Politica | Wahlen 18 Elezioni

Weißblume nei Boschi

Michaela Biancofiore (Forza Italia) und Dieter Steger (SVP) im Salto-Streitgespräch über Autonomie, Silvio Berlusconi, den PD und die Abkehr der Menschen von der Politik.
Biancofiore, Steger
Foto: Nicola Arrigoni
Salto.bz: Onorevole Biancofiore, Sie schreiben in Ihrer Wahlwerbung: „Ich bin eine echte Südtiroler Blume“. Was heißt das?
 
Michaela Biancofiore: Dass ich ganzheitlich zu diesem Land gehöre. Im Gegensatz zu meiner Herausforderin Boschi. Ich bin in Bozen geboren und hier aufgewachsen. Schon als Kind fühlte ich mich diesem Land zugehörig. Wir leben in einer Gegend, die man nur dann verstehen kann, wenn man hier geboren und aufgewachsen ist. Dieses Land ist für die meisten unterhalb von Salurn sehr schwer zu verstehen. Deshalb sage ich, dass ich eine Blume dieses schönen Landes bin. Es gibt es kaum jemanden, der dieses Land und seine Autonomie besser als ich interpretieren kann. Eine Autonomie übrigens, die - und hier werde ich meinem Kollegen Dieter Steger sicher missfallen - nicht der SVP gehört.
 
Herr Steger, Sie und ihre Partei würde diese echte Südtiroler Blume am liebsten mit Glyphosat behandeln?
 
Dieter Steger (lacht): Nein, so ist nicht. Aber wir haben sicherlich eine andere Auffassung von Autonomie. Die Autonomie muss für alle drei Sprachgruppen gleichermaßen von Vorteil sein. Jeder weiß, dass wir hier in Südtirol weit besser leben als anderswo. Auch die Südtiroler Italiener schätzten diese Eigenverwaltung und sie wissen genau, dass wir ohne diese Entwicklung kaum den Reichtum hätten, den wir derzeit genießen. Diese Autonomie ist kein Privileg, Kollegin Biancofiore...
 
Biancofiore: Wer hat das gesagt...?
 
Steger: Du hast es mehrmals in Interviews gesagt. Ich kann dir das jederzeit auch zeigen.  
 
Biancofiore: Ich habe genau das Gegenteil gesagt....
 
Steger: Du hast gesagt, die Autonomie sei nur ein Privileg und uns gehe es nur deshalb gut, weil wir priveligiert sind. Es ist aber nicht so. Wir zahlen mehr an den Staat als wir bekommen. Das ist bewiesen. Die Autonomie ist in Südtirol die Voraussetzung für zwei grundliegende Dinge: Den Wohlstand und den sozialen Frieden. Das sind die wichtigsten Ergebnisse und Folgen der Autonomie.

 
Biancofiore: Steger hat recht, dass es uns hier wirklich gut geht. Für mich ist das der schönste Flecken auf der Erde. Und ich bin absolut für das friedliche Zusammenleben. Aber es muss ein Zusammenleben sein und nicht ein Koexistenz, ein Nebeneinanderleben. Ich habe eine sehr Langersche Interpretation der Autonomie. Eine Rainbow-Autonomie, in der alle an der Ausgestaltung der Autonomie mithelfen.
 
Steger: Unsere Hauptaufgabe ist es, in Südtirol unsere Autonomie zu sichern und zu schützen. Es handelt sich um eine Autonomie für die deutsch- und ladinischsprachige Minderheit, die es uns erlaubt, in einem anderen Staat als Minderheit zu überleben. Natürlich ist unsere Politik auf diese Rolle fokussiert. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Südtirolerinnen und Südtiroler uns auf diesem Weg begleiten werden. Denn wir sind überzeugt, mit dieser Politik in Südtirol eine sehr hohe Eigenständigkeit und Eigenverwaltung zu erreichen, die zum Wohlstand führen, der allen zugute kommt. Deutschen, Ladinern und auch den Südtiroler Italienern.
 
