Economia | Kreislaufwirtschaft

Verborgene Schätze in unserem Müll

Kreislaufwirtschaft ist mehr als Recycling – sie steckt voller Chancen. Warum sprichwörtlich „Geld im Müll“ liegt, welche wertvollen Ressourcen sich dort verbergen und wie Unternehmen profitieren können, verrät Petra Untermarzoner im Interview.
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Lebensmittelnebenprodukte
Foto: IDM Südtirol – Alto Adige
  • Petra Untermarzoner gehört bei IDM Südtirol zum Team Innovation und ist auf Kreislaufwirtschaft mit Schwerpunkt im Lebensmittelsektor spezialisiert. Sie betreut das EU-Projekt „CEFoodCycle“ im Lebensmittelsektor, das in fünf Pilotzentren im Alpenraum realisiert wird.

  • Foto: IDM Südtirol – Alto Adige
  • SALTO: Frau Untermarzoner, Kreislaufwirtschaft klingt spannend, aber auch ein bisschen abstrakt. Können Sie uns näher erklären, was dahintersteckt?

    Petra Untermarzoner: Die Kreislaufwirtschaft ist ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell, das darauf abzielt, Abfälle weitestgehend zu vermeiden und Ressourcen effizient zu nutzen. Statt Produkte nach einmaligem Gebrauch wegzuwerfen, werden sie so lange wie möglich weiterverwendet, repariert, recycelt oder in neuer Form genutzt. 

    Dieses Prinzip ist keineswegs neu – früher war es ganz selbstverständlich, Dinge wiederzuverwerten. Doch mit der Globalisierung und der zunehmenden Schnelllebigkeit hat sich die sogenannte lineare Wirtschaft durchgesetzt: Produkte werden produziert, konsumiert und dann entsorgt. Die Kreislaufwirtschaft setzt genau hier an und versucht, diesen verschwenderischen Prozess zu durchbrechen.

     

    Sie beschäftigen sich besonders mit der Kreislaufwirtschaft im Lebensmittelsektor. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie Kreislaufwirtschaft dort funktioniert?

    In diesem Sektor entstehen täglich große Mengen an Lebensmittelresten – doch anstatt sie als Abfall zu betrachten, sehen wir sie als wertvolle Nebenprodukte. Sie müssen nicht weggeschmissen werden, sondern können nach dem Prinzip der Kreislaufpyramide in eine höchstmögliche Wertschöpfung überführt werden.

    Die höchste Wertschöpfung würde man erreichen, wenn Lebensmittelreste wieder direkt genutzt werden. Zum Beispiel indem man sie der Tafel spendet. Wenn das nicht möglich ist oder wenn schon genug vorhanden ist, dann kann man die Reste industriell verarbeiten und aus ihnen neue Nahrungsergänzungsmittel, oder zum Beispiel Kosmetikprodukte herstellen. Falls eine direkte Nutzung oder Verarbeitung nicht infrage kommt, können die Reste in Tierfutter oder Dünger umgewandelt werden.

     

    Das Ziel ist so wenig wie möglich wegzuwerfen und so viel wie möglich wiederzuverwerten.“

     

    Warum ist Kreislaufwirtschaft für uns alle wichtig – unabhängig davon, ob man selbst in diesen Branchen tätig ist oder nicht?

    In der EU fallen jedes Jahr rund 2,1 Milliarden Tonnen Abfall an – das sind fast fünf Tonnen pro Person. Diese riesigen Mengen bringen erhebliche ökologische, wirtschaftliche und soziale Herausforderungen mit sich:

    • Ökologisch, weil die Entsorgung eine enorme Umweltbelastung darstellt.
    • Wirtschaftlich, weil die Müllverarbeitung hohe Kosten verursacht.
    • Sozial, weil weltweit ein großes Ungleichgewicht herrscht – während in einigen Regionen Menschen hungern, werfen wir in anderen Teilen der Welt große Mengen an Lebensmitteln weg. 
  • Lebensmittelreste: Was von Äpfeln nach dem Pressen übrig bleibt, nennt man Trester. Dieser kann zum Beispiel als Tierfutter weiterverwendet werden. Foto: Alex Filz
  • Welche Auswirkungen hat unser Verhalten konkret?

