Società | Porträt

Das verrückte Pferd des sanften Gemüts

25 Jahre nach seinem Abschied vom HC Bozen wird Gino Pasqualotto eine beispiellose Ehre zuteil: Die 33 wird nicht mehr vergeben und ziert nun die Eiswelle. Eine Hommage.
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Foto: Facebook HC Bozen - Bolzano Foxes

Leben Sie in Bozen, könnte Ihnen Folgendes bekannt vorkommen: Sie sind gerade auf dem Weg zu ihrem Auto; sie joggen hin, da ihr Ticket für den Parkplatz eigentlich schon vor einer halben Stunde abgelaufen ist. Auf ihrem Weg begegnen Sie einem Herren auf dem Fahrrad in Uniform, die Schiebermütze tief ins Gesicht gezogen, den Rest des Antlitzes bedeckt ein dichter Bart. Wahrscheinlich fällt Ihnen der Mann im ersten Moment gar nicht auf, er radelt einfach an Ihnen vorbei. Sie denken gerade eh eher daran, schnell genug bei Ihrem Wagen zu sein. Schon aus einiger Entfernung erkennen Sie an einem grünen Schimmer, dass Sie doch etwas zu spät dran sind: Präpotent lugt ein Strafzettel unter ihrem Scheibenwischer hervor. Sie ziehen Ihn heraus und obwohl Sie schon wissen, was Sache ist, lesen Sie sich doch nochmal alles durch. Gleich am Anfang steht in Blockbuchstaben der Name des ausstellenden Beamten. Unterschrieben ist der Zettel ganz schlicht mit "Gino".

 

Ihnen kommt der bärtige Mann in Uniform mit seiner Schiebermütze wieder in den Sinn. Verzweifelt stellen Sie fest, dass sie nur Augenblicke zu spät dran sind. Obwohl sich der Mann mit seiner Unterschrift gerade zu ihrem Feindbild des Tages gemausert hat, dürfen Sie sich – sollten sie Sportfan sein – trotzdem etwas freuen. Sie haben gerade ein Autogramm ergattert. Zugegeben, ein etwas kostspieliges; aber den Namen, den Sie an diesem Tag wahrscheinlich des öfteren beim Abendessen mit ihren Lieben verfluchen, gehört einer Südtiroler Sportikone, einer Legende des italienischen Eishockeys. Er gehört Gino "Crazy Horse" Pasqualotto.

 

Pasqualotto – oder Gino, wie er schlicht genannt werden will – ist ein Sohn unserer Landeshauptstadt, am 9. November 1955 erblickt er in Bozen das Licht der Welt. Mit elf Jahren steigt er das erste Mal mit einem Schläger ausgestattet auf das Eis. Es sollte der Beginn einer großen Liebe werden. 1970 debütiert er in der Serie B mit dem HC Latemar, schon zwei Jahre später folgte der große Karriereschritt HC Bozen, mit dem er mit kurzen Unterbrechungen insgesamt 21 Jahre lang Bozner, Südtiroler und italienische Eishockeygeschichte schreiben sollte.

Der Titelsammler

Im Laufe seiner Karriere sammelte der Publikumsliebling Titel über Titel. Am Ende seiner Zeit in Bozen im Jahr 1994 werden den Dachboden der Bozner Eiswelle zehn "Scudetti", zehn italienische Meisterschaften zieren, die mit dem verrückten Pferd auf dem Eis nach Südtirol geholt wurden.

 

Woher Gino übrigens seinen Spitznamen her hat, weiß er selbst nicht mehr so genau: "Eh, cavallo matto! Forse perché non mi sono mai tirato indietro, forse perché ho sempre partecipato anche nei momenti difficili. Comunque fa parte del mio carattere, un po' matto lo sono, quindi cavallo matto mi sembra anche giusto." Ein nostalgischer Lacher ist durch den Hörer zu vernehmen.

 

Tatsächlich war Gino, sobald er das Eis betrat, eine Kante. Einer jener Spieler, der mit metaphorischen Scheuklappen in das Spiel ging, es zählten nur das Team und der Sieg. "Era un duro", "un vero trascinatore", "in campo era un guerriero" - seine alten Weggefährten wissen um seinen unbedingten Siegeswillen, ließen sich anstecken. Jedoch sind diese Zitate nur ein Teil der Wahrheit, meistens nur einleitende Hauptsätze, die dann meistens wie folgend enden: "dall'animo gentile", "ma preferisco sottolineare la sua umanità", "ma fuori dal campo era un pezzo di pane". Ein sogenannter "charismatic leader". Riner der voran ging. Einer, der sich schützend vor seine Mannschaft stellte. Ein Kapitän, wie es sich jedes Sportteam wünscht. Einen seiner Nachfolger als Kapitän und seines Zeichens Legende in Rot-Weiß, Robert Oberrauch, führte er selbst das erste Mal an das Team heran: "Da quando un giorno Gino mi prese per manina e mi portò a fare il provino per l'hockey, la mia vita è cambiata."