Biancofiore: Nein. Denn in Wirklichkeit haben die Italiener keine wirkliche Chance, an dieser Autonomie mitzuarbeiten. Sag mir einen Italiener, der an der Spitze einer öffentlichen Gesellschaft steht? Wenn es welche gibt, dann sind es Exponenten des PD und diese fallen natürlich vor dem Willen der deutschsprachigen Mehrheit auf die Knie. Ich bin überzeugt: Wenn wir weiterhin solche Botschaften wie die Abschaffung der italienischen Toponomastik oder den Doppelpass italienweit verbreiten, dann vertun wir es uns nicht nur mit den Nachbarn. Es ist diese Vorgangsweise, die zum Ruf nach Abschaffung der Südtirol-Autonomie führt. Wobei die Ersten, die die Autonomie einschränken wollen, ausgerechnet jene sind, die mit dem Kollegen Steger und der SVP politisch verbunden sind.
 

Sie meinen den PD?
 
Biancofiore: Sie brauchen nur Seite 141 des Buches „Stil novo“ von Matteo Renzi aufzuschlagen, dort steht, dass er die Regionen mit Sonderstatut abschaffen werde. Ich fordere die Volkspartei heraus, auch nur eine Aussage von mir in den letzten 20 Jahren zu finden, wo ich behaupte, die Autonomie soll abgeschafft werden. Ich habe immer gesagt, dass mir diese ethnische Verwaltung der Autonomie nicht gefällt. Wenn wir die Autonomie aber im europäischen Geiste der Zusammenarbeit leben, dann ist es das beste Instrument, das es geben kann.
Sag mir einen Italiener, der an der Spitze einer öffentlichen Gesellschaft steht? Wenn es welche gibt, dann sind es Exponenten des PD und diese fallen natürlich vor dem Willen der deutschsprachigen Mehrheit auf die Knie.
Michaela Biancofiore
Ihre Partei „Forza Italia“ und auch Sie waren als Unterstaatssekretärin an der Regierung. Wieso haben Sie es nicht geschafft, die Autonomie so zu ändern, wie sie jetzt beschreiben?
 
Biancofiore: Ich war sechs Monate lang Unterstaatssekretärin für Sport und Gleichstellung in einer pseudotechnischen Regierung. Man hat mir vom ersten Moment an den Krieg erklärt, wegen eines Blödsinns, eines Sagers zur Apartheid der Homosexuellen. Aber ich habe mehrmals dem Regierungschef Enrico Letta in Sachen Autonomie geschrieben. Er hat aber nie geantwortet und es vorgezogen, sich anderen Dingen zu widmen. Zudem war die Regierung Letta nur von sehr kurzer Dauer. Aber Achtung: Ich will die Autonomie nicht ändern, sondern ich möchte ganz einfach, dass man mit diesen Provokationen aufhört.
 
Was meinen Sie mit Provokationen?
 
Biancofiore: Die Abschaffung der italienischen Toponomastik ist für die italienische Sprachgruppe eine Provokation. Der Kollege Steger wird sich jetzt sicher aufregen, aber es ist die Wahrheit.
 
Steger: Ich rege mich überhaupt nicht auf. Denn diese Aussagen zeigen, dass du einfach nicht verstehst, wie die deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler denken. Vielleicht kommst du bei den italienischsprachigen Südtirolern noch mit....
 
Biancofiore: ...Ich lass mich von dir nicht beleidigen...
 
Steger: Das ist keine Beleidigung. Deine Aussage machen deutlich, dass du nicht verstehst, wie wir Südtiroler denken und funktionieren. Das ist das Problem. Wir gehen von den Fakten aus. Die Regierungen, zu denen Biancofiore gehört, waren immer gegen die Autonomie....
Wir sind Bürger dieses Landes und werden schon wählen und unterstützen können, wenn wir wollen. Wir werden sicher nicht Frau Biancofiore fragen, wen wir zu unterstützen haben
Dieter Steger
Biancofiore: Nenn mir einen Punkt, wo wir dagegen waren. Nehmen wir das Mailänder Abkommen. Das hat nicht die Linke gemacht, sondern wir haben das gemacht. Wenn du überhaupt weißt, was das Mailänder Abkommen ist.
 
