“Es gibt keine Gebrauchsanleitung”
Am Kronplatz hat sich Mitte vergangener Woche Denkwürdiges abgespielt. Nach ihrem 84. Weltcupsieg sprach die US-Skirennläuferin Mikaela Shiffrin im Interview mit einer ORF-Journalistin nicht nur über ihren sportlichen Erfolg. Sondern auch über ein Thema, das über die Sportwelt hinaus oft noch tabu ist: ihren Menstruationszyklus. Sie sei gerade “in einer ungünstigen Phase meines Monatszyklus”, deshalb ausgesprochen müde und brauche nun erstmal Zeit zu regenerieren, so Shiffrin. Während die Journalistin Verständnis signalisiert, übersetzt der TV-Sportkommentator Shiffrins Antwort für das ORF-Publikum aus dem Englischen – und greift komplett daneben. Shiffrins “unfortunate time of my monthly cycle" übersetzt der Kommentator mit: “Ich komme nicht einmal zum Radfahren, was ich jeden Monat mache. Ich bin einfach zu müde.” Worauf das Hoppala genau zurückzuführen ist, ist nicht bekannt. Doch gibt es Anlass, eine grundsätzliche Frage zu stellen: Was wissen Männer über den weiblichen Zyklus?
So nice to get my monthly cycle in…(Emojis not available) (Emojis not available)
— Mikaela Shiffrin (@MikaelaShiffrin) January 26, 2023
…just in case anyone else is confused… it’s my period. We’re talking about my period.(Emojis not available)♀️(Emojis not available)#normalizeperiods pic.twitter.com/nhkL9aiNLK
Nicht genug, sagt Nina Ramona Raffl. Seit einigen Jahren leitet die ausgebildete Theaterpädagogin aus Meran gemeinsam mit der Sexualpädagogin Lena Grüner Zykluskurse für Frauen und Mädchen. “Teilnehmerinnen haben immer wieder erzählt, dass sie ihr Wissen anschließend mit den Partnern geteilt haben, was der Beziehung sehr geholfen hat”, berichtet Raffl. “Vonseiten der Männer ist Interesse da, den weiblichen Zyklus und dadurch Frauen besser zu verstehen.” Daher die Idee, das Kursangebot zu erweitern. In Kürze hält Raffl ihren ersten Online-Workshop für Männer ab, mit dem Titel “Der weibliche Zyklus – Was ist das und wie funktioniert er?”. Organisiert wird er – auch auf italienisch – über die Familienberatungsstelle Lilith in Meran.
salto.bz: Frau Raffl, warum sollten Männer etwas über den weiblichen Zyklus wissen?
Nina Ramona Raffl: Wir sollten alle etwas über den Menstruationszyklus wissen. Alle haben irgendwie mit menstruierenden Frauen zu tun. Ob wir selbst mittendrin stecken oder es in einer Liebes- oder Arbeitsbeziehung erleben, ob mit der Mutter oder der Tochter – sobald ich direkt oder indirekt mit einer Frau zu tun habe, die einen Zyklus hat, ist es unglaublich hilfreich. Es gibt so viele Aha-Momente, wenn ich die Zyklusphasen kenne und auch weiß, wo mein Gegenüber gerade steht.
Das nahe Umfeld oder Partner können diese Phasen mitkriegen?
Oh ja, sehr. Natürlich ist das von Frau zu Frau unterschiedlich, so wie manche Menschen ihre Gefühle nicht verstecken können und andere immer gleich wirken.
Die größten Schwierigkeiten sind für Männer die Stimmungsschwankungen der Frau und die schwankende Lust in der Sexualität
Wie beeinflusst der Zyklus eine Frau?
Unsere Hormone beeinflussen uns während des ganzen Zyklus, also immer. Es gibt Phasen, in denen wir viel mehr Energie haben, nach außen zu gehen, also in Kommunikation mit Menschen, mit dem sozialen Umfeld und Phasen, in denen wir eher nach innen gewandt sind und unsere Energie auf Sparlampe ist. Kurz vor der Menstruation gibt es zum Beispiel einen Hormonabfall, bei dem bei den meisten Frauen die Energie ganz nach unten sinkt.
Wie würden Sie diese Phasen beschreiben?