Die Rückschläge

Der Team-Gedanke stand und steht bei Gino sowieso immer an erster Stelle. In kaum einem Interview hebt er nicht seine Mannschaftskameraden hervor, deren Wichtigkeit und Beitrag zu seiner einzigartigen Karriere. Angesprochen auf den schönsten Moment seiner Laufbahn stellt er auch bei salto.bz sich selbst in den Hintergrund: "Il più grande momento è tutta la carriera e cosa la accompagnava: i risultati, la squadra, i compagni, il pubblico." - Gleich zwei Mal, ein Mal vereint im Konstrukt Mannschaft, das andere Mal individuell als Mitspieler, hebt er die Wichtigkeit der Menschen hervor, die das Spiel mit ihm gespielt haben. Deshalb kann man ihm auch höchstens ein Kopfschütteln abgewinnen, wenn er über das Eishockey und die Athleten von heute spricht: "Ci sono troppi mercenari. Ragazzi che non giocano per la maglia come facevamo noi." Für ein wenig Pathos sind sich seine Aussagen sowieso nie zu schade. Wie bei vielen Sportlern vergangener Tage kommt auch bei ihm der Romantiker hervor, der nostalgisch die guten, alten Zeiten anpreist.

 

Trotz der großen Resultate begleiteten seine Karriere auch mehrere Rückschläge, meistens Hand in Hand mit dem Verein seines Herzens, dem HC Bozen. 1986 droht nach einem Bandscheibenvorfall das Karriereende (“Nell'86 sembrava che la mia carriera fosse finita. Ho avuto però grande fortuna.”); 1990 wird er nach der zehnten Meisterschaft überraschend aussortiert (“Mi hanno detto che facessi più parte dei loro programmi. È stata una mazzata.”); 1994 leitet der damalige Trainer, Ron Ivany, sein Karriereende ein, indem er zum EV Bozen 84 unter und mit Olympiasieger Mikhail Vassiliev in die Serie B abgeschoben wird („Sono emersi problemi con l'allenatore. Ha punito ingiustamente un compagno e me e quindi ho deciso di andare via.”). Zwei Mal kämpft er sich in das rot-weiße Trikot mit der Nummer 33 zurück, das dritte Mal blieb nichts als ein unrühmliches Ende. "Una volta tornato mi fecero molte promesse, sarei dovuto rimanere nell'ambiente, allenare i bambini, insomma dipendente della società. Ed invece molte di queste non furono mantenute", erzählte 2011 ein noch enttäuschter Pasqualotto der Tageszeitung Alto Adige.

 

Dass der Klub sein Idol jedoch nicht vergessen hat, zeigte sich letzten Samstag. Schon die Woche zuvor kündigte der HC Bozen ein Novum an. Etwas, was man vor allem aus den amerikanischen Profiligen kennt: Die Nummer 33 wird für immer mit dem Namen Pasqualotto verbunden sein und an keinen anderen Spieler mehr vergeben. Schon 2009 gründeten sein Sohn Alex und Edelfan Luca Zanoni die Facebook-Gruppe "QUELLI CHE GINO 'CRAZY HORSE' PASQUALOTTO LEGGENDA BIANCOROSSA" und forderten darin den Rückzug der 33. Jahrelang ist nichts geschehen. Irgendwann hat man dann in der Führungsriege des HC Bozen doch diesen Schritt eingeleitet. "Ich hatte wirklich mit dem ganzen Prozedere nichts zu tun, da gebührt der Dank dem Team um Pressesprecher Luca Tomasini. Es sollte jedoch Gino diese Ehre zuteil werden, das wahr mir wichtig und darauf habe ich bestanden", erklärt HCB-Präsident Dieter Knoll.

Späte Ehre

Im Vorfeld der Ehrung kamen mehrere seiner alten Teamkameraden via Facebook zu Wort. Jeder hatte nur warme Worte für den sanften Riesen parat. Gates Orlando, Mike Rosati, Lucio Topatigh, Sergej Vostrikov – sie alle zollten Crazy Horse ihren Respekt und ihre Anerkennung für die gemeinsame Zeit. Symbolisch für die Bedeutung Pasqualottos für den Klub steht der Post von seinem "Bruder" Topatigh: "Hai dedicato una vita intera a questa maglia. Oltre che essere un grandissimo giocatore, sei anche una persona meravigliosa. Ti vogliamo bene e ti meriti questo riconoscimento, Gino!"

 

Vor dem Spiel gegen Klagenfurt letzte Woche fand die Zeremonie statt. Gino, inmitten alter Weggefährten, Vorgängern und Nachfolgern, er selbst wie gewohnt mit Schiebermütze und in seinem Trikot mit der Nummer 33. Das verrückte Pferd tat sich nach eigener Aussage schwer, die Fassung zu bewahren. Mit dem derzeitigen Kapitän, Anton Bernard, hisste Gino am Ende der Veranstaltung das Trikot an der Decke der Eiswelle. Wie damals mit Oberrauch standen die große Vergangenheit und die große Gegenwart und Zukunft des HC Bozen gemeinsam auf dem Eis. Ein Denkmal zu setzen. Für die Ewigkeit.

 

Sollten Sie also das nächste Mal im Laufschritt auf dem Weg zu Ihrem Auto sein und einen Mann mit Schiebermütze, Bart und Uniform an Ihnen vorbeiradeln sehen, seien Sie sich bewusst: Es ist wohl schon zu spät. Natürlich dürfen Sie sich auch ärgern, immerhin kostet Sie Ihr eigenes Unvermögen zur Pünktlichkeit eine nicht vernachlässigbare Summe. Aber vielleicht ziehen Sie den Strafzettel das nächste Mal trotzdem mit dem Ansatz eines Lächelns unter dem Scheibenwischer hervor. Immerhin halten Sie das Autogramm eines Stückes Südtiroler Sportkultur in der Hand.