Steger: Das Mailänder Abkommen hat Luis Durnwalder gemacht und sicher nicht mit Euch...
 
Biancofiore: Also bitte, schaut Euch doch die Dinge an. Wo haben wir die Autonomie beschnitten? Wir haben euch sogar Kompetenzen für die Denkmäler übertragen.
 
Steger: Ma Biancofiore, wollen wir scherzen...
 
Biancofiore: Sag mir doch eine Sache, wo wir gegen die Autonomie gehandelt haben. Du schaffst es nicht, eine zu finden. Berlusconi hat bei der Vorstellung unserer Liste vor 20 Tagen offen gesagt: „Wir haben die Autonomie nie angetastet und wir haben auch keinerlei Absicht das zu tun“.
 
Steger: Und was hat Berlusconi für uns getan?
 
Biancofiore: Dass er nichts getan hat, zeugt davon, dass er Respekt hat. Respekt, den ihr anscheinend nicht kennt. Vor allem mir gegenüber.
 
Steger: Tatsache ist, dass wir mit der Regierung Renzi und der amtierende Regierung Gentiloni die Autonomie weiterentwickeln konnten. Natürlich mit einer starken und wichtigen Unterstützung der zuständigen Unterstaatssekretärin Maria Elena Boschi. Das ist die Wahrheit.
 
Damit sind wir bei Maria Elena Boschi. Frau Biancofiore, Sie ist Ihre eigentliche Gegnerin bei dieser Wahl?
 
Biancofiore: Maria Elena Boschi ist die Unterstaatssekretärin der Volkspartei. Das hat Dieter Steger eben mit entwaffnender Offenheit zugegeben...
 
Steger:... Das habe ich nie gesagt. Siehst du, wie unseriös du bist....
 
Biancofiore: ... das geht doch ganz klar aus einer Tatsache hervor. Sollte Maria Elena Boschi gewählt werden, dann ausschließlich dank der SVP-Stimmen. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Regierung Renzi ein eigenes Wahlgesetz für Trentino-Südtirol geschrieben hat. Ein Wahlgesetz, das völlig anders als im Rest Italiens ist. Das Ziel dieses Wahlgesetzes ist die Wahl von zwei PD-Parlamentariern, die sonst unmöglich gewählt würden, weil sie gegen den Südtiroler Mitte-Rechts-Block keine Chance haben.
 
Steger: Es waren nicht wir, die entschieden haben, wer der PD-Spitzenkandidat oder die Spitzenkandidatin in Südtirol sein werden. Wir haben offen gesagt: Wir kandidieren nicht in allen Wahlkreisen, auch weil es das Recht der Südtiroler Italiener sein soll, eigene Vertreter nach Rom zu schicken. Der PD hat Boschi aufgestellt und ich erlaube mir schon zu sagen: Wir sind Bürger dieses Landes und werden schon wählen und unterstützen können, wenn wir wollen. Wir werden sicher nicht Frau Biancofiore fragen, wen wir zu unterstützen haben.
 
Biancofiore: Nur die Volkspartei konnte von oben herab und mit der Arroganz ihrer Stimmen sich die Boschi ins Haus holen. Die Kollegin Boschi ist die am meisten angefeindete Person Italiens. Boschi kommt mit dem Dienstwagen und den Leibwächtern nach Südtirol. Dass man Mittel des Staates für den Wahlkampf einsetzt, ist ein Schlag ins Gesicht jener Bürger, die sie täglich trifft. Jetzt wurde bekannt, dass sogar ihr Vater rund um die Uhr von staatlichen Leibwächtern bewacht wird. Dazu kommen die ganzen Skandale, die Boschi auf dem Buckel hat. Ich denke nicht, dass die Südtiroler Wähler das brauchen.
 