    Ein gutes Beispiel ist die Corona-Pandemie. Während der Lockdowns wurde die Wirtschaft stark heruntergefahren, unser Konsumverhalten änderte sich, und wir gingen bewusster mit unseren Ressourcen um. Das Ergebnis: Innerhalb kurzer Zeit sank der CO₂-Ausstoß um 7 Prozent.

    Das zeigt, dass unser Handeln direkten Einfluss auf die Umwelt hat. Wenn wir nachhaltiger wirtschaften, können wir die Natur langfristig schützen. Diese Verantwortung tragen wir alle gemeinsam.

     

    Aber profitieren wir als Verbraucherinnen und Verbraucher auch von der Kreislaufwirtschaft?

    Absolut! Zum einen profitieren wir von einer saubereren, lebenswerteren Umwelt. Zum anderen macht uns die Kreislaufwirtschaft unabhängiger von knappen Rohstoffen.

    Die Weltbevölkerung wächst, und bereits heute stoßen wir an die Grenzen unserer Ressourcen. Durch innovative Ansätze der Kreislaufwirtschaft können wir unseren Lebensstandard erhalten, ohne dabei die Umwelt weiter auszubeuten. Das bedeutet weniger Preisschwankungen, stabilere Versorgung und eine nachhaltigere Art zu leben – ohne große Einschränkungen, aber mit mehr Bewusstsein.

    Zusätzlich stärkt die Kreislaufwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Sie fördert Innovationen, kurbelt das Wirtschaftswachstum an und macht uns resilienter gegenüber globalen Krisen.

     

    Wie genau sorgt die Kreislaufwirtschaft für wirtschaftliches Wachstum?

    Die EU schätzt, dass bis 2030 durch die Kreislaufwirtschaft knapp 700.000 Arbeitsplätze entstehen werden. Zudem spart die Kreislaufwirtschaft Unternehmen langfristig Kosten, da weniger Rohstoffe benötigt und Abfallgebühren reduziert werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Entwicklung neuer Technologien und Geschäftsmodelle, die kreative Lösungen für Recycling, Reparatur und Wiederverwendung ermöglichen.

    Auch die Qualität von Produkten kann steigen. In der Lebensmittelbranche beispielsweise führt die sinnvolle Nutzung von Nebenprodukten dazu, dass Endprodukte nahrhafter und vitaminreicher werden. Denn gerade in den Nebenprodukten wie Gemüseschalen und Gemüseresten stecken viele Vitamine. 

     

    Das zeigt: Kreislaufwirtschaft ist nicht nur nachhaltig, sondern auch ein echter Innovationsmotor und Wirtschaftstreiber.“

     

    IDM Südtirol engagiert sich mit verschiedenen Projekten für die Kreislaufwirtschaft. Was ist das Ziel dieser Initiativen?

     IDM hat erkannt, dass Kreislaufwirtschaft für Südtiroler Unternehmen ein wichtiger Faktor ist, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Deshalb sind wir Partner in zwei Interreg-Projekten: dem Interreg Alpine Space Projekt CEFoodCycle und dem Interreg-Projekt Italien-Österreich INNO.CIRCLE.

  • Foto: IDM Südtirol – Alto Adige
  • Worum geht es in diesen Projekten genau und wie unterstützt IDM Südtirol damit Südtiroler Unternehmen?

    Das übergeordnete Ziel von CEFoodCycle ist die Implementierung von Circular Food Hubs im Lebensmittelsektor in fünf alpinen Pilotregionen, um Potenziale zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung und CO2-Emissionen zu identifizieren. Der dazugehörige Blog „CEFood Hub“ auf der IDM-Webseite vernetzt alle Unternehmen mit den Südtiroler Verbänden und Forschungseinrichtungen und bündelt alle Informationen rund um die Kreislaufwirtschaft in Südtirol. Das Projekt INNO.CIRCLE fördert hingegen die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Es unterstützt Unternehmen im B2B-Bereich durch ein gezieltes Coachingprogramm dabei, erste Schritte hin zu zirkulären Geschäftsmodellen und nachhaltigen Produkten zu setzen – und dabei wirtschaftliche Potenziale zu erkennen und zu nutzen.

