Tag des Gedenkens: Erinnerung an Bozens Anne Frank
„Hier wohnte Olimpia Carpi. Geboren am 27.03.1940, 1943 aus Bozen deportiert, ermordet am 7.3.1944 in Auschwitz-Birkenau“: Ein schlichter wie erschütternder Text, der ab dem kommenden Jahr auf einem so genannten Stolperstein in der Bozner Leonardo da Vinci-Straße an das jüngste Holocoaust-Opfer der Landeshauptstadt erinnern wird. Gedenktafeln aus Messing, die vor dem letzten Wohnort der Verfolgten ins Trottoir eingelassen werden: Mit dieser vom Künstler Gunter Demnig betreuten Erinnerungsaktion schließt sich die Landeshauptstadt ähnlichen Projekten in Meran, Rom und verschiedenen Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Kroatien und Luxemburg an.
Insgesamt 25 Schicksale werden damit in Bozen anlässlich des 70-jährigen Gedenkens an die Befreiung von Auschwitz im kommenden Jahr in die öffentliche Erinnerung zurückgerufen. Basis für ihre Auswahl ist eine Expertise der Historiker Sabine Mayr und Hannes Obermair, die mit Unterstützung der Jüdischen Kultusgemeinde Meran, des Jüdischen Museums Meran und der Bozner Sektion der Widerstandsvereinigung ANPI jene Opfer des NS-Regimes recherchiert haben, die vor ihrer Vertreibung und Deportation ins Konzentrationslager Bürgerinnen und Bürger der Stadt Bozen waren. Besonders beeindruckend in der Beschreibung der unterschiedlichen Lebensgeschichten ist die kürzeste von ihnen, jene von Olimpia Carpi.
„Irgendwie ist sie doch Bozens Anne Frank oder jedenfalls ihre kleinere Schwester im Geiste“, beschreibt der Leiter des Stadtarchivs Bozen Hannes Obermair das jüngste Mitglied der fünfköpfigen Familie Carpi. Ursprünglich aus Mantua stammend, hatte sich Renzo und Lucia Carpi zuerst in Innsbruck niedergelassen, wo Sohn Alberto und Tochter Germama geboren worden waren. 1933 übersiedelte die Familie nach Bozen, wo der jüdische Kaufmann in der Leonardo-da-Vinci-Straße ein Geschäft für Getreide, Mehl und Kolonialwaren eröffnete. 1940 folgte dann die Geburt von Nesthäckchen Olimpia. Nur drei Jahre später, im September 1943, wurden zuerst Vater Renzo und ihr Bruder Alberto festgenommen und im Bozner Gefängnis festgehalten. Kurze Zeit später werden auch die Frauen der Familie Opfer der Schreibtischtäter, die auch in Bozen „minutiöse Listen mit der jüdischstämmigen Bevölkerung erfassten und den Nazis somit deren Verhaftung und anschließende Ermordung erlaubten", wie es in einem Text des Stadtarchivs heißt.
Wie der Leidensweg der fünfköpfigen Familie weiterging, ist nicht detailgenau dokumentiert. Sicher ist, dass kein Familienmitglied die Deportation überlebte. Wahrscheinlich wurden sie in das Durchgangslager von Reichenau in der Nähe von Innsbruck und von dort nach Auschwitz überführt. Die noch nicht einmal vierjährige Olimpia dürfte dort wohl gleich bei ihrer Ankunft im NS-Lager „ausgesondert" und getötet worden sein, weil sie für Arbeitseinsätze nicht brauchbar war. Im Gedenkbuch „Il libro della Memoria“ von Liliana Picciotto findet sich ihre Spur wieder: Olimpia Carpi, ermordet am 7.3.1944 in Auschwitz.
„Eine von so vielen, wenigstens wissen wir ihren Namen und kennen ihr Gesicht“, schreibt Hannes Obermair in einer persönlichen Hommage an das kleine Mädchen. „Wie sie hübsch gekleidet an der Hand ihres Vaters über die Talferbrücke spaziert, als ganz kleines Mädchen, das noch so viel vor sich gehabt hätte und dann in den Mahlstrom des Todes geriet, das berührt wirklich. Ist der Holocaust schon an sich fast unbegreiflich und kaum in Worte zu fassen, so wird das bei den Kindern noch einmal gesteigert. „Aber wieso die Kinder?", wie Dostojewski einmal in den „Brüdern Karamazow" fragt. Das Böse gegenüber den Kindern wirkt noch einmal tausendfach vervielfältigt. Sinnvollerweise an einen Gott glauben kann man hernach nicht mehr.“