Auch innerhalb der SVP haben viele mit der Boschi-Kandidatur Bauchweh?
 
Steger: Ein Teil unserer Wählerschaft hat ein anderes Problem: Man akzeptiert nicht, dass wir im Wahlkreis Bozen-Unterland nicht mit eigenen Kandidaten antreten. Das ist der Knackpunkt, wo wir Teile unserer Basis überzeugen müssen. Ich bin felsenfest überzeugt, dass unser Nicht-Antreten in diesen zwei Einmann-Wahlkreisen richtig ist. Denn diese Wahlkreise sind dazu da, dass unsere italienischen Mitbürger ihre Parlamentarier wählen können, was absolut wichtig und richtig ist.
 
Werden Sie aber die SVP-Wählerschaft überzeugen können, nach Südtirol importierte italienische Kandidaten und Kandidatinnen zu wählen?
 
Steger: Das wird die große Herausforderung bei dieser Wahl. Sie haben die Chance, einen SVP-Kandidaten zu wählen, mich im Senat oder Manfred Schullian in der Kammer, gleichzeitig aber auch Bressa oder Boschi. Das heißt, die Stimmen gehen nicht ausschließlich zum PD, sondern gleichermaßen zur SVP. Auch in Bozen und im Unterland kann man einen SVP-Kandidaten wählen.
 
Biancofiore: Weil man weiß, dass die Basis aufgebracht ist, versteckt die SVP Maria Elena Boschi und Gianclaudio Bressa vor ihren Wählern. In der Wahlzeitung ZIS kommen beide nur in zwei unscheinbaren Zeilen vor. Man will glaubhaft machen, Schullian und Steger seien die eigentlichen Kandidaten. Das ist ein Betrug am Wähler. Die Entscheidung, in den beiden Wahlkreisen nicht anzutreten hat einen anderen Grund: Nur so kann die SVP entscheiden, welche Italiener nach Rom kommen. Das ist der eigentliche Grund für ihr Nichtantreten.
 
Frau Biancofiore, Sie kritisieren lautstark, dass Maria Elena Boschi nicht nur in Südtirol kandidiert, sondern gleichzeitig auch in mehreren anderen Wahlkreisen in Italien antritt. Man nennt das „Fallschirme“. Dabei gilt für Sie genau dasselbe?
 
Biancofiore: Es stimmt, dass Präsident Berlusconi mich zur Spitzenkandidatin in der Emilia Romagna gemacht hat. Aber das sind zwei völlig unterschiedliche Situationen. Die Kollegin Boschi kandidiert in fünf verschiedenen Verhältniswahlkreisen und im Einmannwahlkreis Bozen-Unterland. Im Einmannwahlkreis muss man aber anwesend sein und nicht nur ein paar Tage zu Besuch kommen. Man muss dort wohnhaft sein, wie es Franco Frattini gemacht hat. Er ist damals als Minister zurückgetreten und mit seinem eigenen Auto zum Wahlkampf nach Südtirol gefahren. Nicht wie jetzt Boschi.
 
Auch Sie haben aber in der Emila Romagna ein Fangnetz, sollten Sie es im Wahlkreis Südtirol-Trentino nicht schaffen?
 
Biancofiore: Ja. Der Grund dafür ist einfach: Das Wahlgesetz wurde so auf die SVP und den Südtiroler PD zugeschnitten, dass der Verhältniswahlsitz in der Region für uns nicht sicher ist. Berlusconi, der mich mag, wollte mich deshalb schützen und ermöglichte mir auch die Kandidatur im Wahlkreis Emila 4. Ich habe davon erst in der Nacht vor der Entscheidung erfahren. Aber ich sagen ihnen eins: Ich werde die Wahl hier gewinnen und den Parlamentssitz in Südtirol holen.
 
Sie streiten hier wie die Karrner. Dabei sitzen SVP und Forza Italia seit Jahren in Europa in einer gemeinsamen Fraktion, und traditionell biedert sich ein Teil der SVP immer wieder Silvio Berlusconi an?
 