  • Projekte für eine zirkuläre Zukunft

    Im Rahmen der beiden Projekte CEFoodCycle und INNO.CIRCLE werden Unternehmen auf ihrem Weg in die Kreislaufwirtschaft begleitet – von der Ideenfindung bis zur konkreten Umsetzung. Mit einem starken Netzwerk und fundierter Expertise unterstützt IDM Südtirol entlang des gesamten Prozesses: von Markt- und Trendrecherchen, Weiterbildungen, Coachingprogrammen und Workshops, bis hin zur Entwicklung zukunftsfähiger Geschäftsmodelle.

  • Welchen konkreten Nutzen haben Unternehmen davon?

    Durch Kreislaufwirtschaft können Unternehmen innovative Produkte entwickeln und Ressourcen effizienter nutzen. Die Herausforderung besteht darin, diese Potenziale sichtbar zu machen. Unternehmen profitieren von höherer Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft.

    „Es liegt sprichwörtlich Geld im Müll.“

     

    Gibt es Unternehmen in Südtirol, die Kreislaufwirtschaft bereits in der Praxis umsetzen?

    Ja, in Südtirol gibt es bereits Vorreiter. Dolomites Milk verarbeitet beispielsweise Molke, ein Nebenprodukt der Käseherstellung, zu Milchpulver für die Lebensmittelindustrie. Ein weiteres Beispiel ist SOLOS, wo Salat mit einer speziellen Anbautechnik im Wasser wächst und von Fischen gedüngt wird. Das Unternehmen re.garum verwandelt Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion durch Fermentation in Würzmittel. Für dieses innovative Geschäftskonzept im Bereich der Lebensmittelkreislaufwirtschaft hat es 2024 auch den CEFoodCycle Award erhalten.

  • Preisverleihung des CEFoodCycle Award Foto: Helmut Moling
  • Mit Blick auf den Alltag – wie kann man Kreislaufwirtschaft umsetzen?

    42 Prozent der Lebensmittelabfälle stammen aus privaten Haushalten – mehr als aus Gastronomie oder Handel. Ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln spart Ressourcen und Geld. Mein Tipp: Nur das kaufen, was man wirklich benötigt, und Reste verwerten. Gemüsereste lassen sich zum Beispiel zu Gemüsebrühe verarbeiten, Apfelschalen zu Tee trocknen und Eierschalen eignen sich als Pflanzendünger oder Scheuermittel. Auch Verpackungen können weiterverwendet werden – zum Beispiel zum Basteln oder als Aufbewahrungslösung.

     

    Wird die Kreislaufwirtschaft in Zukunft zum Standard?

    Ja, vieles deutet darauf hin. Die EU treibt den Wandel mit dem Aktionsplan 2050 gezielt voran: Förderprogramme, Ökodesign-Richtlinien und neue gesetzliche Vorgaben schaffen den Rahmen für eine zirkuläre Wirtschaft. Die Pandemie hat gezeigt, wie positiv sich weniger Produktion auf die Umwelt auswirkt. Gleichzeitig fordern Konsumentinnen und Konsumenten und besonders die junge Generation nachhaltige Lösungen – fast 70 Prozent der Start-ups setzen auf Umweltinnovationen.

    Bis 2050 will die EU eine vollständig kreislauffähige Wirtschaft erreichen. Dafür werden unter anderem reparatur- und recyclingfreundliche Produkte gefördert, Recyclingquoten für Verpackungen erhöht, nachhaltige Batterien gefordert und Lebensmittelverschwendung bekämpft. Auch das Recht auf Reparatur, strengere Vorschriften für problematische Stoffe und CO₂-Zertifizierungen gehören zu den Maßnahmen. Die Kreislaufwirtschaft ist damit auf dem besten Weg, zum neuen wirtschaftlichen Standard zu werden.