Politica | Mittelinks

Linke in Bewegung - aber wohin?

Pisapias Versuch, ein tragfähiges Mittelinks-Bündnis zu bilden, hat geringe Aussichten. Der gordische Knoten ist das Verhältnis zur PD - vor allem zu Renzi.
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Giuliano Pisapia
Foto: upi

Die Popularität des früheren Bürgermeisters von Mailand, Giuliano Pisapia, ist auch nach seinem Verzicht auf eine erneute Kandidatur parteiübergreifend hoch. Da er aber seinen eigenen Kopf hat und sich nicht gerne vereinnahmen lässt, hat er im linken Spektrum, dem er angehört, nicht nur Freunde. Seine frühere Genossen von SEL – heute Sinistra Italiana – ist er schon lange verdächtig, weil er zwar gegenüber Renzi kritisch ist, in ihm aber nicht den „Hauptfeind“ sieht. Und meint, dass ein (kritischer) Dialog mit der PD unerlässlich ist, wenn Mittelinks eine Chance haben soll. Renzi wiederum ist aus taktischen Gründen an einer Zusammenarbeit interessiert, sieht in ihm aber auch einen komplizierten - weil unabhängig denkenden – Gesprächspartner. Und einen potenziellen Konkurrenten.

 

Pisapias Versuch

Schon länger arbeitet Pisapia daran, linksgerichtete Kräfte außerhalb und auch innerhalb der PD zusammenzuführen. Nicht zur Bildung einer neuen Partei, sondern eines Bündnisses, das programmatisch Themen der sozialen Gerechtigkeit, der Legalität, des Umweltschutzes und der Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt stellt. Mit dem ehrgeizigen Ziel, bei den nächsten Wahlen eine regierungsfähige Mittelinks-Alternative antreten zu lassen, die nicht auf Koalitionen mit der Rechten von Berlusconi und/oder Alfano angewiesen ist.

Bereits im Februar hatte Pisapia eine parteiübergreifende Initiative „Campo Progressista“ ins Leben gerufen. Nach der Abspaltung der linken PD-Minderheitsfraktion und der Bildung der Gruppe „Movimento Democratici e Progressisti/MDP“ intensivierte Pisapia die Kontakte auch in dieser Richtung. Nun soll am 1. Juli auf der symbolträchtigen Piazza Santi Apostoli in Rom, wo einst Prodis „Ulivo-Bündnis“ geboren wurde, die erste gemeinsame öffentliche Veranstaltung stattfinden. Unter der Überschrift „Insieme“ (Zusammen).

Als Redner sind, neben Pisapia, die Vorsitzende der Abgeordnetenkammer Laura Boldrini und der Leader der MDP Pierluigi Bersani vorgesehen. Der vielumworbene Gründer des „Ulivo“, Romano Prodi, wird nicht anwesend sein, aber immerhin eine Grußbotschaft senden. Strippenzieher Massimo D' Alema, der mit Bersani und Speranza das Führungstrio der MDP bildet, wird da sein, sich aber mit Reden wohl zurückhalten müssen. Er, den mit Renzi eine herzliche langjährige Feindschaft verbindet, lehnt einen Dialog mit der PD ab, solange dort Renzi etwas zu sagen hat. Ein offizieller Auftritt von ihm bei der Veranstaltung am 1. Juli, wo auch PD-Vertreter erwartet werden, hätte die Bemühungen des „Brückenbauers“ Pisapia konterkariert.

 

Der gordische Knoten ist Renzi

Tatsächlich ist das Verhältnis zur PD und vor allem zu Renzi der schwierigste Knoten, den Pisapia lösen muss, soll sein Experiment nicht schon in der Gründungsphase scheitern. Sicherlich ist Pisapias Distanz zu Renzi in der letzten Zeit nicht kleiner, sondern größer geworden. Dass Renzi bei seinem – gescheiterten – Versuch, ein Wahlgesetz nach deutschem Modell durchzubringen, eine Koalition mit Berlusconi ansteuerte, war auch Pisapia klar. Dann kam das Debakel im Parlament, bei dem neben den Grillini auch PD-Heckenschützen in einer geheimen Abstimmung über einen Änderungsantrag das ganze Gesetzesprojekt zu Fall brachten. Woraufhin Renzi plötzlich verkündete, nun ein Linksbündnis mit Pisapia schließen zu wollen. Da platzte sogar dem ruhigen Pisapia der Kragen: „Man kann nicht im Zeitraum von ein paar Stunden einfach von Berlusconi zu Pisapia wechseln“, kommentierte er leicht angewidert. Es gehe nicht um taktische Mehrheitskalküle, sondern um politische Inhalte. Wenn Renzi es mit einer Zusammenarbeit ernst meine, solle er sich dazu positionieren. Und im Falle einer Wahlkoalition – vor allem für den Senat, wo Mehrheitsbildungen aufgrund der verschiedenen Wahlsysteme schwierig sind – müsse er auch bereit sein, sich Vorwahlen für die Spitzenkandidatur zu stellen.