Steger: Wahrscheinlich sind wir ideologisch gar nicht so weit voneinander entfernt. Wenigstens ein Teil der SVP. Wir sind eine Sammelpartei, die versucht, die Extreme zu vermeiden. Aber in der moderaten Mitte finden sich in der SVP verschiedenste Meinungen und Positionen. Wir haben Sozialdemokraten, Liberale und Konservative. Das ist das Wesen der Sammelpartei.
 
Biancofiore: Die SVP macht ihre Arbeit, und sie macht sie auch gut. Hier muss ich Euch durchaus ein Kompliment machen. Wer seine Arbeit aber nicht macht, ist die italienische Sprachgruppe in Südtirol. Diese hat die Tendenz sich zu verkaufen. Oder besser gesagt der PD, der keinerlei Rückgrat hat. Da lobe ich mir Politiker wie Franceso Palermo oder Roberto Bizzo, die autonom geblieben sind und wirklich die Interessen der italienischen Sprachgruppe im Auge hatten.
 
Ist Michaela Biancofiore moderat?
 
Biancofiore: Natürlich bin ich das. Das war immer meine politische Positionierung.
 
Steger: No comment.
 
Biancofiore: Ich sage es mit Stolz: Ich bin popolana, popolare und auch bisschen populista. Eine Frau aus dem Volk, weil ich mir alles selbst erarbeitet habe....
 
Steger: Neiiiiiiiin, da war schon der Presidente Berlusconi...
 
Biancofiore: Das sagst gerade du. Wegen deiner Partei musste ich den Kopf hinhalten. Weil die SVP versprach, die Regierung Prodi fallen zu lassen, ließ er mich bei den Parlamentswahlen im Kampanien antreten. Die SVP hat gegen mich alles unternommen. Aber mein Verhältnis zu Berlusconi hat man nie zerrütten können. Was Berlusconis Unterstützung betrifft: Als ich 1994 anfing, Politik zu machen, war ich für die Fotokopien am Bozner Forza-Italia-Sitz zuständig. So hat meine politische Karriere begonnen. Silvio Berlusconi habe ich erst 2003 kennen gelernt. Ich habe mir wirklich alles selbst erarbeitet.
 
Populista ist doch eher ein Schimpfwort?
 
Biancofiore: Für mich nicht. Den Bauch des Volkes zu spüren, ist eine der Aufgaben der Politik. Dass sich die Menschen von der Politik abwenden, liegt vor allem daran, dass die Politiker nicht mehr den Gerechtigkeitssinn der Bürger interpretieren können. Die Italiener zwischen dem Brenner und Lampedusa sehen sich heute als Bürger zweiter Klasse.
 
Steger: Das ist nicht nur ein italienisches Problem. Diese Haltung finden wir in fast allen europäischen Ländern. Aber ein Politiker kann und darf nicht nur nach dem Bauch der Menschen gehen. Wer verantwortungsbewusst ist, muss den Menschen klare Antworten geben.
 
Warum ist Michaela Biancofiore für die SVP wie ein rotes Tuch?
 
Steger: Mah, man braucht nur zuzuhören, wie sie hier redet. Oder man schaut sich den Brief an, den sie im Wahlkampf an alle deutschsprachigen Wähler verschickt hat. Dann wird klar, warum wir uns schwer tun, mit Michaela Biancofiore zusammenzuarbeiten.
 
Biancofiore: Ich verstehe nicht, was du an meinen Wahlbrief auszusetzen hast. Ich habe meine persönliche Geschichte darin beschreiben, nicht mehr und nicht weniger....
 
Steger: Du schreibst, wir seien „im degrado“....
 
Biancofiore: ...ganz Italien ist im Zerfall....Aber frag doch mal deine Wähler, ob es ihnen gefällt, jede Nacht Einbrüche erleben zu müssen. Frag deine Parteikollegen aus Kaltern, ob es ihnen passt, Ausländer aufnehmen zu müssen....
 
