Ambiente | Natur

Die Natur ist kein Kapital

Gemeinplätze und Trugschlüsse sind manchmal erschreckend dumm, die Vorstellung, dass die Natur ein Kapital sei, was für ein schreckliches Vorurteil!
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Gemeinplätze und Trugschlüsse sind manchmal erschreckend dumm. Weit verbreitet ist die Vorstellung, dass die Natur ein Kapital sei, von dem wir nach Lust und Laune profitieren können. Was für ein schreckliches Vorurteil! Die Natur ist kein Kapital, sie ist keine Fabrik, keine Ware, keine Geldmaschine. Wir behandeln sie schlecht und konsumieren sie ohne jedes Maß. Wenn das viel geschmähte Wachstum den Rückschritt der Natur bedeutet, dann ist unsere Wirtschaft verrückt geworden und unsere Wohlstandskriterien sind nicht mehr nachhaltig. Wir sind blind und ignorant, und wenn wir uns nicht ändern, werden wir bald mit einer Wirklichkeit zusammenprallen, die sich immer deutlicher abzeichnet. Wir müssen das Ruder herumreißen und beim Umgang mit der Natur endlich wieder Verstand walten lassen.

Wir sind heute mehr als sieben Milliarden Menschen auf der Erde und produzieren bereits mehr Abfälle, als wir entsorgen können. Wie wird es im Jahr 2050 aussehen, wenn die Bevölkerung die neuneinhalb-Milliarden-Marke übertroffen haben wird? Es wird immer deutlicher, dass die Kosten der unaufhaltsamen Schädigung und des Konsums der Natur langfristig weit über dem momentanen Nutzen liegen. Wir müssen die Natur über Begriffe wie Schönheit und Bewusstsein kommunizieren. Mehr noch, die Natur ist nicht etwas, das uns umgibt. Die Natur – und das liegt schon im Ursprung des Wortes selbst, das vom lateinischen Wort nascitura stammt – ist das, was geboren werden wird. Auf Griechisch bedeutet es erschaffen. Es reicht also nicht zu glauben, dass das, was uns umgibt, etwas Hübsches ist, das uns zur Verfügung steht, oder schlimmer, das wir kapitalisieren, ausnützen, konsumieren und verschwenden dürfen, das wir zugunsten weniger vielen wegnehmen dürfen. Diese unsere Arroganz, oder auch unsere Lust daran, die Dinge zu mystifizieren, lässt uns einen äußerst wichtigen Aspekt vergessen: Der Mensch ist selbst Teil des Evolutionsprozesses der Natur. Und auch wenn es sich seltsam anhört: Der Mensch ist für die Evolution nicht nötig. Sobald er ausgestorben sein wird, macht die Natur ohne ihn weiter. Damit ist der Mensch Teil des Kreationsprozesses, der noch im Gange ist. Als Menschen sind wir nur eine Phase, und bestimmt nicht das erstrebte Ziel desjenigen, der die Kreation eingeläutet hat.

 

In seiner jüngsten Enzyklika schreibt Bergoglio, dass die „jüdisch-christliche Lehre die Natur entmythologisiert hat, weil sie ihr keinen göttlichen Charakter mehr attestiert.“ Da fragt man sich natürlich, wie Vito Mancuso betont, ob dieser Entheiligungsprozess nicht den Auftakt zu dem ungeheuerlichen Raubbau an der Natur darstellte, den der Mensch auf der Erde begeht. Und den der Papst mit deutlichen Worten anprangert. Wir sind alle eins, und was in unseren Seelen vor sich geht, geht gleichzeitig in allen Seelen vor. Es gibt nichts, was außerhalb von uns existiert, so wie keine Natur „da draußen“ gibt. Wie also kann es sein, dass wir die Natur als Marketingstrategie benutzen, mit der wir unsere vergänglichen Bedürfnisse befriedigen, und dass sie nicht verinnerlichen? Wie ist es möglich, dass wir – wie ich oft sagen höre – nicht gut genug darin sind, Natur zu „kommunizieren“? Aber was sollen wir denn kommunizieren? Die erlogene, romantische Version einer gezähmten und gleichzeitig unberührten Natur, ohne die Verschwendung zu erwähnen, die wir mit ihr betreiben? Das wäre heuchlerische und falsche Kommunikation. Ja, wir sind nicht gut in der Kommunikation, und dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Weil wir selbst nicht überzeugt sind. Wir versuchen, das Gleichgewicht zu halten und riskieren, in etwas zu ertrinken, dass Bauman schon länger „flüssige Gesellschaft“ nennt. Wir glauben, weiter Gift auf unsere Apfelbäume sprühen, den Speck ungarischer Schweine verkaufen und afrikanischen Marmor in unseren Hotels verlegen zu müssen, weil der so schick aussieht. Wir fördern den privaten Autoverkehr und kaufen chilenische Orangen. Wir haben uns verirrt. Steckten wir nicht gerade in einer großen Stagnationskrise, dann würden wir ganz bewusst mutigere Entscheidungen treffen. Dass wir uns nicht trauen, die Dolomitenpässe in bestimmten Zeitfenstern zu schließen, gehört dazu. Ich sage das nicht, weil der Fahrradtourismus ein unglaubliches Potential hat (neulich waren an einem Sonntag 22.000 Biker rund um die Sella unterwegs, während die Straßen für Autos gesperrt waren), sondern weil wir selbst doch die ersten sind, die dadurch besser leben würden. Doch solange es immer nur um Marketing geht, machen wir keine Fortschritte. Erst wenn wir verstanden haben, dass es unser erstes Ziel sein muss, der Evolution eine nachhaltigere Richtung zu geben, dann können wir es noch schaffen. Die Krise von heute ist eine Pubertätskrise. Wir sind verzogene Kinder, wir glauben, wir dürften alles, doch wir sind nicht Gott. Die Erde war vor uns da, sie wurde uns in Obhut gegeben. Und wir haben immer noch nicht verstanden, dass wir, wenn wir so weitermachen, mit uns selbst zusammenstoßen werden. Denn die Natur wird es schon irgendwie schaffen. Mit uns oder ohne uns.

Doch noch dürfen wir auf einen Wandel hoffen. Fangen wir damit an, nicht mehr zu sagen, dass die Natur unsere Kapital ist.