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Politica | Zoom
Die verletzte Sau
"Matteo Renzi gebärdet sich wie eine verletzte Sau". Ein Blatt hat sich Beppe Grillo noch nie vor den Mund genommen.
Doch was sich der Gründer der Fünfsterne-Bewegung in diesen Tagen im Referendums-Wahlkampf leistet, ist durchaus rekordverdächtig: ein Premier als Massenmörder. "Abbiamo di fronte dei serial killer, persone che vogliono attentare alla vita dei nostri figli tra 20 anni." Damit nicht genug: "Siamo oltre la dittatura." Grillo beschimpft Renzi schließlich als "minorato morale travestito da presidente del consiglio con protesi golpiste."
Ein hysterisches, für die Zukunft der Demokratie durchaus bedenkliches Vokabular. Aus dem Mund eines Parteiführers, dessen Bewegung eine neue politica dell'onestà verspricht und gleichzeitig wegen Fälschung der Unterschriften bei den Wahlen in Palermo und Bologna massiv unter Druck steht.
„Ein hysterisches, für die Zukunft der Demokratie durchaus bedenkliches Vokabular.“
Der Wahlkampf für das Referendum ist längst aus dem Ruder gelaufen. Entartet zu einer Schlammschlacht, die die italienische Pathologie politischen Dauer-Hickhacks offenlegt. Beobachtern zeigt sich ein von Propaganda, Beleidigungen und Tiefschlägen gekennzeichnetes Schlachtfeld.
Allabendlich treten an den Fernsehschirmen der Nation stattsam bekannte Gesichter zum Schlagabtausch an. Die Wiederauferstehung der ersten Republik scheint längst vollzogen. An der Front stehen etliche, die an der Misere dieses Landes ein gerütteltes Mass an Schuld tragen: D'Alema, Berlusconi, Brunetta, De Mita, Cicchitto...
"Sono ancora qui, nonostante tutto che mi è stato fatto", lächelt Silvio Berlusconi bei Bruno Vespa - nicht in der Rolle des Täters, sondern des vermeintlichen Opfers. Das Fernsehen wird zum Kampfplatz müder Helden. Renzi irrlichtert im gewohnt weißen Hemd durch TV-Studios und Sporthallen, hastet von der Erdbebenzone ins Überschwemmungsgebiet. Verspricht Hilfe und wirbt um Ja-Stimmen, bevor er zur nächsten Arena weiterzieht. Für den Fall einer Niederlage kündigt der Regierungschef seinen Rückzug aus der Politik an. Ob er sein Wort hält, bleibt abzuwarten. Fast täglich wird der Premier von seinem Parteigenossen Massimo D'Alema attackiert, der sich "nach diesem Wahlkampf endgültig aus der Politik zurückziehen" will - nach 53 -jähriger, kaum von nennenswerten Erfolgen gekrönten Laufbahn. Dass ein ehemaliger Parteichef einen vehementen Wahlkampf gegen den eigenen Vorsitzenden führt, ist ein in der EU einmaliger Vorgang und unterstreicht die Anomalien italienischer Politik.
Der 91-jährige Giorgio Napolitano hat in seiner langen politischen Laufbahn viele Wahlkämpfe erlebt. Aber keinen solchen.
"Imbarazzante" sei das politische Schlachtfeld, versichert der ehemalige Staatschef, der vergeblich zur Besonnenheit aufruft.
Berlusconi versucht zu erklären, warum er für das Nein eintritt, aber die Manager seines Großunternehmens Mediaset für das Ja. Bizarr genug.
Nachdem Italien 63 Regierungen in 70 Jahren verheizt hat, bekriegt sich die streitsüchtige Politik wegen einer gewohnt verschnörkelten Verfassungsreform, die ein Großteil der Bürger nie gelesen hat und nie lesen wird.
Nur in einem Punkt sind sich geifernde Selbstdarsteller wie Grillo, Salvini, D'Alema und Brunetta einig - in der Forderung nach sofortigen Neuwahlen - seit jeher probates Patentrezept zur Lösung politischer Probleme in einem Land, in dem die stärkste Partei kaum 30 Prozent erreicht. Und in dessen Parlament sich die Zahl der Fraktionen seit der letzten Wahl vervielfacht hat.
Auf die Plätze des Landes getraut sich freilich kaum jemand. Weil er dort von frustrierten Wählern alleine gelassen würde. Die wenigen öffentlichen Wahlveranstaltungen finden in Hotels oder Vereinssälen statt - meist vor spärlichem Publikum. Und vor allem an den Bildschirmen, wo sich immer dieselben Selbstdarsteller ungestört austoben können. Für Giancarlo Luciani, den Präsidenten der Partisanenvereigung Anpi von Latina, ist Renzi "schlimmer als der Duce". Für seinen Parteikollegen Miguel Gotor ist er "ein kleiner De Gaulle, der Milionen Wähler beleidigt" . Paolo Flores D'Arcais rückt ihn in die Nähe Putins. Renzi wiederum sieht sich als Opfer einer "accozzaglia", einer unheiligen Allianz, die er auf seinen Slides fotografisch festhält: Dini, Grillo, Zagrebelsky, De Mita, D'Alema.. Das wiederum wertet Forza Italia-Sprecher Brunetta als "roba da ventennio fascista." Kampaniens Präsident Vincenzo De Luca rühmt sich, 200 Bürgermeister zum Stimmenfang verpflichtet zu haben: " Vi piace Renzi, non vi piace, non me ne fotte un cazzo. Quel che importa é il risultato elettorale."
„Doch im Tollhaus italienischer Politik darf kein Tag ohne gekünstelte Aufregung vergehen.“
Nachdem im Vorfeld alle gerichtlichen Schritte gegen die Volkabstimmung gescheitert sind, erwägt das Comitato per il No nun eine Klage nachher. Siegen die Ja-Stimmen, soll das Ergebnis wegen "Unregelmäßigkeiten im Ausland" angefochten werden. In einer britischen Wahlkabine hat sich Flavio Briatore mit dem Handy fotografiert - mit einem Ja-Stimmzettel in der erhobenen Hand. Die geheime Wahl sei nicht gewährleistet, erregt sich der Präsident des Comitato per il NO, Alessandro Pace Verfassungsrechtler Pace definiert die vom Parlament verabschiedete Verfassungsreform gar als "eversiva" - ein kurioses Rechtsverständnis. Außenminister Gentiloni beruhigt: "I nostri connazionali all'Estero non sono imbroglioni."
Doch im Tollhaus italienischer Politik darf kein Tag ohne gekünstelte Aufregung vergehen. Und ohne Rückkehr zum traditionellen Angebot politischer Feilscherei. Berlusconi: "Se vince il No tratteró con Matteo". Renzi: "A quel tavolo non troverà me, ma Grillo e D'Alema."
„Nach dem in Kürze erwarteten Urteil des Europäischen Gerichts für Menschenrechte in Strassburg will Sivio Berlusconi erneut kandidieren.“
Für all jene, die glauben, das Verfassungsreferendum stelle eine Zäsur im politischen Leben Italiens dar, gab es am Samstag eine erfreuliche Neuheit. Nach dem in Kürze erwarteten Urteil des Europäischen Gerichts für Menschenrechte in Strassburg will Sivio Berlusconi erneut kandidieren: "Sono assolutamente sicuro che la corte confermerà la mia innocenza. E quindi io posso ritornare a candidarmi. In quel caso il centrodestra non avrebbe la necessità di cercare altri leader». Italia felix.
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