Steger: In deinem Brief steht: „Ihr seht alle, welche Zustände heute nach fünf Jahren in Italien herrschen und dass unser wunderschönes Land dem Verfall preisgegeben ist.“ Weißt du überhaupt, was du geschrieben hast? Ich werde jedenfalls meine Wähler fragen, ob sie glauben, dass wir hier in Südtirol im Verfall sind..
 
Biancofiore: Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Aber es ist so. Vielleicht schaust du dich einmal um. Du bist der Bozner SVP-Stadtchef. Ich rate dir, beweg dich einmal aus der Altstadt und aus Bozen Dorf hinaus und rede mit den Boznern, dann wirst du merken, welche Schäden diese fünf Jahre Mitte-Links-Regierung auch bei uns angerichtet haben.
 
Steger: Es ist ein Absurdität zu behaupten, Südtirol sei dem Verfall preisgegeben. Vor allem wenn ich daran erinnern darf, dass ausgerechnet dein Berlusconi heimgeschickt wurde und Mario Monti kommen musste, weil Italien kurz vor dem Abgrund war.
Berlusconi, der mich mag, wollte mich schützen und ermöglichte mir auch die Kandidatur im Wahlkreis Emila 4. Aber ich sagen ihnen eins: Ich werde die Wahl hier gewinnen und den Parlamentssitz in Südtirol holen.
Michaela Biancofiore
Man kann Ihren Wahlbrief, Onorevole Biancofiore, auch anders lesen. Hier bereitet eine Politikerin Ihre Rückkehr nach Südtirol vor. Spitzen Sie bereits auf die Landtagswahlen im Herbst?
 
Biancofiore: Nein, absolut nicht. Ich hoffe, ins Parlament gewählt zu werden. Unabhängig davon aber halte ich es für falsch, dass sich immer die gleichen Personen um politische Ämter bewerben sollen. Für mich wird das sicher die letzte Legislaturperiode sein. Zum einen hat man einfach nicht mehr die physische Kraft wie früher. Zum anderen braucht es einen Wechsel in der Politik. Es werden deshalb meine Buben in Südtirol weitermachen. Ich habe die Partei seit dem 11. August 2017 von Null auf in Südtirol wieder aufgebaut. Das war und ist harte Arbeit, das versichere ich Ihnen. Die Landtagswahlen sind für mich aber kein Thema.
 
Herr Steger, Ihr großer Traum war es immer, in die Südtiroler Landesregierung zu kommen. Diese Zug ist für Sie abgefahren. Fliehen Sie deshalb jetzt in den Senat nach Rom?
 
Steger: Nein, sicher nicht. Es stimmt, dass es immer mein Ziel war, in unserem Land politische Verantwortung zu übernehmen. Nach einigen Jahren im Landtag, mit meiner Erfahrungen als Landtagspräsident und auch als Fraktionssprecher, aber auch als SVP-Obmann von Bozen, möchte ich mich jetzt auf diese neue Herausforderung einlassen. Die Weiterentwicklung unserer Eigenverwaltung und unserer Autonomie wird in Rom entschieden. Das habe ich jetzt in meiner Arbeit in der Sechser- und Zwölferkommission klar gemerkt. Deshalb reizt mich der Senat. Zudem ist es auch familiär für mich jetzt möglich. Ich wollte meine Kinder aufwachsen sehen. Die Großen sind inzwischen außer Haus und der Kleinste ist 16 Jahre alt.
 
Das größte Glück der SVP bei allen Wahlen der letzten drei Jahrzehnte ist die Uneinigkeit des italienischen Mitte-Rechts-Blocks in Südtirol?
 
