Cultura | Salto Weekend

Brüllende Löwen und fehlende Stars

Ab dem 30. August wird in Venedig wieder dem Kino gehuldigt. Was das Publikum erwartet, wer sich in die Lagune verirrt, und was die Krise des Kinos damit zu tun hat.
Filmfestspiele Venedig
Foto: Biennale

Es sind stürmische Zeiten, in denen die diesjährige Biennale di Venezia stattfindet, insbesondere für die Sektion Kino. Einerseits nährten jüngste Blockbustererfolge an den Kinokassen die Hoffnung, dass doch nicht alles verloren sei, dass die Menschen dem Gang in die dunklen Säle noch nicht völlig abgeneigt sind, was die Kassenerfolge von „Barbie“ oder „Oppenheimer“ über die Wirkkraft des internationalen Autorenkinos aussagen, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Dass es sie weiterhin gibt, dass die kleinen und größeren Perlen auch in Zeiten der Krise weiterhin das (Projektor)-Licht der Welt erblicken, ist nicht zuletzt den Filmfestivals zu verdanken. Cannes, Berlin, und natürlich Venedig, das seit einigen Jahren als das „amerikanische“ Festival innerhalb Europas gilt. Nicht nur positiv ist das gemeint, eine Anbiederung an die amerikanischen Studios, vor allem aber an die Streaming-Riesen wie Netflix oder Amazon, die etwa in Cannes eher verschmäht als geliebt werden, sei zu erkennen. Und tatsächlich feierten durchaus eine große Anzahl amerikanischer Produktionen der letzten Jahre in Venedig Premiere, von wo aus sie ihren Siegeszug in Sachen Auszeichnungen fortsetzten, bis zum selbsternannten „Höhepunkt“ im Februar oder März, den Oscars.
 

Vor allem die Stars werden also fehlen, wenn in Venedig der rote Teppich ausgerollt wird.


Wenn am 30. August die 80. Festspiele beginnen, findet sich jene amerikanische Branche inmitten heftiger Streitereien wieder. Die anhaltenden Streiks der Autor*innen- und Schauspieler*innengewerkschaften legen große Teile des US-amerikanischen Filmbetriebs lahm. Nur wenige Studios haben sich den Forderungen der Gewerkschaften mittlerweile gebeugt, unter anderem das renommierte Independent-Studio „A24“, das für viele sehr gut besprochene Filme der letzten Jahre verantwortlich war. Die großen Platzhirsche wie Disney, Warner oder Universal schweigen sich hingegen an, oder unterbreiten, wie jüngst, halbgare Angebote. Das Resultat des Streiks äußert sich einerseits in stillgelegter Produktion, andererseits ist es vielen Autor*innen und Schauspieler*innen von den Gewerkschaften schlicht untersagt, bei Premieren oder anderen Promo-Auftritten dabei zu sein. Vor allem die Stars werden also fehlen, wenn in Venedig der rote Teppich ausgerollt wird. Das ist für das Festival schädlicher als für die Stars, wenngleich es in einer ernsthaften, cineastischen Welt natürlich nicht um Glitzer und Glamour gehen sollte, nicht zuallererst, zumindest. Doch ein Festival wie das unter der Leitung von Alberto Barbera ist in gewisser Weise auch abhängig von den Stars. Sie bringen Presse, sie bringen Aufmerksamkeit. Ihre Bilder gehen um die Welt, in ihren Roben und Anzügen und gewagten Outfits.

 

Der diesjährige Jury-Präsident Damien Chazelle.
Goldene Löwen-Jury: Der diesjährige Jury-Präsident Damien Chazelle.

 

Diese Oberflächlichkeiten beiseitegeschoben bleibt zu fragen: Was läuft in Venedig? Wie gehabt gibt es den Wettbewerb und zahlreiche Nebensektionen. Der US-Amerikaner Damien Chazelle, Regisseur von „La La Land“, „Whiplash“, oder zuletzt „Babylon“ fungiert in diesem Jahr als Jury-Präsident, ihm zur Seite stehen unter anderem Jane Campion, Martin McDonagh, Laura Poitras oder Mia Hansen-Løve. Sie entscheiden über die 23 Wettbewerbsfilme, unter denen sich sowohl bekannte, wie auch weniger bekannte Namen tummeln. Zu den Platzhirschen gehören sicherlich die neuen Filme von Ryūsuke Hamaguchi (mit „Evil Does Not Exist“), Pablo Larraín (mit „El Conde“), Luc Besson (mit „Dogman“), Michael Mann (mit „Ferrari“), David Fincher (mit „The Killer“), Sofia Coppola (mit „Priscilla), Ava DuVernay (mit „Origin“), Giorgos Lanthimos (mit „Poor Things“) oder Bradley Cooper (mit „Maestro“). Außer Konkurrenz laufen neue Filme von Woody Allen, Richard Linklater, Roman Polanski, Wes Anderson und dem jüngst verstorbenen William Friedkin. Es fehlt also nicht an aufregenden Namen, vielleicht der großen etwas zu vieler, vielleicht wäre mehr Platz für unbekannte Namen wünschenswert. Für 10 Tage wird es in Venedig wieder viel zum Schauen geben, zum Staunen, Freuen, Ärgern. Alles kommt dem Kino als Medium zugute, also ist alles eine willkommene Reaktion. Wer die begehrten Goldenen Löwen erhält, klärt sich am 9. September.