Dass Renzi trotz seines Sieges bei den Vorwahlen zum PD-Generalsekretärs nicht auch automatisch der Kandidat für den Ministerpräsidentenposten sein sollte, meint nicht nur Pisapia. Für viele in der MDP ist dies eine Vorbedingung, um mit der PD in einen Dialog einzutreten. Und auch Renzi-Kritiker in der PD – allen voran Cuperlo und Justizminister Orlando – warnen, mit Renzi als Spitzenkandidat werde die PD bei der nächsten Wahl eine Niederlage einfahren.

 

Experimentausgang ungewiss

Wer aber sollte anstelle von Renzi antreten? Darüber herrscht keineswegs Einigkeit. Einige sehen im amtierenden Regierungschef Gentiloni – ein „Anti-Renzi“ der leisen Töne – eine passende Alternative. Pisapia selbst wünscht sich eher eine Person „super partes“. Was auch Gentiloni nicht ist. Also wer? Er selbst? Das verneint er. Wäre Prodi bereit anzutreten, so Pisapia, würde er das „sofort unterschreiben“. Fügt aber gleich hinzu: „Aber er ist wohl nicht dazu bereit“. In der Tat. Prodi, der oft genug von den „eigenen“ Leuten verheizt wurde, wird sich zu keiner Kandidatur mehr hinreißen lassen. Er sieht seine Rolle eher als Sondierer und Berater im Hintergrund.

Ob Pisapias Experiment eine Chance hat, ist offen. Dass er dabei nicht von vornherein den Versuch ausschließt, auf der Grundlage einer gemeinsamen programmatischen Plattform mit der PD eine Mittelinks-Alternative zu schaffen, ist vernünftig. Ob Renzi allerdings bereit und fähig ist, sich jenseits reiner Machtspielchen auf ein solches Projekt einzulassen, ist zu bezweifeln.

Zweifelhaft ist aber auch, ob die MDP sich für Pisapias Projekt als zuverlässiger Partner erweisen wird. Innerhalb dieser Gruppe gibt es sehr unterschiedliche Positionen, insbesondere in Bezug auf das Verhältnis zur PD und vor allem zu Renzi. Konflikte sind dazu vorprogrammiert, auch Prodis Autorität wird sie nicht verhindern können.

 

Und dann gibt es noch die (verbal)radikale Mini-Linke

Während Pisapia und zumindest Teile der MDP noch versuchen, nach Konvergenzpunkten mit der PD zu suchen, hat die so genannte radikale Linke - bestehend aus ein paar Miniparteien und Grüppchen (u.a. Sinistra Italiana, Rifondazione Comunista, Partito Comunista Italiano) – auf einem gemeinsamen Treffen am 18. Juni offiziell die gesamte PD zum Teil „der Rechten“ und politischen Gegner erklärt. Das Vorhaben Pisapias (der selbst nicht anwesend war), ein Mittelinks-Bündnis zu bilden, wurde von einigen mit Pfiffen quittiert. Damit hat sich dieser Teil des linken Spektrums endgültig in der Sektiererecke eingerichtet, wo er noch heftiger als früher die PD als Hauptfeind bekämpfen wird („Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“). Um sich ansonsten der Selbstbefriedigung zu widmen.

Für die künftige politische Entwicklung Italiens ist diese verworrene und fragmentierte Lage der Linken verheerend. Sollten sich Polarisierer wie Renzi und D' Alema statt Brückenbauer wie Pisapia und Prodi durchsetzen, wird in erster Linie die Rechte davon profitieren: Berlusconis Forza Italia sowie die Rechtspopulisten der Lega und der 5Sternebewegung, die - statt Antworten auf die Probleme des Landes zu bieten – es mit skrupelloser Hetze gegen Flüchtlinge, Migranten und Andersdenkende zu spalten suchen.

Nachtrag aus aktuellem Anlass: Bei den Stichwahlen für das Amt der Bürgermeister, die am vergangenen Sonntag in verschiedenen Kommunen stattfanden, hat die Rechte (FI mit Lega und Fratelli d' Italia) deutlich gesiegt. In 16 von 22 Provinzhauptstädten stellt sie künftig die Bürgermeister, auch in traditionell „linken“ Städten wie Genua und L' Aquila. Renzi versucht, die Niederlage der PD zu beschönigen, indem er von der nur „lokalen Bedeutung“ der Wahlen spricht. Doch die Ergebnisse werden die Debatte um seinen Führungsanspruch als PD-Spitzenkandidat bei den nächsten Wahlen weiter anheizen. Nicht nur im Lager Pisapias, sondern auch der parteiinternen Renzi-Kritiker um Cuperlo und Justizminister Orlando.