Biancofiore: Es ist die Uneinigkeit der Italiener in Südtirol. Nicht des Mitte-Rechts-Blockes. Sicher gibt es gewisse persönliche Unvereinbarkeiten, aber auch in der SVP bringt man sich gegenseitig fast um und am Ende marschiert man doch gemeinsam. Das passiert überall. Wir sind in Bozen aber auch national diesmal absolut vereint und wir werden die Parlamentswahlen auch gewinnen und an die Regierung kommen. Dann wird die SVP unser Verhandlungspartner sein. Darauf freue ich mich. Denn wir stehen uns wie gesagt ideologisch sehr nahe.
Es stimmt, dass es immer mein Ziel war, in unserem Land politische Verantwortung zu übernehmen. Die Weiterentwicklung unserer Eigenverwaltung und unserer Autonomie wird aber in Rom entschieden. Deshalb reizt mich der Senat.
Dieter Steger
Die SVP hat am kommenden Sonntag eigentlich nur einen Feind. Die Angst, dass die Leute nicht wählen gehen?
 
Biancofiore: Davor müssen sich alle fürchten.
 
Steger: Die Abkehr der Menschen von der Politik ist ein europäisches, wenn nicht ein globales Phänomen. Die Wahlbeteiligung sinkt überall. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es gibt nicht mehr die großen Themen, hier die Linke, dort die Rechte. Das große gesellschaftspolitische Spannungsfeld sehe ich zwischen einer liberalen und ein konservativen Welt. Hier tun sich die großen Parteien schwer, wirklich Antworten zu geben. Diese Entwicklung fördert die extremen Kräfte und schadet den gemäßigten Kräften.
 
Ein Grund für die Wahlmüdigkeit ist die Tatsache, dass mit diesem Wahlsystem die Parteien bestimmen, wer ins Parlament kommt und nicht die Wähler?
 
Steger: Es geht überall in Europa in diese Richtung. Deshalb gibt es ja auch Vorwahlen. Nicht jene der 5-Sterne-Bewegung, wo einer mit 20 Klicks zum Parlamentskandidaten wird. Der Meistgewählte bei den Vorwahlen der 5-Sterne-Bewegung hatte 2.000 Stimmen. Ich habe bei den SVP-Vorwahlen mehr als 5.000 Stimmen bekommen. Trotzdem behaupten manche, diese Vorwahlen seien eine Farce gewesen. Wir sind es gewohnt, bei Wahlen Vorzugsstimmen zu geben, deshalb haben wir Probleme mit diesem System. Doch in fast allen Ländern in Europa wird heute so gewählt.
 
Biancofiore: Ich bin absolut für die Vorzugsstimmen in der Politik. Ich habe das in meiner Partei und zu meinem Präsidenten immer gesagt: Ich finde es verwerflich, dass ein Wähler sich nicht seinen Kandidaten auf dem Stimmzettel auswählen können. Als ich das letzte Mal mit dem Vorzugsstimmensystem kandidiert haben, habe ich in der Region Trentino-Südtirol 29.900 Vorzugstimmen erhalten. 11.000 in Südtirol und den Rest im Trentino.
 
Nach diesen Parlamentswahlen wird es in Italien mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer großen Koalition kommen. Heißt das, dass Biancofiore und Steger in Rom zusammenarbeiten werden?
 
Steger: Wir arbeiten mit allen Kräften zusammen, die für die Autonomie sind. Hier geht es nicht um Sympathien oder Antipathien. Wir sind es gewohnt, mit den gemäßigten Kräften zusammenarbeiten. Seit 70 Jahren ist das der Geist der SVP. Wir arbeiten mit all jenen zusammen, die uns bei der Ausgestaltung unserer Autonomie helfen.
 
Biancofiore: Ich hoffe, dass es zu keiner großen Koalition kommt. Ich hoffe, dass Mitte-Rechts diese Wahlen gewinnt und wir eine Regierung stellen. Dann wird einer Ministerpräsident werden, mit dem die Volkspartei besonders gut kann: Antonio Tajani, der amtierende Präsident des EU-Parlaments. Gleichzeitig hoffe ich, dass die SVP dann wieder das wird, was ihr Parteisekretät Philipp Achammer groß angekündigt hat: Nämlich blockfrei. Das würde unsere Zusammenarbeit deutlich erleichtern.