Es gibt vier Zyklusphasen. Die können wir uns wie die Jahreszeiten vorstellen. Wir sprechen vom inneren Frühling in der Zeit nach der Menstruation: Die Energie kommt zurück, wir sind verspielt, abenteuerlustig, erblühen wie junge Mädchen. Es ist eine Zeit, in der es uns nicht schwer fällt, unsere Komfortzone zu verlassen.
Dann kommt der innere Sommer, die Zeit des Eisprungs: Unser Körper ist fruchtbar und unsere Hormone sind darauf ausgerichtet, in Kontakt mit anderen zu treten. In dieser Zeit sind wir Superwoman, wir möchten die Welt verändern, haben Lust zu feiern und uns zu zeigen. Es ist die Zeit der Mutter in jeder Hinsicht. Es fällt uns leicht, mit Projekten und Ideen “schwanger zu gehen”.
Nach dem Sommer kommt der innere Herbst: Wie in der Natur die Pflanzen ihre Energie langsam in ihre Wurzeln zurückziehen, zieht sich auch die Energie der Frauen nach innen. Es ist die Zeit, in der wir langsamer werden möchten, in und um uns herum aufräumen, unseren Platz in der Welt finden. In dieser Zeit ist die innere Kritikerin sehr stark, was uns helfen, aber auch sehr anstrengend sein kann, vor allem in Zusammenhang mit den Ansprüchen der äußeren Welt.
Die Menstruation schließlich ist die Zeit des inneren Winters: Früher haben sich die Menschen im Winter in ihre Höhlen zurückgezogen, sind vor dem Feuer gesessen und haben das vergangene Jahr aufgearbeitet. Etwas in uns möchte das während jeder Menstruation tun. Der innere Winter ist die Zeit des Loslassens, wie ein kleiner Tod, nach dem wieder etwas neues beginnen kann, denn schon bald kommt wieder der Frühling...
Diese Bilder helfen mir sehr, die vier Zyklusphasen zu veranschaulichen. Da wir in einer linearen Welt leben, ist es sehr schwierig, vor allem im inneren Herbst und Winter, den Ansprüchen der Gesellschaft gerecht zu werden.
Die meisten Frauen haben einige Tage – und es sind oft genau die gleichen in fast jedem Zyklus –, an denen sie sich schwer tun, an denen etwas aus dem Inneren oder aus der Vergangenheit immer wieder anklopft
Verläuft der Zyklus bei jeder Frau gleich?
Die Phasen sind von Frau zu Frau unterschiedlich ausgeprägt. Wir sind schließlich Menschen. Mir ist immer wichtig klarzustellen, dass jede Frau anders ist, jede Frau erlebt die Zyklusphasen auf ihre Weise, es gibt also keine Gebrauchsanleitung. Dazu ist auch zu sagen, dass nicht alle Menstruierenden Frauen sind und nicht alle Frauen menstruieren. Und natürlich hat jede innere Jahreszeit auch ihre Schattenseiten.
Jedes Monat durchleben Frauen also ein ganzes Jahr. Ist uns das bewusst?
Die meisten Frauen wissen viel zu wenig über ihren Zyklus und leiden jedes Monat, weil sie das Gefühl haben, etwas stimmt nicht mit ihnen. Wenn etwas nicht stimmt, dann ist das unsere Gesellschaft, ganz sicher nicht die Frauen.
Welche sind die größten Irrtümer, die mann hat?
Ganz wenige Männer wissen, was mit dem Zyklus passiert, wenn frau hormonelle Verhütungsmittel benutzt – wobei leider auch sehr wenige Frauen Bescheid wissen.
Im Vorfeld der Workshops, die Sie für Männer zum Thema organisieren, haben Sie einen Fragebogen erstellt. Was erfahren Sie daraus?
Mit dem Fragebogen geht es mir vor allem darum, zu sehen, was Männer über den Zyklus schon wissen und was sie noch lernen möchten. Insgesamt bestätigt der Fragebogen meine Erwartungen: Menstruation, Zyklus und Einsprung können die meisten erklären, sobald es um Zyklusphasen, zyklisch leben und Stillzeit geht, wissen sehr wenige Bescheid. Die größten Schwierigkeiten sind für Männer die Stimmungsschwankungen der Frau und die schwankende Lust in der Sexualität. Ein Mann hat es auf den Punkt gebracht: “Sarebbe bello capire il perché degli sbalzi ma soprattutto come evitare discussioni, e perché nonostante pure le donne lo sappiano di avere sbalzi ormonali, insistano a lasciare l'animale sbizzarrirsi.” Ich hoffe, dass dieser Mann zu einem Treffen kommt, ich würde ihm so gerne antworten.
