Politica | Kommentar

Legoland ist abgebrannt

Diese EU-Wahlen haben eines deutlich gezeigt: Immer mehr deutschsprachige Südtiroler wählen ungeniert die Lega. Wir Demokraten werden uns warm anziehen müssen.
Salvini
Foto: upi
Wer die Pressekonferenz von Matteo Salvini in der Nacht von Sonntag auf Montag mitverfolgt hat, der dürfte alles gesehen haben. Wie der Lega-Führer, Innenminister und Wahlsieger demonstrativ den Rosenkranz küsste und immer wieder mit dem silbernen Kreuz herumwedelte, macht einem Angst. Es ist ein Zeichen für das, was auf Italien noch zukommen wird. 
34,4 Prozent schafft die Lega bei dieser EU-Wahl. Das heißt, jeder dritte Italiener und jede dritte Italienerin haben Salvini und seine Partei gewählt. In Europa dürfte es damit nur noch ein Land geben, das noch weiter nach rechts gerückt ist als Italien: Victor Orbans Ungarn.
In Europa dürfte es damit nur noch ein Land geben, das noch weiter nach rechts gerückt ist als Italien: Victor Orbans Ungarn.
Südtirol ist dabei nicht die Insel der Seligen. Die SVP hat ihre Stimmen bei dieser Wahl gehalten. Herbert Dorfmann hat besser abgeschnitten, als eigentlich alle vermutet haben. Arno Kompatscher, Philipp Achammer & Dorfmann können sich zu Recht als Wahlsieger sehen. Trotz des schlechtesten Ergebnisses seit 40 Jahren – seit 1979 gibt es EU-Wahlen – sind die 46,54 Prozent immer noch eine Marke, von der die meisten Parteien träumen. 
Auch der viel kritisierte Pakt mit Berlusconis Forza Italia ist aufgegangen. Trotz Alessandra Mussolini und Michaela Biancofiore schaffte es die SVP, ihre Basis bei dieser Wahl zu mobilisieren. Die meisten Wählerinnen und Wähler haben sich die Nase zugehalten und trotzdem das Edelweiß angekreuzt.
 
Doch im Schatten dieses Erfolges zeichnet sich eine Entwicklung ab, die nicht nur der Volkspartei, sondern allen Demokraten in diesem Land zu denken geben muss. Wie schon bei den Landtagswahlen wurde die Lega zur zweitstärksten politischen Kraft im Land, diesmal allerdings mit 17,47 Prozent gegenüber 11,1 Prozent im Oktober. 42.557 Südtiroler und Südtirolerinnen haben Salvini & Co gewählt. 16.865 Vorzugsstimmen erhielt der „Capitano“ in Südtirol. Man kann davon ausgehen, dass gut 50 Prozent der Südtiroler Italiener für Salvini und seine unmenschliche und intolerante Politik gestimmt haben. Das sagt einiges über den Geistes- und Gemütszustand in diesem Teil Südtirols aus.
Im Sarntal sind laut Volkszählung 129 Italiener ansässig. Die Lega bekam am Sonntag im Sarntal aber fast genau dreimal so viele Stimmen: 384. Ähnlich war es im St. Pankraz, in Tisens oder in Villanders.
Gebetsmühlenartig wird man jetzt das wiederholen, was man schon bei den Landtagswahlen sagte: „Man muss die Entscheidung der Mehrheit der Italiener respektieren“. Aber ist es wirklich so? Ein Blick auf die Ergebnisse dieser EU-Wahlen zeigt etwas ganz anderes. Nämlich, dass auch immer mehr deutschsprachige Südtiroler und Südtirolerinnen recht ungeniert Lega und Matteo Salvini wählen.
Das lässt sich anhand der Zahlen und Fakten nachweisen. Nehmen wir die Gemeinde Sarntal. Am 31. Dezember 2017 hatte Sarntal 7.098 Einwohner. 1,82 Prozent davon sind nach der letzten Volkszählung Italiener. Damit sind in der Gemeinde 129 Italiener ansässig, Die Lega bekam am Sonntag im Sarntal aber genau dreimal so viele Stimmen: 384.
Weitere Beispiele: In St. Pankraz lebten Ende 2017 15 Italiener, die Lega bekam dort aber 83 Stimmen. Oder Tisens: 39 Italiener und 128 Lega-Stimmen. Villanders: 25 Italiener und 105 Lega-Stimmen. 
Diese Liste lässt sich noch beliebig fortführen. Wenn man auch mit einrechnet, dass die Zahl der Italiener in diesen Gemeinden seit Ende 2017 leicht gestiegen ist, so kommen immer noch weit mehr Stimmen für die Lega zusammen, als es Italiener gibt. Wobei eines dazukommt: Nicht alle Italienerinnen und Italiener in diesen Gemeinden wählen Lega und Salvini.
 
Damit wird klar, dass sehr viele deutschsprachige Südtirolerinnen und Südtiroler Matteo Salvini und seine Partei gewählt haben – Experten sprechen von ca. 5%, und diese Zahl erscheint nicht unplausibel. Und genau dafür müssen Arno Kompatscher, Philipp Achammer und die gesamte Volkspartei eine klare Mitverantwortung übernehmen. Denn sie haben durch die Berufung der Lega in die Landesregierung die Salvini-Partei in Südtirol weit hoffähiger gemacht, als sie es für die lokalen eingefleischten Rassisten eh schon war. 
Die Südtiroler Grünen haben bei dieser Wahl – nicht zum ersten Mal – gezeigt, dass ihnen persönliche Animositäten und die Verteidigung der eigenen Pfründe wichtiger sind als ein strategisches Bündnis der Opposition.
Vor allem die Südtiroler Grünen haben bei dieser Wahl – nicht zum ersten Mal – gezeigt, dass ihnen persönliche Animositäten und die Verteidigung der eigenen Pfründe wichtiger sind als ein strategisches Bündnis der Opposition. 
Brigitte Foppa & Co beeilen sich unmittelbar nach der Wahl zu erklären, dass nicht sie die Schuldigen für das Scheitern der Spitzenkandidatin des Teams Köllensperger sind. Ihre Argumentation: Auch wenn man die Stimmen des grünen Landtagskandidaten Norbert Lantschner dazuzählen würde, hätte es für Emma Boninos Liste +Europa nicht gereicht, die 4 Prozent Sperrklausel zu überwinden.
Man braucht weder ein Mathematikgenie noch eine Klimahausexpertin zu sein, um auszurechnen, dass bei einer gemeinsamen Kandidatur die Lega mit größter Wahrscheinlichkeit in Südtirol auf den dritten Platz abgerutscht wäre.
In Zeiten wie diesen wäre das ein wichtiges demokratiepolitisches Zeichen gewesen.
Doch anscheinend hat die Pflege des grünen Schrebergartens Priorität. 
Auch dann, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass die Truppen des Innenministers die zarten Pflänzchen in diesem Land niedertrampeln könnten.