dann bot er sich als Fahrer an.
Eine seiner Leidenschaften war das Fotografieren. Schwarz-weiß. Ich sehe ihn noch heute, wie er durch die Linse äugte und scharf stellte, um diskret einen Schnappschuss zu machen. Trotz seines körperlichen Handicaps war er oft und ausgiebig auf Reisen. Südafrika, Kuba und Argentinien waren nur einige seiner Ziele.
Lange Zeit liefen wir uns fast täglich über den Weg. In den letzten Jahren hatten wir andere Tagesabläufe, und weil ich ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen hatte, fragte ich bei einem Freund nach. Die Auskunft: Er habe gesundheitliche Probleme.
Vor vier Wochen sehe ihn dann vor dem Nadamas. Wir winken uns von Weitem zu. Und er setzt das für ihn so typische schelmische Grinsen auf. Es ist das Bild von ihm, das ich im Gedächtnis behalten will. Sandrino roll on!
Alessandro Freina ist am 23. Juni verstorben.
Familie und Freunde verabschieden sich am Mittwoch, den 28. Juni um 10.20 Uhr in der Abschiedshalle am Krematorium des Bozner Friedhofs von Sandrino.
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