Und was wollen Männer konkret wissen?
Besonders berührt hat mich, dass 27 Prozent der Männer, die den Fragebogen ausgefüllt haben, mehr darüber wissen möchten, wie sie ihre Töchter begleiten können, während, aber auch vor ihrem Menstruationszyklus, aber nur 19 Prozent angegeben haben, Zeit mit ihrer Tochter zu verbringen. Ich schließe daraus, dass es einige Männer gibt, die sich dafür interessieren, auch wenn sie selbst keine bzw. noch keine Töchter haben. Es ist so wichtig, dass Mädchen entspannt und vielleicht sogar erfreut ihrer Menarche, also ihrer ersten Menstruation, entgegengehen. Ich habe durch meine theaterpädagogische Arbeit viel mit Jugendlichen zu tun und merke, wie viel Enthusiasmus manchmal da ist und wie viel oft von den Erwachsenen zerstört wird.
Jede Frau ist anders, jede erlebt die Zyklusphasen auf ihre Weise, es gibt keine Gebrauchsanleitung
Reden Frauen generell genug über das Thema?
Ich bin der Meinung, dass jede für sich entscheiden sollte, wie viel und mit wem sie über ihren Zyklus spricht. Ich glaube auch nicht, das die Menge den Unterschied macht, sondern wie wir darüber reden. Um es in unseren Köpfen zu etwas Normalem zu machen müssen wir den Blickwinkel ändern. Wie oft sagen und hören wir etwas Positives über unseren Zyklus, über die Menstruation? Wir reden nur darüber, wenn wir Schmerzen haben, wenn es Komplikationen gibt. Da kann jede und jeder bei sich selbst anfangen und schauen, wie wir unsere Sätze positiv formulieren können. Mit kleinen Schritten können wir etwas verändern.
Wie leicht bzw. schwer fällt es, mit dem Partner über den Zyklus zu sprechen?
Es ist schwer, da es lange Zeit ein Tabuthema war und zum Teil immer noch ist. Ich habe immer offen über meine Menstruation geredet und zum Teil negative Kommentare zu hören bekommen – genderunabhängig. Dabei bin ich in einem recht offenen Kontext aufgewachsen. So geht es vielen. Wenn wir regelmäßig negatives Feedback bekommen, ist es immer schwieriger, darüber zu reden.
Wie kann sich das ändern?
Das Beste sind kleine Schritte. Ich muss nicht direkt über die Menstruation reden, ich kann auch die Zyklusphasen ansprechen. Die Sprache macht viel aus. Ob ich sage “ich bin im inneren Winter” oder “ich menstruiere” fühlt sich ganz anders an. Es geht grundsätzlich um eine Begegnung von Mensch zu Mensch und um Bedürfnisse. Die haben wir alle, ob mit oder ohne Zyklus. Je mehr wir darüber reden, desto besser.
Der Reporter hat Shiffrins
Der Reporter hat Shiffrins Antwort aus einem ganz einfachen Grund falsch übersetzt: er ist nämlich kein Dolmetscher (die darin geübt sind, sich die folgenden Wörter anzuhören und zu merken, während sie gerade dabei sind, die vorherigen zu übersetzen) und hat es so gut er konnte übersetzt. Er hat halt während seiner eigenen Übersetzung im Multitaskingstil das Wort "Cycle" aufgefasst und sich gerade nicht vorstellen können, dass die Dame von ihrem Zyklus spricht. Solche kleinen Hoppalas kommen bei jedem (!) Interview, welches live übersetzt wird, vor. Peter Brunner ist ein äußerst angenehmer Reporter, der auch kein Problem hätte, diese Aussage korrekt wiederzugeben. Hört endlich auf, ihm daraus einen Strick zu drehen.
In risposta a Der Reporter hat Shiffrins di Dietmar Holzner
Mit dieser Art von Feminismus
Mit dieser Art von Feminismus können auch viele Frauen nichts anfangen.